Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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nur Gelegenheit zu neuer Reizung geben werde, ließ er es fallen und ging zu einem anderen über, das ihm nahe am Herzen lag.
„Ich kehre jedenfalls morgen auf meinen Posten zurück,“ begann er wieder. „Mein Albrecht ist schon seit einigen Tagen wieder in der Stadt; es ist ihm freilich schwer genug geworden, sich loszureißen und den Pflichten seines Dienstes zu folgen. Er liegt ganz und gar in den Fesseln einer gewissen jungen Dame.“
Raven schwieg; er blieb wie zufällig an der Balconthür stehen und blickte halb abgewendet in den Garten hinaus.
„Ich darf wohl annehmen, daß Ihnen die Wünsche und Hoffnungen meines Sohnes nicht mehr unbekannt sind,“ fuhr Wilten fort, „Wünsche, die meine Frau und ich im vollsten Maße theilen. Wenn wir dabei auch auf Ihre Unterstützung rechnen dürften –“
„Hat sich Lieutenant Wilten bereits erklärt?“ unterbrach ihn der Freiherr, noch immer in seiner Stellung verharrend.
„Noch nicht! Fräulein von Harder nahm eine etwas zurückweisende Haltung an, und Albrecht wagte es daher nicht, sogleich mit seiner Bitte hervorzutreten. Ihnen gegenüber wird er das aber schon in den nächsten Tagen thun. Er darf doch wohl auf Ihre Fürsprache rechnen, das Wort eines Vaters ist ein mächtiger Beistand.“
„Eines Vaters!“ wiederholte Raven; es klang wie die herbste Ironie.
„Nun, oder dessen, der die Stelle des Vaters vertritt. Auch die Frau Baronin meint, daß Ihre Autorität bei ihrer Tochter schwer in’s Gewicht fallen werde.“
Raven fuhr mit der Hand über die Stirn und wandte sich langsam um.
„Sobald Lieutenant Wilten sich mir erklärt hat, werde ich Gabrielen seinen Antrag mittheilen und ihre Antwort fordern. Beeinflussen kann und will ich mein Mündel nicht.“
„Davon ist ja auch keine Rede,“ fiel der Oberst ein. „Wenn die junge Baroneß aber einwilligt, so handelt es sich doch vor allen Dingen um die Zustimmung des Vormundes. Die Frau Baronin hat meinem Sohne Hoffnung darauf gemacht.“
„Ich habe meiner Schwägerin bereits erklärt, daß ich nichts einzuwenden habe,“ sagte der Freiherr, dessen Lippen zuckten, als erduldete er eine innere Marter, während seine Stimme die gewohnte Ruhe behielt. „Die Entscheidung aber hängt einzig und allein von Gabriele ab. Will die Mutter sie beeinflussen, so mag sie es thun – ich enthalte mich jedes persönlichen Eingreifens.“
Der Oberst schien betroffen und ein wenig beleidigt durch diese kühle Aufnahme seiner Pläne, aber er schrieb sie der Verstimmung zu, in welche die Ereignisse in der Stadt den Gouverneur versetzt hatten. „Ich begreife, daß Sie jetzt den Kopf voll von ganz anderen Dingen haben,“ erwiderte er. „Aber wenn solch ein junger Hitzkopf, wie mein Albrecht, verliebt ist, so fragt er nicht viel darnach, ob Zeit und Umstände seiner Werbung auch günstig sind, und will sich durchaus nicht zum Warten bequemen. – Um aber wieder auf die Abreise zu kommen; wäre es nicht besser, Sie ließen die Damen noch eine Zeitlang hier? Der Aufenthalt in R. ist jetzt nicht angenehm, und meine Frau würde sich mit Freuden entschließen, um ihrer lieben Gäste willen den Landaufenthalt zu verlängern.“
„Ich danke,“ lehnte Raven ab. „Es soll nicht heißen, daß meine Verwandten der Stadt fern bleiben, weil ich die Lage für bedrohlich erachte. Dergleichen Gerüchte sind bereits aufgetaucht, und es ist die höchste Zeit, daß sie widerlegt werden.“
Oberst Wilten sah ein, daß er diesem Grunde weichen müsse, und fügte sich. Es blieb also bei der beschlossenen Abreise, und einige Stunden später kehrte der Freiherr mit Gabriele nach der Stadt zurück, wo der Oberst mit den beiden anderen Damen am nächsten Mittag eintreffen wollte.
Es war ein kühler, etwas stürmischer Herbsttag, wo Regenschauer und Sonnenblicke beständig abwechselten. Die ersteren hatten zwar gegen Mittag aufgehört, aber die jetzt schon sinkende Sonne kämpfte noch immer mit dem Gewölk, das den ganzen Himmel umzogen hielt. Raven war trotz der wenig einladenden Witterung, seiner Gewohnheit gemäß, im offenen Wagen gekommen, und die schönen, in ganz R. wegen ihrer Schnelligkeit berühmten Pferde trugen das leichte Gefährt wie im Fluge dahin. Von Seiten der beiden Insassen wurde die Fahrt größtenteils schweigend zurückgelegt. Der Freiherr schien ganz mit seinen Gedanken beschäftigt, und Gabriele sah gleichfalls stumm in die Gegend hinaus. Der Wind blies schärfer von den Bergen her, und das junge Mädchen zog den Mantel fester um die Schulter. Raven bemerkte es.
„Dich friert,“ sagte er. „Ich hätte bedenken sollen, daß Du bei solcher Witterung nicht an die Fahrt im offenen Wagen gewöhnt bist. Ich werde das Verdeck schließen lassen.“
Er wollte dem Kutscher einen Befehl geben, aber Gabriele hielt ihn zurück. „Ich danke. Ich ziehe selbst diese rauhe Luft dem geschlossenen Wagen vor, und der Mantel schützt mich ja vollkommen.“
„Wie Du willst.“ Der Freiherr beugte sich nieder; er hob die Wagendecke empor, die herabgeglitten war, und legte sie um die schlanke Gestalt seiner jungen Begleiterin, die jetzt leise und beinahe scheu sagte: „Onkel Arno, ich habe eine Bitte an Dich.“
„Ich höre,“ versetzte er einsilbig.
„Wenn dieser enge Verkehr mit der Familie des Oberst Wilten auch in der Stadt fortgesetzt werden soll, so erlaß wenigstens mir die Betheiligung daran!“
„Weshalb?“
„Weil ich während unseres Landaufenthaltes entdeckt habe, daß die Mama einen ganz bestimmten Plan verfolgte, als sie die Einladung annahm, einen Plan, den auch Du begünstigt.“
„Ich begünstige nichts!“ sagte Raven kalt. „Deine Mutter handelt ganz nach eigenem Wunsche und auf eigene Verantwortung. Ich stehe der Sache vollständig fern.“
„Man wird aber Deine Entscheidung fordern,“ erwiderte Gabriele. „Wenigstens hat mir die Mama angedeutet, daß Albrecht von Wilten nächstens eine Bitte an Dich richten wird, die –“
„Dich betrifft,“ ergänzte Raven, als sie inne hielt. „Das ist allerdings wahrscheinlich, aber darüber hast Du allein zu entscheiden, und ich werde den jungen Baron auf Deine Antwort verweisen.“
„Erspare ihm und mir das!“ fiel das junge Mädchen hastig ein. „Es würde für ihn ebenso kränkend sein, ein Nein aus meinem Munde zu hören, wie es mir peinlich wäre, es auszusprechen.“
„Du bist also entschlossen, seinen Antrag zurückzuweisen?“
Sie schlug das Auge groß und vorwurfsvoll auf. „Das fragst Du noch? Du weißt ja, daß ich einem Anderen mein Wort gegeben habe.“
„Und Du weißt, daß ich jenes übereilte Versprechen nicht als eine Fessel anerkenne, die Dich binden könnte. Weil ich einem Anderen mein Wort gegeben habe! – das klingt sehr pflichtgemäß. Früher sagtest Du: ‚Weil ich einen Anderen liebe!‘“
Die Bemerkung mußte wohl treffen, denn in dem Antlitz Gabrielens stieg eine dunkle Röthe auf und sie umging die Antwort.
„Albrecht von Wilten war mir bisher gleichgültig,“ entgegnete sie. „Seit ich weiß, daß seine Hand mir aufgedrungen werden soll, habe ich einen Widerwillen gegen ihn gefaßt. Ich werde nie seine Gattin werden.“
Die Brust des Freiherrn schien sich unter einem tiefen Athemzuge zu erweitern, aber er versetzte in dem eisigen Tone, den er während des ganzen Gespräches festgehalten hatte:
„Ich will Dich zu einer Wahl weder zwingen noch überreden. Wenn Du wirklich fest entschlossen bist, dem jungen Wilten ein Nein zu geben, so ist es allerdings besser, sein Antrag unterbleibt überhaupt. Ich werde dem Oberst mittheilen, daß er sich keine Hoffnung machen darf; es soll schon morgen geschehen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_326.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)