Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Mittel in Bereitschaft, um jenen romantischen Jugendtraum bei ihrer Tochter in den Hintergrund zu drängen – die Bewerbung des jungen Lieutenant Wilten, der mit seinen Absichten jetzt deutlicher hervortrat.
Oberst Wilten hatte seit jenem Festabende, wo er bemerkte, wie sehr sein ältester Sohn von dem Anblicke und den Reizen der jungen Baroneß Harder gefesselt war, den Plan einer Verbindung festgehalten. Da der Freiherr sich den ersten Andeutungen gegenüber sehr unzugänglich zeigte, so wandte der Oberst sich an die Baronin, die er denn auch seinen Wünschen geneigter fand. In der That ließ sich nicht viel gegen die Partie einwenden, die selbst einer anspruchsvollen Mutter genügen konnte. Die Wilten gehörten einem altaristokratischen Geschlechte an und waren mit den vornehmsten Familien des Landes verwandt oder verschwägert. Sie waren allerdings nicht reich, aber dieser Mangel wurde durch Gabrielens Mitgift und dereinstiges Vermögen abgeglichen, wenn, wie es zu erwarten stand, der Freiherr die Verbindung genehmigte. Albrecht von Wilten war ein junger, hübscher Officier, dem die Uniform vorzüglich stand und der ebenso vorzüglich ritt und tanzte. Er war ein liebenswürdiger Cavalier, wußte angenehm zu unterhalten und schien Gabriele wirklich tief und aufrichtig zu lieben. Kurz, er besaß alle Eigenschaften, welche Frau von Harder von ihrem künftigen Schwiegersohne verlangte, und der Oberst und dessen Gemahlin, denen die präsumtive Erbin des Freiherrn von Raven als Schwiegertochter sehr erwünscht war, überhäuften Mutter und Tochter mit Aufmerksamkeiten.
Die Baronin sondirte zuvörderst bei ihrem Schwager. Sie machte freilich die unangenehme Entdeckung, daß Gabriele durch ihren Trotz und Eigensinn das frühere Wohlwollen des Vormundes vollständig verscherzt hatte, denn er nahm den ganzen Plan mit eisiger Gleichgültigkeit auf. Er erklärte zwar, daß er nichts dagegen einzuwenden habe, verweigerte aber jedes Eingreifen seinerseits und überließ Alles der Mutter allein. Diese gewann indeß die tröstliche Ueberzeugung, daß ihre Tochter als Baronin Wilten im ungeschmälerten Besitz all’ der Rechte bleiben werde, die das Testament des Freiherrn ihr verhieß, und damit fiel auch das letzte Bedenken. Gabriele durfte allerdings von dem Plane noch nichts wissen; sie schien den jungen Officier nicht ungern zu sehen, verhielt sich aber ihm gegenüber ziemlich kühl und zurückhaltend und legte seinen Huldigungen offenbar keine tiefere Bedeutung bei. Sie weigerte sich deshalb auch nicht, die Mutter zu begleiten, als diese eine Einladung nach dem Wilten’schen Landsitze annahm, der einige Meilen von der Stadt entfernt am Fuße des Gebirges lag. Die kränkliche Gattin des Obersten pflegte dort den Sommer zuzubringen; sie war noch nicht wieder nach R. zurückgekehrt, und da der Herbst noch schöne, sonnige Tage versprach, so ruhte Lieutenant Wilten nicht, bis er die Zusage eines Besuches erhielt. Er nahm natürlich sofort Urlaub, um den Damen bei diesem Herbstaufenthalt Gesellschaft zu leisten, und auch der Oberst machte sich auf kurze Zeit von den Pflichten seines Dienstes frei. Die Sache war also angeknüpft, und man beschloß, das Weitere den jungen Leuten selbst zu überlassen.
Der Freiherr, dem die Einladung gleichfalls galt, hatte sich mit der Ueberhäufung von Geschäften und der Nothwendigkeit entschuldigt, bei der fortgesetzt unruhigen Stimmung, die in der Stadt herrschte, auf seinem Posten zu bleiben. Die Damen reisten also allein ab, und Gabriele athmete auf, als der Wagen aus dem Portal des Regierungsgebäudes rollte. Sie hatte unter den Erlebnissen der letzten Wochen am schwersten gelitten, und doch hatte Raven Wort gehalten; kein Blick, kein Laut erinnerte sie mehr an jenen „unbewachten Augenblick“, den sie vergessen sollte, wie er ihn vergessen zu haben schien. Er nannte den Namen Georg Winterfeld’s nicht wieder seit dem Tage, wo er dem jungen Mädchen ankündigte, daß der Assessor R. verlassen habe, um seine Stellung in der Residenz anzutreten, doch der Freiherr selbst war seitdem noch verschlossener und unzugänglicher, als sonst. Er beherrschte und leitete Alles mit gewohnter Energie, aber zwischen ihm und Gabriele schien sich eine endlose Kluft aufgethan zu haben, die jede Möglichkeit der Annäherung oder Versöhnung ausschloß. Es lag eine Eiseskälte in seinem Benehmen gegen sie, und sie griff mit einer förmlichen Hast nach dem Vorschlage der Mutter, nur um auf kurze Zeit einem Zusammenleben zu entgehen, das mit jedem Tage unerträglicher wurde. Auch Raven schien die Trennung zu wünschen, denn er hatte nichts gegen den Ausflug einzuwenden und gab sofort seine Einwilligung, als die Baronin ihn auf volle vierzehn Tage ausdehnte.
Es war am letzten Tage dieses Aufenthaltes, als der Gouverneur nach dem Wilten’schen Landsitze hinausfuhr, um die Damen abzuholen. Die Baronin hatte sich eine Erkältung zugezogen und wagte es nicht, bei der ziemlich rauhen Witterung eine Fahrt von mehreren Stunden zu unternehmen. Sie wollte erst am nächsten Tage in Begleitung des Obersten und seiner Gattin nach der Stadt zurückkehren während Gabriele den Vormund schon heute zurückbegleiten sollte. Raven, der in den Vormittagsstunden gekommen war, wollte gleich nach Tische wieder fort, und Oberst Wilten bemühte sich vergeblich, ihn gleichfalls zum Bleiben zu bewegen.
„Ich kann nicht,“ sagte der Freiherr, während Beide, im Gespräch begriffen, im Gartensalon auf und nieder schritten. „Ich darf unter den jetzigen Umständen die Stadt nicht auf länger als höchstens einige Stunden verlassen und habe selbst für diese kurze Abwesenheit Anordnungen getroffen, um sofort erreichbar zu sein, wenn irgend etwas vorfällt.“
„Ist die Lage so bedrohlich?“ fragte der Oberst, der seit acht Tagen auf seinem Gute war.
„Bedrohlich?“ Raven zuckte die Achseln. „Man schreit und lärmt noch ärger als sonst und giebt mir durch gelegentliche Krawalle das Mißfallen der guten Stadt R. an meiner Person und meinem Regiment hinreichend zu erkennen. Ich habe einige der ärgsten Schreier, die in offener Versammlung die Nothwendigkeit meiner Absetzung decretirten, ergreifen und dingfest machen lassen, und darüber giebt es nun Empörung an allen Ecken und Enden. Der Bürgermeister war selbst bei mir, um im Namen der Gerechtigkeit die Freilassung der Verhafteten zu verlangen. Ich war genötigt, dem Herrn bemerklich zu machen, daß meine Geduld jetzt erschöpft sei, und daß ich in anderer Weise eingreifen werde, als es bisher geschehen ist.“
Die Worte verrieten trotz ihres sarkastischen Anfluges doch eine tiefe Gereiztheit, auch Wilten war ernst geworden.
„Es gährt schon seit Monaten,“ bemerkte er. „Wenn der drohende Ausbruch bisher vermieden wurde, so danken wir das nur dem äußerst taktvollen Benehmen des Polizeidirectors.“
„Er und seine Beamten werden aber der wachsenden Aufregung nachgerade machtlos gegenüber stehen; der Polizeidirector liebt viel zu sehr die halben Maßregeln, als daß ich mich ernstlich auf ihn verlassen könnte. Was ich auch befehlen und anordnen mag, ich finde stets ein gefügiges Entgegenkommen, aber sobald es sich um die Ausführung handelt, giebt es Hindernisse und Zögerungen ohne Ende, und wir kommen nicht von der Stelle. – Es ist mir lieb, daß Sie morgen ohnehin nach der Stadt zurückkehren; ich hätte Sie sonst ersucht, Ihren Urlaub abzukürzen. Sie sind Commandant der Garnison, und ich weiß nicht, ob und wie bald ich das Militär brauchen werde.“
„Excellenz, das sollten Sie lieber vermeiden,“ sagte der Oberst eindringlich. „Das sind Gewaltschritte, die nicht mehr zurück gethan werden können, und Sie wissen, meine Instructionen –“
„Weisen Sie an, die Garnison zu meiner Verfügung zu stellen!“ fiel der Freiherr ein.
„Nein, sie weisen mich nur an, Ihnen im äußersten Nothfalle meine Unterstützung zu leihen,“ entgegnete der Oberst, gereizt durch den herrischen Ton, „und man wünscht beim Armeecommando ernstlich, daß dieser Fall vermieden werde. Es läßt sich da wirklich kaum eine Grenze ziehen, wo Ihre Verantwortung aufhört und wo die meinige beginnt. Ich würde Bedenken tragen, jetzt schon das Militär eingreifen zu lassen.“
„Das ist natürlich,“ sagte Raven kurz. „Sie sind Soldat und gewohnt, sich der Disciplin zu beugen; ich habe mir von jeher in meiner Stellung die Freiheit und Unabhängigkeit des Handelns gewahrt. Seien Sie indeß überzeugt, daß ich thun werde, was in meinen Kräften steht, um Ihnen das Bedenken zu ersparen!“
„Wir wollen hoffen, daß es nicht zum Aeußersten kommt,“ lenkte der Oberst ein, der nichts weniger wünschte, als den Freiherrn zu erzürnen. Er rechnete gerade jetzt sehr auf dessen Freundschaft, und da er voraussah, daß das bisherige Gesprächsthema
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_325.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)