Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Gewicht lege, als Du es thust. Wie wir uns auch gegenüberstehen mögen, für Dich bleibe ich Arno Raven – nenne mich, wie Du nach stets genannt hast!“
Brunnow erwiderte nichts; er sah finster vor sich nieder.
„Ich ahne, was Dich herführt,“ fuhr Raven fort, „aber das mindert nicht das Tollkühne und Gefährliche dieses Schrittes. Du weißt doch am besten, was Dir droht, sobald Du die Grenze überschreitest – und Dein Sohn ist außer Gefahr.“
„Ich glaubte ihn noch gestern auf dem Todtenbette. Da konnte meine eigene Sicherheit nicht mehr in Frage kommen. Ich mußte zu ihm, um jeden Preis.“
Der Freiherr hatte keine Antwort auf diese Erklärung; er mochte sich wohl sagen, daß er in dem gleichen Falle nicht anders gehandelt haben würde.
„Du begreifst wohl, weshalb ich auf Deine Begleitung drang,“ nahm er wieder das Wort. „Unsere Begegnung ist nicht ohne Zeugen gewesen. Der Polizeidirector beobachtete uns; mir scheint, er hat bereits Argwohn geschöpft. Es galt, Dich einem aufkeimenden Verdachte zu entziehen, und davor schützt Dich eine längere Unterredung mit mir.“
„Gewiß, denn man setzt voraus, daß der Gouverneur von R. jeden Verdächtigen sofort der Polizei übergeben würde. Ich war darauf gefaßt, als Du mich erkanntest.“
„Mäßige Dich, Rudolph,“ warnte Raven in drohendem Tone, aber Jener fuhr unbeirrt fort:
„Und ich weiß in der That nicht, welcher Laune ich meine Rettung verdanke. Aber offen gestanden, Arno, ich sehnte mich danach, Dir noch einmal im Leben Auge in Auge gegenüber zu stehen, sonst hätte ich mich auf der Stelle den Häschern überliefert, ehe ich Dir gefolgt wäre.“
Raven biß sich auf die Lippen. „Du hast Dich seit unserer Trennung so offen und rückhaltlos als meinen Feind bekannt, daß ich auf ein derartiges Auftreten gefaßt sein mußte. Du wirst Dich aber noch aus unserer Jugendzeit erinnern, daß ich Beleidigungen nie ertragen habe, und ich bin im Laufe der Jahre nicht fügsamer geworden. Also mißbrauche nicht Deine augenblickliche Lage, die jede Genugthuung Deinerseits ausschließt, und laß mir wenigstens die Möglichkeit, mit Dir zu verkehren!“
Die Worte machten wenig oder gar keinen Eindruck auf den Arzt; seine Haltung wurde womöglich noch feindseliger, als er entgegnete:
„Ich sehe, Du hast den Ton des Herrschers nicht verlernt. Ich kenne ihn noch von früher her. Schon damals wich Jeder, der sich gegen Deinen Willen aufzulehnen suchte, schließlich diesem Herrschertone. Ich vollends unterwarf mich Dir willenlos, obgleich ich doch wahrlich nicht zu den sklavischen Naturen gehöre. An Dir aber hing ich mit blinder Vergötterung; Dir folgte ich, wohin Du mich führtest, denn Du konntest ja nur zum Höchsten, Besten führen – bis mir eines Tages mein angebetetes Ideal in Staub und Trümmer sank. Versuche es nicht, die alte Macht wieder geltend zu machen! Ich beugte mich Dir nur, so lange ich an Dich glaubte. Das ist längst vorbei, aber Du, bei dem stets der Ehrgeiz die Stelle des Herzens vertrat, Du ahnst nicht, was ich mit jenem Glauben verlor.“
Es folgte eine lange drückende Pause. Raven hatte sich abgewendet, endlich sagte er: „Wenn Du mich einst liebtest, so hassest Du mich dafür jetzt um so glühender.“
„Ja!“ war die kurze energische Antwort.
„Ich habe Beweise davon,“ meinte Raven. „Bis vor Kurzem fragte ich mich noch, woher einer meiner jüngsten und untergeordnetsten Beamten den Muth genommen habe, mir vor aller Welt die unerhörtesten Beleidigungen in das Gesicht zu schleudern – ich vergaß, daß er in Deiner Schule gewesen ist. Winterfeld war ja in Deinem Hause, er ist der Freund Deines Sohnes und der Deinige, und er hat sich als gelehriger Schüler gezeigt. In den Streichen, die er gegen mich führt, verräth er, welcher Meister ihn unterwies.“
„Du irrst. Georg Winterfeld zeigt nur seine eigene Kraft, allerdings eine bewundernswerthe Kraft, die auch mich in Erstaunen setzt. Ich ahnte nichts von seinem Vorhaben; er hat auch mir ein Geheimniß daraus gemacht, und seine Schrift, die er mir vorgestern zusandte, war mir eine Ueberraschung. Aber ich leugne nicht, daß jedes Wort darin mir aus den Seele geschrieben ist, mir und noch tausend Anderen. Sei auf der Hut, Arno! Das ist der Erste, der es wagt, gegen den allmächtigen Freiherrn von Raven aufzutreten, der erste Sturm, der Deine bisher unnahbare Höhe bedroht. Es werden ihm andere folgen, und sie werden so lange den Boden erschüttern auf dem Du stehst, bis er wankt und bricht und Du so tief niedersinkst, wie Du hoch emporgestiegen bist.“
„Meinst Du?“ fragte der Freiherr verächtlich. „Du solltest mich doch besser kennen. Ich kann stürzen und im Sturze mich und Andere zerschmettern – das Sinken ist meine Sache nicht, und so weit sind wir überhaupt noch nicht. Ich kenne die feindseligen Gewalten, welche jener Angriff entfesseln wird, sie haben längst auf einen solchen Anlaß gewartet, aber sie sollen nicht den Triumph genießen, mich von einem Platze weichen zu sehen, den ich so lange behauptet habe und freiwillig niemals räumen werde. Freilich, die Menschen verzeihen nicht leicht eine Laufbahn, wie ich sie mir schuf.“
„Um hohen Preis!“ sagte Brunnow kalt. „Du hast sie mit Deiner Ehre bezahlt.“
„Rudolph!“ fuhr der Freiherr mit furchtbarer Heftigkeit auf.
„Mit Deiner Ehre – ich wiederhole es. Muß ich Dich an den Tag erinnern, wo unsere Verbindungen verrathen, unsere Papiere mit Beschlag belegt, wir selber ergriffen und in das Gefängniß geschleppt wurden? Muß ich Dir sagen, wer der Verräther war, dem wir dies alles dankten und den man nur der Form wegen mit verhaftete? Ich und die Anderen wurden vor Gericht gestellt, uns traf Verurtheilung und Kerker, aus dem mich später nur eine tollkühne Flucht befreite; Dich ließ man nach kurzer Haft wieder frei, ohne auch nur eine Anklage gegen Dich zu erheben. Aus dem Sturme, der seinen Freunde und Gesinnungsgenossen Freiheit und Existenz kostete, ging Arno Raven als der Secretär, der Vertraute und künftige Schwiegersohn des Ministers hervor und begann seine glänzende Carrière im Dienste der Sache, der er Haß und Kampf geschworen hatte für immer. Das war das Ende all der Freiheitsträume und Jugendschwärmereien.“
Aus dem Antlitz des Freiherrn war jeder Blutstropfen gewichen; seine Brust hob und senkte sich in kurzen heftigen Athemzügen, und seine Hände ballten sich krampfhaft.
„Und wenn ich Dir nun sage, daß dieser sogenannte Verrath nur eine Unvorsichtigkeit war, ein unglückseliges Mißverständniß, das ich theuer genug gebüßt habe? Wenn ich Dir sage, daß Ihr selbst mit Eurem voreiligen Verdammungsurtheil, mit Eurem wahnsinnigen Mißtrauen mich in die Reihe Eurer Feinde getrieben habt?“
„So würde ich Dir antworten, daß Du das Recht auf Glauben verwirkt hast.“
„Reize mich nicht, Rudolph!“ stieß Raven hervor, der kaum mehr Herr seiner selbst war. „Du weißt, daß ich das von keinem Anderen ertragen hätte. Ich habe Dir mein Wort gegeben, und Du wirst mir glauben.“
„Nein, Arno!“ Die Stimme Brunnow’s klang in vernichtender Härte. „Wärst Du damals, als ich im Gefängniß saß und es nicht fassen konnte, nicht fassen wollte, daß Du der Verräther sein solltest, vor mich hingetreten und hättest zu mir gesprochen wie jetzt, Dein Wort hätte mir mehr gegolten als das Zeugniß der ganzen Welt, als die sonnenklaren Beweise. Die zwei Jahrzehnte, die dazwischen liegen, haben mich eines Anderen belehrt. Dem Freiherrn von Raven, dessen Name obenan steht unter den Feinden und Verfolgern jener Sache, der er einst sein Leben geweiht hatte, dem Gouverneur von R., dessen eisernes despotisches Regiment allem Recht und allen Gesetzen Hohn sprach, der noch vor wenigen Tagen auf das Volk schießen ließ, in dessen Reihen er selbst einst gestanden – dem glaube ich nicht.“
Der Mann, gegen den all diese vernichtende Beschuldigungen geschleudert wurden, stand finster schweigend da, den Blick auf den Boden geheftet; noch arbeitete es gewaltsam in seinen Zügen, aber es ließ sich nicht enträthseln, ob es Scham, Zorn oder Schmerz war, was dort zuckte. Bei den letzten Worten aber richtete er sich plötzlich zu seiner vollen Höhe auf, und aus seinen Augen flammte wieder der stolze unbeugsame Trotz, als er rauh entgegnete:
„So ist es unnöthig, noch ferner ein Wort darüber zu verlieren. Meine Erklärung galt nur jener Katastrophe. Du willst
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_422.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2016)