Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Armen da und auf seinen Zügen lag der Ausdruck einer kalten Strenge, als er halblaut sagte:
„Ich habe im Laufe des Abends eine eigenthümliche Entdeckung gemacht, Gabriele. Zwischen Dir und dem Assessor Winterfeld scheint eine Vertraulichkeit zu herrschen, die sich weder mit seiner Stellung verträgt, noch mit der Deinigen in meinem Hause. Ich will hoffen, daß es nur Deine Unerfahrenheit ist, die ihm dergleichen Freiheiten gestattet, jedenfalls wirst Du mir Aufklärung darüber geben, wie weit Eure Bekanntschaft eigentlich geht.“
Das Antlitz des jungen Mädchens war wieder in dunkle Gluth getaucht, wie vorhin beim Tanze, als sie dem Blick ihres Vormundes begegnete, aber der ganz ungewohnte Ton aus seinem Munde ließ ihren Trotz aufflammen; sie richtete sich sehr entschieden auf.
„Wenn Du wünschest, Onkel Arno –“
„Jetzt nicht!“ unterbrach er sie mit einer abwehrenden Handbewegung. „Es ist allzu spät heute, und ich wünsche Deine Mutter nicht zum Zeugen der Unterredung. Ich erwarte Dich morgen früh in meinem Arbeitszimmer; da wirst Du mir auf meine Fragen Rede stehen – gute Nacht!“
Er wandte sich ab, ohne ihr die Hand zu reichen oder ihr Zeit zur Erwiderung zu lassen, und schritt nach dem anderen Ende des Saales. Gabriele stand stumm und betreten da; es war das erste Mal, daß die Strenge und Schroffheit des Freiherrn sich gegen sie kehrte, und zum ersten Male fühlte sie, daß die unvermeidliche Katastrophe nicht so leicht vorübergehen werde, wie sie bisher in ihrer Sorglosigkeit geglaubt. Erst als die Mutter nach ihr rief, fuhr sie aus ihrem Nachdenken auf und eilte an deren Seite.
Raven folgte ihr mit den Augen; seine Lippen waren fest zusammengepreßt, wie im verhaltenen Zorn oder Schmerz, und auf seiner Stirn lag es finster, wie eine Wetterwolke.
„Ich muß die Wahrheit wissen,“ murmelte er. „Freilich, was wird es sein – eine Kinderthorheit! eine flüchtige Reisebekanntschaft, die sich die Beiden mit der nöthigen Romantik ausgeschmückt haben und die in einigen Wochen vergessen ist. Gleichviel, ich werde dafür sorgen, daß es von Blicken nicht zu Worten kommt und daß der Sache bei Zeiten ein Ende gemacht wird.“
Der nächste Morgen brach trübe und sonnenlos an. Er brachte einen nassen, kalten Septembertag, der mit vollem Nachdruck ankündigte, daß es nun mit der Herrlichkeit des Sommers vorbei sei und der Herbst seinen Einzug halte. Ein feiner Staubregen sprühte nieder; die Berge verschwanden hinter einem dichten Nebelschleier, und im Schloßgarten jagte der Wind die ersten Blätter von den Bäumen.
Freiherr von Raven befand sich allein in seinem Arbeitszimmer. Das mittelgroße Gemach mit der hoch gewölbten Decke und der tiefen Nische des einzigen breiten Bogenfensters machte in der That einen düsteren Eindruck. Es war nicht minder prachtvoll eingerichtet als die übrigen Räume des Schlosses, aber diese Pracht wirkte hier entschieden als Einfachheit. Die kostbare Holzbekleidung der Wände, die schweren geschnitzten Eichenmöbel, die reichgewirkten Vorhänge – das alles war durchweg in dunklen Farben gehalten, und der alterthümliche Kamin von schwarzem Marmor schloß sich dieser Einrichtung an, die absichtlich das Glänzende zu vermeiden schien. Der Schreibtisch mit seiner Last von Papieren und Schriften, die Bücher an den Wänden ringsum, in denen alle Gebiete des Wissens vertreten waren, und die Karten, Pläne und Zeichnungen, die auf den Tischen lagen, gaben ein Bild all der hundert verschiedenen Interessen und Anforderungen, die hier ihrer Erledigung harrten. Dieses Zimmer war nicht zum behaglichen Wohnen oder stillen Ausruhen geschaffen; alles darin trug den Stempel ernster, unausgesetzter Arbeit und Thätigkeit.
Raven arbeitete sonst viel in den Morgenstunden; heute saß er am Schreibtische, den Kopf in die Hand gestützt, ohne einen Blick auf die zahlreichen Briefe und Eingaben, Berichte und Verfügungen zu werfen, die vor ihm lagen. Auf seinem Antlitze lag jene Blässe, welche eine durchwachte Nacht anzudeuten pflegt, und der strenge Ausdruck trat deutlicher als je hervor; sonst waren die Züge eisern und unbewegt wie gewöhnlich. Er schien ganz in finsteres Nachsinnen verloren zu sein und sah nicht auf, als die Thür des Arbeitszimmers geöffnet wurde. Der da eintrat, war der Diener, den er nach den Zimmern der Baronin gesandt hatte, um sein Mündel rufen zu lassen, und der jetzt meldete, daß die junge Baroneß sogleich erscheinen werde. In der That folgte sie schon nach wenigen Minuten.
Eine Wüstenreise! Es liegt viel Poesie in dem einen Worte: vor allem Poesie des Grauens und der Gefahr, und das fühlt wohl Jeder mit uns – denn die Schrecknisse der Einöde, der verheerende Samum, die heißen Sonnenstrahlen, welche die Wasserschläuche austrocknen, sind Jedermann bekannt – dann aber auch eine Fülle großartig erhebender Eindrücke, und die kennen Wenige – denn daß die nämlichen Wüsten Naturscenerien von zauberhafter Pracht bieten, ist nur denen ein vertrauter Gedanke, welche, wie Schreiber dieser Zeilen, die Sahara in mannigfachen Richtungen selbst durchzogen haben. Nie erinnere ich mich irgendwo einen größeren Farbenreichthum in der Landschaft gesehen zu haben, als in den tief gelegenen Wüstenstrichen, in denen das todte Meer gebettet liegt. Wunderbare Farbentinten in allen Abstufungen, vom Aufgang bis zum Niedergang des Sonnengestirns, selbst während der Glühhitze des Mittags, wo die Fata Morgana mich in mancherlei Gestalten umgaukelte, versetzten mich hier in eine fortwährende Ekstase.
Reisen in der Wüste! Vergnügungsreisen sind es freilich kaum jemals. Zahlreiche Schwierigkeiten stellen sich dem Reiselustigen in jenen Einöden entgegen. Gleichwohl sind die nomadisirenden Bewohner der Sahara und anderer Wüstenstriche des Orients auf einer ewigen Wanderung begriffen. Seit Jahrtausenden, selbst lange vor den Zeiten des Islam, sehen wir sie in gleichen Trachten die gleichen Straßen ziehen, auf gleicher Stufe der Gesittung. Wie sollte sich des Menschen Existenz ändern, wo die Naturformen der Erde ebenso den Eindruck des Unveränderlichen, ewig Ruhenden machen, wie der ewig wolkenlose Himmel, der nach Saadi’s Spruch zwei Gaben von oben spendet, das Ein- und das Ausathmen der reinen Luft! Wie sollte sich eine Cultur entwickeln, wo ungeheure Flächen nur einer spärlichen Zahl von Menschen Unterhalt gewähren, deren ruheloses Ziehen von Oase zu Oase Lebensbedingung für sie ist und die, um das Dasein zu sichern, soviel Zeit und physische Kraft aufzuwenden haben, daß im Uebrigen Muße und Nichtsthun nothwendig bei ihnen zusammenfallen müssen!
Ohne das Schiff der Wüste, das geduldige leichtfüßige Kameel, wäre das Wanderleben in dem Sandmeere eine Unmöglichkeit. Das Kameel trägt bekanntlich bedeutende Lasten, bis zu zehn Centner, mit Leichtigkeit aber drei bis vier Centner. Soweit ist es möglich, eine Art Zelt, das eine ganze Familie bergen kann, auf dem Rücken des Thieres aufzuschlagen. Gewöhnlich freilich bedienen sich nur die Frauen eines solchen Zeltes. Es besteht aus einem von wenigen Quer- und Längsstäben zusammengesetzten bettartigen Gestelle, das oben ein durch Palmenstäbe hergestelltes Kreuzgewölbe hat. Ueber letzteres sind Tücher gebreitet, welche gegen die Sonnenstrahlen schützen und zur Unsichtbarmachung dienen. Es giebt sehr verschiedene Formen dieser Gestelle. Vornehmere reisende Frauen des Orients setzen sich in eine Art Sänfte, welche frei zwischen einem vorderen und einem hinteren Kameel schwebt. Uebrigens sind die Frauen der die Wüste bewohnenden Nomaden nicht jener so strengen Etiquette der Verhüllung unterworfen, wie sie für das Leben in Culturstrichen des Islam gilt. Im Beduinenzelt ist der Harem, das Frauengemach, nur durch eine Teppichwand von dem Raume der Männer getrennt, welche Räume nach außen gewöhnlich offen stehen. Einen Blick in dieselben zu thun – wie interessant für
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_258.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)