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Seite:Die Gartenlaube (1878) 323.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrechte vorbehalten.


Am nächsten Morgen, als die Glocken des Domes läuteten, schritt Hofrath Moser, seine Tochter am Arme, langsam und würdevoll nach der Kirche, um dort seinen gewohnten Platz einzunehmen. Die Aufmerksamkeit des frommen alten Herrn war natürlich nur auf den Gottesdienst gerichtet, und deshalb bemerkte er nicht, daß Agnes nicht wie sonst mit niedergeschlagenen Augen andachtsvoll im Kirchstuhl saß, sondern halb ängstlich und halb erwartungsvoll umherspähete. Sie brauchte nicht allzu lange zu suchen; kaum zwölf Schritte von ihr entfernt, in der Nähe der Kanzel, stand Doctor Brunnow und spähete gleichfalls erwartungsvoll umher. Die beiden Augenpaare, die sich mit solchem Eifer suchten, mußten sich nothgedrungen begegnen. Das geschah denn auch, und als Max sah, wie das blasse, zarte Gesichtchen in freudigster Ueberraschung aufleuchtete und von einer förmlichen Rosengluth übergossen wurde bei seinem Anblick, als er einen dankbar innigen Blick der dunklen Augen auffing, die ihm noch nie so ausdrucksvoll erschienen waren, wie heute, da dachte er weder an sein Programm noch an dessen Paragraphen; er dachte nur, daß dieser Kirchenbesuch doch auch seine großen Annehmlichkeiten habe, und setzte sich mit einer Energie nieder, die seinen Entschluß, die ganze Predigt von Anfang bis zu Ende auszuhalten, auf das Deutlichste bekundete.

Er hörte nun allerdings die Predigt, ob mit oder ohne Andacht, mochte dahingestellt bleiben, aber dafür hatte er einer der eifrigsten Kirchgängerinnen alle Andacht geraubt. Es ließ sich wirklich schwer entscheiden, wer von den Beiden eigentlich der Bekehrte war. –

Am Nachmittage desselben Tages fand nun wirklich die beabsichtigte Zusammenkunft statt, die der Zufall außerordentlich begünstigte. Hofrath Moser hatte die Einladung eines Collegen angenommen und befand sich in der Stadt. Frau Christine war gleichfalls ausgegangen; es bedurfte also nicht einmal eines Vorwandes, und der Besuch Gabrielens bei Agnes Moser einerseits und das Eintreffen des Assessor Winterfeld, der seinen Vorgesetzten verfehlte, andererseits machten sich so zwanglos, daß beides immerhin für einen Zufall gelten konnte.

„Verzeih, daß ich zu diesem Mittel griff!“ sagte Georg hastig, sobald er sich mit Gabriele allein sah. „Mir blieb keine Wahl, und ich habe es dem Freiherrn offen erklärt, daß ich es auch gegen seinen Willen versuchen werde, Dich noch einmal zu sehen und zu sprechen. Ich komme, Dir Lebewohl zu sagen – vielleicht auf Jahre.“

Gabriele war bleich geworden, und ihre Augen hafteten mit dem Ausdruck des Schreckens auf dem Redenden.

„Um Gotteswillen – was ist geschehen?“

„Nichts von meiner Seite, was Dich beunruhigen könnte. Es ist die Hand Deines Vormundes, die uns so unerbittlich trennt. Er kündigte mir gestern meine Versetzung nach der Residenz und an das Ministerium an. Du siehst, wie weit sein Einfluß reicht und wie er ihn zu brauchen weiß, wenn es gilt, uns von einander zu reißen.“

„Nein, nein, Du darfst nicht fort,“ rief Gabriele angstvoll und schmiegte sich, wie Schutz suchend, an ihn. „Du darfst mich jetzt nicht verlassen, Georg. Nur jetzt laß’ mich nicht allein!“

„Weshalb nicht?“ fragte er betroffen. „Quält man Dich so sehr um meinetwillen? Freilich, ich hätte es ahnen können! Raven ist hart und rücksichtslos bis zur Grausamkeit, sobald man sich gegen seinen Willen auflehnt. Du wirst mit Vorwürfen, mit Quälereien und Drohungen verfolgt, nicht wahr, Gabriele? Man bietet Alles auf, Deinen Widerstand zu brechen? Sprich, ich muß die Wahrheit wissen.“

Das junge Mädchen machte eine matte, verneinende Bewegung.

„Du irrst, davon ist keine Rede. Mein Vormund hat seit jenem Tage, wo er mir erklärte, daß er unwiderruflich bei seinem Nein bleibe, Deinen Namen nicht wieder genannt und auch die Mama veranlaßt, mich mit den Vorwürfen zu verschonen, mit denen sie anfangs auf mich einstürmte, aber er geht seitdem mit einer Eiseskälte an mir vorüber, und ich – Georg, ist es denn nicht möglich, daß Du in meiner Nähe bleibst?“

„Ich kann nicht,“ sagte Georg, der selbst nur mit Mühe seine tiefe Erregung beherrschte. „Ich muß dem Rufe folgen; es ist unmöglich, ihn abzulehnen. Unter anderen Umständen würde ich diese neue Lebensrichtung ja mit Freuden begrüßen; sie eröffnet mir eine ganz andere Zukunft als meine Stellung hier in R., wo das Uebergewicht, das der Freiherr nach allen Richtungen hin ausübt, jede selbstständige Regung und jedes eigene Streben unterdrückt, aber ich weiß nur zu gut, daß diese sogenannte Beförderung nur den Zweck hat, mir mein Höchstes, Theuerstes, Deine Liebe, zu rauben und Dich mir auf immer zu entreißen. Dein Vormund hat zwei mächtige Bundesgenossen zu Hülfe gerufen, die Zeit und die Entfernung. Vielleicht verhelfen sie ihm doch zum Siege.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_323.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)