Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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„Nein, ich lasse Dich nicht, Gabriele!“ brach Raven mit vollster Leidenschaft aus. „Einmal muß es ja doch ausgesprochen werden, was Du längst weißt und was ich wußte, von dem Tage an, wo ich zum ersten Male in diese sonnigen Kinderaugen blickte. Aber ich hörte ja aus Deinem eigenen Munde, daß Du einen Andern liebtest. Der dreißig Jahre ältere Mann, mit ergrauendem Haar und den unerwiderten heißen Gefühlen wäre dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen, wenn er Dir die Wahrheit eingestanden hätte, und ich, beim Himmel, ich wollte nicht lächerlich sein. Aber heut sah ich, wie Du zittertest um meinetwillen, wie Du Dich mitten in die Gefahr werfen wolltest, die mich bedrohte, um mir zur Seite zu bleiben, und jetzt wagst Du es nicht, jene Worte zu wiederholen, weil Du fühlst, daß es eine Lüge ist, die wir Beide mit unserem Glücke bezahlen. Jetzt endlich muß es klar werden zwischen uns. Ich liebe Dich, Gabriele, und habe gegen diese Liebe gekämpft mit dem ganzen Aufgebot meiner Kraft und meines Stolzes. Der Traum sollte zu Ende sein! – Das vermessene Wort hat sich schwer genug an mir gerächt. In dem Augenblicke, wo ich sie niederzwingen wollte, erhob sich die Leidenschaft in ihrer ganzen Riesengewalt und lehrte mich ihre Macht kennen. Ich hüllte mich in Schroffheit und Eiskälte Dir gegenüber. Ich suchte Rettung in der Trennung, in der Arbeit, im Kampfe mit den feindlichen Elementen, die sich jetzt von allen Seiten gegen mich erheben – es war vergebens. Von Dir hatte ich mich losgerissen, und Dein Bild stand vor mir im Wachen wie im Traume; es drängte sich in die einsamste Arbeitsstunde hier und in die wildbewegteste Thätigkeit draußen, und wenn ich im Kampfe meinen Gegnern die Stirn bot, dann brach es wie Sonnenschein durch das Sturmgewölk, das mich umgab, und riß all mein Denken und Fühlen zu Dir zurück, zu Dir allein. Du mußt mein werden oder ich muß Dich von mir lassen auf ewig; jedes Dritte würde uns Beiden nur Verderben bringen. Antworte, Gabriele, wen liebst Du? Wem galt die Angst und Zärtlichkeit, die ich in Deinen Blicken las? Ich warte auf die Entscheidung.“
Er stand vor ihr, als erwarte er wirklich eine Entscheidung über Tod und Leben. Gabriele hörte halb betäubt dem Ausbruch einer Leidenschaft zu, die ein nur zu lautes Echo in ihrer eigenen Brust fand. Was Raven aussprach, das war ja nur der Wiederhall ihrer eigenen Gefühle. Auch sie hatte gekämpft und gerungen mit ihrer Liebe; auch sie hatte versucht, einer Macht zu entfliehen, aus deren Bereich es kein Entfliehen gab. Vor dieser Flammengluth, die mit elementarer Gewalt aus dem Innern des sonst so kalten, ernsten Mannes hervorbrach, sank Alles zusammen, was dem jungen Mädchen bisher Leben und Lieben geschienen, auch der Jugendtraum, der einst das ganze Leben auszufüllen versprach. Es war eben nur ein Traum gewesen, mit traumhaft dunklen Regungen und Ahnungen, die erst jetzt Form und Gestalt gewannen. Gabriele war erwacht; sie schaute der echten vollen Leidenschaft in’s Antlitz, und wenn sie auch fühlte, daß jene vulcanische Natur mit ihren düsteren Tiefen und ihrem lodernden Feuer weit eher vernichten als beglücken konnte, sie bebte nicht mehr davor. Was sie bisher Glück genannt, verblaßte und verschwand wie ein matter Schemen vor dem Flammensturme, der ihr hier entgegenwogte.
Das junge Mädchen machte noch einen letzten Versuch, sich an die Vergangenheit zu klammern.
„Georg – er liebt mich und vertraut mir – er wird namenlos unglücklich, wenn ich ihn verlasse.“
„Nenne den Namen nicht!“ fuhr Raven auf; sein Auge sprühte im wildesten Hasse. „Erinnere mich nicht immer wieder daran, daß dieser Mann allein es ist, der zwischen mir und meinem Glücke steht! Es könnte verhängnißvoll für ihn werden. Wehe ihm, wenn er es versuchen sollte, Dich bei Deinem übereilten Worte zu halten! Ich werde Dich davon lösen, sei es mit Güte oder Gewalt. Was bist Du diesem Winterfeld, was kannst Du ihm sein? Er mag Dich lieben in seiner Weise, aber er wird Dich hinabziehen in das Alltagsleben und Dir nur die Alltagsliebe geben, nichts weiter. Wenn er Dich verliert, so wird er es verschmerzen und in seiner Zukunft, seinem Berufe, in einer anderen Neigung Ersatz dafür finden. Solche leidenschaftslose Naturen wissen ja nicht, was Verzweiflung ist; die schleudert nichts aus ihrer Bahn; die gehen ruhig und pflichtgemäß ihren Weg weiter. Ich,“ hier sank die Stimme des Freiherrn; der
Haß verschwand aus seinen Zügen und der herbe Ton milderte sich mehr und mehr, bis er endlich zur vollsten Weichheit überging, „ich habe nie geliebt, habe nie gewußt, was Schwärmen und Träumen ist. In dem rastlosen Jagen nach Macht und Ehre ist mir die Sehnsucht nach dem Glücke verloren gegangen, die nun so spät noch in mir erwacht. Jetzt, im Herbste meines Lebens, zerreißt der Schleier und zeigt mir, was ich verlor, ohne es je besessen zu haben. Soll ich es wirklich auf immer verlieren? Fürchtest Du die Kluft der Jahre, die zwischen uns liegt? Ich kann Dir keine Jugend mehr entgegenbringen; sie ist dahin, aber
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_355.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2019)