Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1878) 342.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

zersprengt,“ tönte die Stimme des Hofrath Moser, der neben seinem Chef stand. „Man war am Begriff, das Stadtgefängniß zu stürmen und die Verhafteten zu befreien, als Sie so unerwartet eintrafen. Ich habe mit Bewunderung gesehen, wie Excellenz durch die bloße Autorität Ihrer Persönlichkeit die rebellische Menge bezähmten und zur Ordnung brachten, nachdem der Herr Polizeidirector mit seinem ganzen Beamtenpersonal es vergebens versucht hatte.“

Der Polizeidirector, der sich gleichfalls in der Begleitung des Gouverneurs befand, schien die Bemerkung übel zu nehmen, denn er entgegnete mit unverkennbarer Bosheit:

„Sie konnten das allerdings vom Fenster aus am besten beurtheilen, Herr Hofrath, und hatten überdies noch das angenehme Gefühl, in vollster Sicherheit zu sein, während Freiherr von Raven und ich uns mitten im ärgsten Tumult befanden.“

„Ich sah die Unmöglichkeit ein, zu meinem Chef zu gelangen,“ erklärte der Hofrath, „sonst hätte ich sicher versucht –“

„Nicht doch!“ fiel ihm der Freiherr in’s Wort. „Von Ihrer Seite wäre es ein ganz unnöthiges Wagniß gewesen, während es für mich und den Polizeidirector Pflicht war. – Es bleibt also bei den besprochenen Maßregeln,“ wandte er sich an den Letzteren. „Ich hoffe, sie werden für die Nacht ausreichen. Morgen kommt Oberst Wilten zurück, und ich werde sofort Rücksprache mit ihm nehmen damit der Wiederholung solcher Scenen ein für alle Mal vorgebeugt wird. Für den Augenblick ist alles Nothwendige geschehen. Sollten sich die Excesse wider Erwarten an irgend einem Punkte der Stadt wiederholen, so benachrichtigen Sie mich! – Guten Abend, meine Herren!“

Er verabschiedete sich mit kurzem Gruße von seinen Begleitern und trat in das Portal. Gabriele schloß leise das Fenster; sie wollte das Zimmer verlassen; der Freiherr sollte sie nicht hier finden, aber es war zu spät. Er mußte in stürmischer Eile die Treppe erstiegen haben, denn sie hörte bereits seinen Schritt in einem der Nebengemächer und hörte ihn auch zugleich fragen:

„Wie? Baroneß Harder ist nicht in ihrer Wohnung?“

„Das gnädige Fräulein ist im Arbeitszimmer Eurer Excellenz,“ erwiderte die Stimme des Dieners, „und wartet dort schon seit länger als einer Stunde.“

Es erfolgte keine Antwort, aber der Schritt kam mit verdoppelter Eile näher; die Thür wurde aufgerissen und Raven trat ein. Sein erster Blick fiel auf Gabriele, welche die Fensternische verlassen hatte und jetzt, bebend an allen Gliedern, dastand. Er errieth, weshalb sie gerade hier auf ihn gewartet, und war im nächsten Augenblicke an ihrer Seite.

„Ich wollte Dich drüben in Deinen Zimmern aufsuchen und hörte, daß Du hier seiest,“ sagte er – seine Stimme klang athemlos, gepreßt. „Es war mir nicht möglich, Dir eine beruhigende Nachricht zu senden, der Tumult ist erst jetzt bezwungen worden. Für den Augenblick ist Alles ruhig. Ich bin sofort hierher geeilt.“

Gabriele wollte antworten, aber die Stimme versagte ihr; sie brachte keinen Laut über die Lippen. Raven sah in das holde, blasse Antlitz, aus dem die Qual dieser letzten Stunden noch deutlich genug zu lesen war. Er machte eine Bewegung, als wolle er das junge Mädchen an seine Brust reißen, aber noch siegte die gewohnte Selbstbeherrschung. Er ließ den Arm wieder sinken, nur ein tiefer Athemzug entrang sich seiner Brust.

„Und nun, Gabriele,“ sagte er, wiederhole mir die Worte, „mit denen Du mich vorhin im Wagen von Dir stießest!“

„Welche Worte?“ fragte Gabriele beklommen.

„Die Unwahrheit, mit der Du Dich und mich zu täuschen versuchtest! Wiederhole es mir jetzt, Auge in Auge, daß Du Winterfeld liebst, ihn allein, daß Du ihm angehören willst! Wenn Du das kannst, so sollst Du kein Wort, keine Bitte weiter von mir hören, aber – sprich es noch einmal aus!“

Das junge Mädchen wich zurück. „Laß mich! Ich – laß mich, um Gotteswillen!“

(Fortsetzung folgt.)



Zum Arnoldi-Jubiläum.
Von Robert Keil.

Am 21. Mai dieses Jahres vollendet sich ein Jahrhundert seit dem Tage, an welchem Ernst Wilhelm Arnoldi zu Gotha geboren wurde. Seine Vaterstadt, die Stätte seines Schaffens und Wirkens, und mit ihr das gesammte deutsche Vaterland feiern das Gedächtniß eines der wackersten Patrioten, eines der genialsten, schöpferischesten Vorkämpfer auf dem Gebiete nationaler Selbsthülfe und Förderung des Nationalwohlstandes. Die „Gartenlaube“ hat bereits im Jahrgange 1870, Seite 872, eine Lebensskizze und das Portrait Arnoldi’s gebracht. Die seitdem, und insbesondere bei Gelegenheit des fünfzigjährigen Jubiläums der Begründung der deutschen Lebensversicherungsbank in Gotha, erfolgten Veröffentlichungen über seinen Lebensgang und über die von ihm geschaffenen segensreichen Institute, wie die soeben erschienene dankenswerthe Festschrift Julius Hopf’s: „Ernst Wilhelm Arnoldi und seine Schöpfung, die Feuerversicherungsbank für Deutschland“ (Gotha 1878), setzen uns in den Stand, bei der jetzigen Gedächtnißfeier des verdienstvollen Mannes zu jener Lebensskizze einige Ergänzungen zu geben.

Einen gründlichen systematischen Unterricht hat Arnoldi in seiner Kindheit nicht genossen. „Anlaß zur Lectüre,“ erzählt er, „wurde mir weder von meinen Eltern noch Lehrern gegeben. Jene waren unausgesetzt mit Erwerben und Erhalten beschäftigt und meinten, nachdem für die körperliche und sittliche Erziehung gesorgt worden, für die weitere Bildung der älteren Kinder genug gethan zu haben, wenn sie sie zu den angenommenen Privatlehrern schickten und diese gut bezahlten.“ Den reichen Schatz umfassender Kenntnisse, der ihn im späteren Leben abzeichnete, hat sich Arnoldi durch eifriges Selbststudium erworben, auch insofern wurde er alles, was er wurde, aus eigener Kraft.

Nach den heiter-ernsten Jahren der Lehre und der weiteren kaufmännischen Ausbildung, die er in Hamburg genossen, kam er 1799 nach Gotha zurück und ward zunächst Gehülfe, doch schon nach Verlauf von vier Jahren Theilhaber in der Handlung seines Vaters, welche er später im Verein mit seinen Brüdern fortführte. In dieser Stellung, als Haupt eines engverbundenen und glücklichen Familienkreises, in bürgerlicher, einfacher Häuslichkeit, hatte er sich bereits vor dem Jahre 1817 (dem Beginne seiner Schöpfungen) zu dem herausgebildet, was ihn und seine Werke charakterisirt, zu dem Manne lebhaften Geistes, durchdringenden Verstandes und schöpferischer Thatkraft, der mit dem Finanzgenie unermüdlichen Fleiß, Zähigkeit, Vorsicht und Energie verband. Patriot, voll Begeisterung für das Gute und Schöne, und selbst poetischen Talentes, war er zugleich der praktische Mann, der seine Ideale und Pläne muthig und unerschrocken verwirklichte. Fern von jedem engherzigen Egoismus, erfüllt vielmehr von selbstlosester Menschenliebe, stand er treu zu seinem Wahlspruche: „Du lebst für Dich, wenn Du für Andere lebst.“

Die schmachvolle napoleonische Gewaltherrschaft über Deutschland war vom deutschen Volke in blutigen Schlachten abgeworfen; das seit Jahrhunderten in ohnmächtiger Zerrissenheit gehaltene deutsche Volk fühlte sich wieder eins und ersehnte und hoffte eine freiheitliche, vom Auslande unabhängige politische und nationalökonomische Einigung. Mit vollem Feuereifer theilte Arnoldi diese Sehnsucht, dieses Streben, und wirkte in seinem Kreise und, so weit seine Kräfte reichten, energisch für die Erlangung jenes Zieles. Von dem Wunsche erfüllt, einen Schutz der inländischen Production gegen Uebervortheilung und Ausbeutung durch die egoistische Handelspolitik der fremden Staaten mit vereinten Kräften anzubahnen, machte er im Jahre 1817 öffentlich einen ausführlichen Vorschlag zu einem Bunde unter den deutschen Fabriken und schuf die kaufmännische Innungshalle zu Gotha – eine Art von Handelskammer, eine Vereinigung der Kaufleute der Stadt zur Wahrung der eigenen gewerblichen Interessen und zur Förderung gemeinnütziger Unternehmungen. So schuf er 1818 die Gothaische Handelsschule, jene auf Hebung der Bildung des kaufmännischen Standes abzielende Unterrichtsanstalt,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_342.jpg&oldid=- (Version vom 16.6.2019)