Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Agnes setzte die Arzneitasche nieder und verbarg das Gesicht in den Händen; man hörte ein halbersticktes Schluchzen.
„Agnes – würde es Ihnen wehe thun, wenn ich stürbe?“ Die Frage kam mit einer ganz eigenthümlichen Weichheit von den Lippen des Doctor Brunnow, zu dessen Eigenschaften die Weichheit sonst durchaus nicht gehörte. Er erhielt keine Antwort, aber das Schluchzen wurde heftiger und leidenschaftlicher; jetzt ergriff er die Hände des jungen Mädchens und zog sie von dem thränenüberströmten Antlitze, während er fortfuhr:
„Ich fürchte, ich habe Ihnen bereits so viel verrathen, daß Sie sich nicht scheuen dürfen, mir einzugestehen, wem diese Thränen gelten. Freilich weiß ich erst seit den letzten drei Tagen unter Ihrer Pflege, wie es eigentlich um mich steht, oder darf ich sagen – um uns Beide?“
Das junge Mädchen war an dem Bette auf die Kniee gesunken und drückte das Gesicht in die Kissen. Statt zu antworten, weinte sie nur immer trostloser und verzweiflungsvoller, aber sie ließ es ruhig geschehen, daß der Kranke den Arm um sie legte und sie leise an sich zog. Und jetzt geschah das Unerhörte – Max Brunnow erging sich, mit schnödester Verleugnung seines Programms und seiner sämmtlichen Paragraphen, in einer Liebeserklärung, die von Wärme und Innigkeit überströmte und nur den einen Fehler hatte, daß sie in dieser Form und Lebendigkeit unmöglich aus dem Munde eines Todtkranken kommen konnte.
Die arme Agnes freilich war viel zu erregt, um darüber auch nur nachzudenken, und überdies hatte Doctor Berndt ihr die Hoffnungslosigkeit des Falles so nachdrücklich eingeprägt, daß sie gar nicht mehr wagte, dem Gedanken an Hoffnung Raum zu geben. Sie hielt die Lebhaftigkeit des Patienten für fieberhafte Aufregung und glaubte gleichfalls nur ein letztes Aufflackern der Lebenskraft vor dem Erlöschen zu sehen.
„Ich werde Sie nie vergessen,“ schluchzte sie. „Was ich Ihnen im Leben nie eingestehen durfte, das darf ich jetzt im Angesichte des Todes bekennen, eine ewige, unaussprechliche Liebe über das Grab hinaus. Es ist ja keine Sünde, an einen Abgeschiedenen zu denken und mit den Gebeten auch die Grüße in das Jenseits hinüberzusenden – und das werde ich Tag für Tag thun, wenn die stillen Klostermauern mich umfangen.“
So innig und rührend dieses Geständniß auch klang, so wenig zufrieden war Max damit. Es lag durchaus nicht in seinen Wünschen, blos als abgeschiedener Geist geliebt zu werden, und die Grüße und Beziehungen in das Jenseits hinüber waren nun vollends nicht nach seinem Geschmacke.
„Das wäre für den Fall meines Todes,“ sagte er. „Wie nun aber, wenn ich am Leben bliebe?“
Agnes hob die dunklen thränenvollen Augen mit dem Ausdrucke der höchsten Betroffenheit zu ihm empor. Sie hatte offenbar an diese Möglichkeit noch gar nicht gedacht.
„Ich glaube, das wäre Ihnen gar nicht einmal recht,“ rief Max ärgerlich.
„Mir? – o mein Gott!“ brach das junge Mädchen aus. „Ich würde ja gern mein eigenes Leben hingeben, um das Ihrige zu retten, wenn es möglich wäre.“
„Das Leben hinzugeben ist gar nicht nöthig,“ erklärte Max, dem jetzt doch das Gewissen schlug, als er den Schmerz des armen Mädchens gewahrte. „Sie sollen nur eine thörichte, unsinnige Idee aufgeben, die uns Beide unglücklich machen wird, wenn Sie darauf beharren. Agnes, Sie täuschen sich, wenn Sie meinen Zustand für hoffnungslos halten. Er ist kaum jemals gefährlich gewesen, und seit heute Morgen ist nun vollends jedes Bedenken geschwunden. Wenn ich Sie noch eine Viertelstunde lang in Ihrem Irrthume ließ, so geschah es, weil ich um jeden Preis das Geständniß Ihrer Gegenliebe haben wollte. Der Genesende hätte es nie erhalten – das wußte ich. Er hat es aber nun einmal gehört und hält Sie fest bei Ihrem Worte. Es nützt Ihnen gar nichts, wenn Sie jetzt zurücknehmen und widerrufen wollen. Sagen Sie mir zehnmal Nein, es hilft Ihnen nichts – Sie werden doch meine Frau.“
Agnes fuhr erschrocken auf. „Niemals! Davon kann nie die Rede sein. Ich gehöre ja dem Kloster an; ich werde in Kurzem dahin zurückkehren.“
„Das werde ich mir verbitten,“ fiel der junge Arzt ein. „Das Kloster hat gar nichts dareinzureden. Noch sind Sie zum Glücke vollkommen frei. Sie haben noch kein Gelübde abgelegt.“
„Ich habe es mir selbst abgelegt. Ich habe es der Aebtissin und meinem Beichtvater versprochen, und dieses Versprechen bindet mich so fest, wie nur irgend ein Schwur am Altare.“
„Ich bin ganz damit einverstanden, daß ein Schwur am Altare geleistet wird,“ versetzte Max, „aber ich muß dabeisein und ich schwöre mit, wie das bei Trauungen üblich ist. Wenn die Frau Aebtissin und der Herr Beichtvater dazwischen kommen wollen, so haben sie es mit mir zu thun. Ich werde schon
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_405.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2016)