Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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nach dem Schicksal meines Receptes erkundigen. Sie haben es jedenfalls nicht benutzt?“
„Doch!“ erwiderte Agnes leise. „Ich habe die Arzenei genommen.“
„Mit irgend einem Erfolge?“
„Ja, ich befinde mich weit besser seitdem.“
„Das freut mich. Ist denn aber mein Herr College, der Sie jetzt behandelt, damit einverstanden, daß Sie den Verordnungen eines Anderen folgen?“
„Mich behandelt augenblicklich Niemand,“ gestand das junge Mädchen. „Herr Doctor Helm, der ursprünglich gerufen war, hat das Mißverständnis sehr übel genommen. Ich mag ihn wohl etwas verlegen und zweifelnd empfangen haben, denn er entfernte sich sofort, als er bereits ein Recept vorfand, und nahm auch die nachträgliche Entschuldigung meines Vaters sehr kühl auf. Da ich mich nun schon am nächsten Tage besser befand – – so meinte ich – nun, so bin ich vorläufig bei Ihren Verordnungen geblieben.“
„Bleiben Sie nur dabei!“ sagte Max trocken. „An der Arzneiflasche wenigstens haftet nichts Staatsgefährliches; das wird wohl auch der Herr Hofrath einsehen.“
Sie hatten jetzt den Schloßberg erreicht, und Agnes blieb stehen in der sicheren Voraussetzung, daß ihr Begleiter sich nun entfernen werde, er bemerkte aber nur: „Sie gehen wahrscheinlich durch die Anlagen des Schloßberges – das ist auch mein Weg,“ und blieb an ihrer Seite mit einer Miene, als sei dies die einfachste und natürlichste Sache von der Welt.
Das junge Mädchen sah ihn scheu und ängstlich an. Ihre Schüchternheit erlaubte ihr nicht, die Begleitung abzuschlagen; so ergab sie sich denn in das Unvermeidliche, und sie schritten zusammen vorwärts.
„Was meine gegenwärtige Patientin betrifft,“ nahm der Arzt wieder das Wort, „so ist ihr Zustand allerdings sehr bedenklich, aber nicht durchaus hoffnungslos. Vielleicht ist es mir möglich, sie ihrer Familie zu erhalten. Ich entnahm aus den Dankesworten der Frau, daß auch Sie sie schon öfter besucht haben.“
„Wir hörten von der bedrängten Lage der Familie,“ erklärte Agnes. „Mein Vater kennt den Mann, der bisweilen Arbeiten für die Kanzlei liefert, als fleißig und ehrlich, und so entschloß ich mich, die Kranke zu besuchen, um ihr wenigstens geistlichen Trost zu spenden.“
„Der geistliche Trost ist vorläufig ganz überflüssig,“ sagte Max in seiner rücksichtslosen Weise. „Kräftige Bouillon und stärkende Weine sind weit nothwendiger.“
Fräulein Agnes schien wieder in Begriff, eine ihrer Rückzugsbewegungen auszuführen, mit denen sie schon bei der ersten Begegnung ihr Entsetzen vor den gottlosen Aeußerungen des Doctors documentirte; diesmal besann sie sich aber und hielt Stand; ihre sanfte, leise Sprache gewann sogar eine Beimischung von Schärfe, als sie antwortete:
„Auch dafür habe ich die Mittel gebracht und werde es noch ferner thun, so weit es in meinen Kräften steht. Ich hielt es aber zugleich für dringend nothwendig, die Schwerkranke auf den Himmel vorzubereiten, der vielleicht bald ihrer wartet.“
„Das ist eine eigenthümliche Beschäftigung für junge Damen Ihres Alters,“ bemerkte Max. „In Ihren Jahren pflegt man sich noch vorzugsweise mit der Erde zu befassen und die himmlischen Freuden auf sich beruhen zu lassen.“
Agnes war offenbar beleidigt durch den Spott; sie ließ sogar ihre gewohnten Sanftmuth fahren und erwiderte in etwas gereiztem Tone:
„Ich habe der Welt bereits entsagt und bereite mich mit solchen frommen Diensten nur auf meinen künftigen Beruf vor. Ich werde in wenigen Monaten den Schleier nehmen.“
Max blieb stehen und sah seine Begleiterin mit dem Ausdruck der höchsten Betroffenheit an. „Das geht nicht,“ sagte er plötzlich.
„Herr Doctor, ich bitte Sie,“ mahnte das junge Mädchen, aber der Herr Doctor nahm gar keine Notiz von diesem Protest gegen seine unbefugte Einmischung.
„Ein für alle Mal: das geht nicht,“ wiederholte er mit Entschiedenheit. „Sie sind kränklich, sind überhaupt von sehr zarter Constitution und bedürfen der größten Schonung, wenn Sie dauernd genesen wollen. Das Klosterleben mit seinen strengen Vorschriften, seiner Abgeschlossenheit und den anstrengenden und aufregenden Bet- und Bußübungen ist für Sie ganz und gar nicht geeignet. Es bringt Ihnen ohne Frage ein Brustübel – die Schwindsucht – den Tod.“
Der junge Arzt warf das alles mit einer Unfehlbarkeit hin, als habe er in eigener Person das angedrohte Schicksal zu verhängen, und seine Worte verfehlten auch nicht ihre Wirkung. Agnes sah ihn ganz erschrocken mit ihren dunklen Augen an, dann aber neigte sie ergebungsvoll das Haupt und versetzte kaum hörbar:
„Ich habe nicht geglaubt, daß mein Leiden so ernster Natur sei.“
„Es ist gar nicht ernst, wenn Sie eine vernünftige und naturgemäße Lebensweise führen,“ rief Max im vollsten Aerger, „aber das Klosterleben ist der Gipfel aller Unnatur und Unvernunft, und Sie vollends werden schon in den ersten Jahren daran zu Grunde gehen.“
Agnes überlegte augenscheinlich, ob sie schleunigst diesen Doctor fliehen sollte, dessen Gottlosigkeit sich eben wieder so unzweideutig zeigte, aber sie zog es vor, sich einen noch tieferen Einblick in seine Verderbtheit zu verschaffen, und fragte nun ihrerseits:
„Sie hassen also die Klöster?“
„Es ist mein Beruf, allerlei Leiden und Plagen des Menschengeschlechtes zu bekämpfen,“ versetzte der junge Arzt mit malitiöser Aufrichtigkeit.
„Und Sie hassen auch die Religion?“
„Je nach dem – es kommt darauf an, was man so nennt – übrigens sind Kloster und Religion ganz verschiedene Dinge.“
Das war zu viel für die angehende Nonne; sie beschleunigte ihren Schritt, um aus dieser gefährlichen Nähe fortzukommen, aber das half ihr durchaus nichts. Max fiel augenblicklich in das gleiche Tempo, und sie blieben nach wie vor bei einander.
„Sie sind natürlich anderer Ansicht,“ fuhr er fort, da er keine Antwort erhielt. „Sie sind aber auch in ganz anderen Umgebungen und Anschauungen erzogen als ich. Was mich betrifft, so möchte ich alle Klöster –“
„Vom Erdboden vertilgen?“ fiel das junge Mädchen mit zitternder Stimme ein.
„Das gerade nicht,“ sagte der praktische Max. „Es wäre ja schade um die schönen Gebäude. Man könnte sie nutzbringend verwerthen, und auch für die Insassen würde sich irgend eine Bestimmung finden. Die Nonnen zum Beispiel könnte man verheirathen.“
„Ver–heirathen!“ wiederholte Agnes, den Sprechenden in starrem Entsetzen anblickend.
„Ja, warum nicht?“ fragte er in größter Seelenruhe. „Ich glaube nicht, daß man da auf allzu häufigen Widerspruch stoßen würde. Es wäre wirklich das Beste, sämmtliche Nonnen zu verheirathen.“
Fräulein Agnes mußte wohl eine dunkle Furcht hegen, das ihren künftigen Mitschwestern angedrohte Schicksal könne sich ganz urplötzlich an ihr vollziehen, denn sie fing förmlich an zu laufen, aber vergebens; denn Max lief mit.
„Die Sache ist gar nicht so schlimm, wie Sie sich vorstellen,“ sagte er. „Jeder vernünftige Mensch heirathet und die Meisten befinden sich sehr wohl dabei. Es ist wirklich unverzeihlich, einem jungen Mädchen eine solche Abneigung gegen Dinge einzuflößen die sich ganz von selbst verstehen und – ja, mein Fräulein, nun müssen wir aber ausruhen – ich bin zu Ende mit meinem Athem. Gott sei Dank! Ihre Lunge ist noch kerngesund, sonst hätten Sie diesen Sturmlauf nicht ausgehalten.“
Agnes blieb gleichfalls stehen, denn auch ihr versagte jetzt der Athem. Ihre sonst so blasser Wangen waren von der Anstrengung geröthet, und diese Röthe stand dem feinen Gesichtchen allerliebst. Doctor Brunnow sah das, aber es machte durchaus keinen mildernden Eindruck auf ihn; er griff vielmehr mit strafender Miene nach dem Puls des jungen Mädchens.
„Wozu nun wieder diese ganz unnöthige Erhitzung! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie sich schonen müssen. Sie werden jetzt im langsamsten Schritt nach Hause gehen, und ich
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_292.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)