Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Atmosphäre von Glanz und Schimmer zu entreißen, für die es so augenscheinlich geboren war, um es an ein ernstes, arbeitsvolles Leben zu ketten. Gabrielens Liebe gab ihm freilich ein Recht auf ihren Besitz, aber konnte sie denn überhaupt tief und ernst lieben? War ihr Gefühl für ihn nicht ebenso spielend und vergänglich, wie ihre ganze Schmetterlingsnatur? Wenn sie nun unglücklich wurde an seiner Seite, oder wenn er es war im Besitz einer Frau, die all seiner heißen Liebe und Aufopferung nur Kinderlaunen entgegenbrachte? Vielleicht bezahlten sie Beide den kurzen Liebestraum mit einem ganzen Leben voll Elend und Reue.
Der junge Mann fuhr heftig mit der Hand über die Stirn; er wollte nicht hören, was der Verstand ihm zuflüsterte, der so grausam in die Regungen des Herzens eingriff. Fast gewaltsam schüttelte er die quälenden Gedanken ab und war eben im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Hofrath Moser in Begleitung des Polizeidirectors eintrat. Der Erstere trug heute zu Ehren des Tages eine ganz neue Halsbinde von schneeiger Weiße, aber so riesigen Dimensionen, daß es ihm kaum möglich war, den Kopf zu bewegen, wodurch seine Haltung allerdings noch an Steifheit und Feierlichkeit gewann. Die beiden Herren waren in lebhaftem Gespräch begriffen, verstummten aber so plötzlich, als sie des Assessor Winterfeld ansichtig wurden, daß dieser nicht mit Unrecht vermuthete, er sei der Gegenstand der Unterhaltung gewesen. Die Bestätigung dieser Annahme schien auch in dem scharfen Blicke zu liegen, mit dem der Polizeidirector den jungen Beamten musterte, während der Hofrath sofort auf diesen zuschritt.
„Gut, daß ich Sie finde, Herr Assessor!“ begann er ohne alle Einleitung. „Ich wollte Sie ersuchen, einen Auftrag zu übernehmen.“
Georg verneigte sich leicht. „Mit Vergnügen – ich stehe zu Diensten.“
„Ihr Freund, der Herr Doctor Brunnow,“ der Hofrath betonte die Worte, als ob jedes derselben eine hochnothpeinliche Anklage enthielte, „hat sich ohne mein Wissen und Willen zu meinem Hausarzte aufgeworfen. Er hat Krankheitsberichte angehört, Verordnungen gegeben und mir sogar seinen wiederholten Besuch angedroht. Ich wußte damals noch nicht, wie die Sache zusammenhing –“
„Es war ein Mißverständniß,“ fiel Georg ein. „Max hat mir davon erzählt. Er glaubte wirklich, daß sein ärztlicher Rath verlangt werde, und hatte keine Ahnung, in wessen Hause er sich befand.“
„Nun, so weiß er es jetzt,“ sagte Moser mit Nachdruck, „und ich bitte Sie, ihm mitzutheilen, daß ich ein für alle Mal auf den Rath eines Arztes verzichte, der einen so bedenklichen Namen trägt und einen so staatsgefährlichen Vater hat. Sagen Sie ihm, er möge sich für seine demagogische Umtriebe einen anderen Ort wählen, als das Haus des Hofraths Moser, der von jeher seinen Stolz darein gesetzt hat, der allergetreueste Unterthan seines allergnädigsten Souverains zu sein. Es giebt Menschen – sogar Beamte – die sich an solchen Gesinnungen ein Beispiel nehmen könnten. Es stände besser um den Staat und die Gesellschaft, wenn sie es thäten.“
Damit neigte der Hofrath den Kopf, oder vielmehr er machte den Versuch, es zu thun, da seine Halsbinde dieser Absicht Grenzen setzte, und schritt aus dem Zimmer, in dem erhebenden Bewußtsein, geradezu vernichtend gewesen zu sein. Der Polizeidirector, der bisher ein stummer Zuhörer gewesen war, trat jetzt näher.
„Sie scheinen bei unserem loyalen Hofrath ja vollständig in Ungnade gefallen zu sein,“ bemerkte er in scherzendem Tone. „Er erzählte mir soeben ein Langes und Breites von Ihren staatsgefährlichen Verbindungen. Ich will doch nicht hoffen –?“
„Der Herr Hofrath irrt sich,“ versetzte Georg mit ruhiger Bestimmtheit. „Es ist eine ganz harmlose Universitätsfreundschaft, die er mir zum Vorwurf macht, und die mit der Politik durchaus nichts zu thun hat. Ich kann Ihnen versichern, daß mein Freund, den eine einfache Erbschaftsangelegenheit herführt, und der durch ein sehr drolliges Mißverständniß in die Moser’sche Wohnung gerieth, weder dort noch anderswo demagogische Umtriebe im Sinne hat, und daß er Ihnen auch nicht den geringsten Anlaß geben wird, sich mit seiner Person zu beschäftigen.“
Der Polizeidirector lachte. „Ich hoffe das gleichfalls. Hofrath Moser ist bisweilen geradezu beängstigend mit seiner Loyalität und sieht an allen Ecken und Enden Gespenster. Wenn er eine Ahnung davon hätte, daß sein eigener Chef einst der Jugend- und Universitätsfreund desselben Doctor Brunnow war, den er für so staatsgefährlich erklärt! Sie wissen das vermuthlich?“
„Allerdings,“ sagte Georg überrascht. Diese genaue Kenntniß so weit zurückliegender Verhältnisse befremdete ihn doch.
„Wie seltsam und schroff sich doch bisweilen die Lebenswege solcher Jugendgefährten trennen!“ warf der Andere hin. „Der Gouveneur Arno von Raven und ein Flüchtling, der im Exil lebt – es giebt keine größeren Gegensätze. Man behauptet zwar, auch der Freiherr habe in seiner Jugend sehr extravaganten politischen Ansichten gehuldigt.“
Er hielt inne und schien eine Antwort zu erwarten, aber vergebens. Assessor Winterfeld hörte schweigend zu.
„Es heißt sogar, Herr von Raven sei auf irgend eine Weise in den Proceß verwickelt gewesen, der damals den Doctor Brunnow und dessen Genossen auf die Festung brachte. Ich habe das freilich nur als unbestimmtes Gerücht gehört. Sie sind durch Ihren Freund und dessen Vater wohl genauer unterrichtet?“
„Keineswegs – wir haben nie eingehend davon gesprochen. Uebrigens würde eine etwaige Beziehung des Freiherrn zu jenem Proceß sich ja leicht aus den Acten ergeben.“
Der Polizeidirector warf dem jungen Manne einen Blick zu, der zu sagen schien: Wenn das der Fall wäre, so würde ich meine Mühe nicht an einen solchen Starrkopf verschwenden; laut aber erwiderte er:
„In den Proceßacten kommt der Name des Freiherrn überhaupt nicht vor. Wenn er wirklich zu der Sache in Beziehung stand, so ist sie zwischen ihm und seinen nachmaligen Schwiegervater, dem Minister, allein erledigt worden. Es muß ihm wohl gelungen sein, sich diesem gegenüber vollständig zu rechtfertigen, denn gerade von jenem Zeitpunkte an datirt seine so überaus glänzende Carrière.“
„Das ist sehr wahrscheinlich,“ stimmte Georg mit kühler Zurückhaltung bei. „Aber diese Ereignisse, die um mehr als zwanzig Jahre zurückliegen, sind Ihnen geläufiger als mir. Sie standen damals wohl schon im Beginn Ihrer amtlichen Thätigkeit, während ich noch ein Knabe war.“
Der Polizeidirector sah ein, wie wenig Geneigtheit hier vorhanden war, ihn über das aufzuklären, was er zu wissen wünschte. Er gab den Versuch auf, und nachdem sie noch einige gleichgültige Worte gewechselt hatten, trennten sich die beiden Herren.
Nur ein einziges Mal während des Abends fand Georg noch Gelegenheit, sich Gabrielen zu nähern, oder vielmehr, sie selbst war es, die ihm diese Gelegenheit gab. Beim Cotillon, dem er zusah, ohne sich daran zu betheiligen, kam sie leicht und lustig wie eine Elfe herangeflattert, um ihn zum Tanz zu holen. Als er mit ihr den Saal umkreiste, begegneten sich die Augen Beider; in den seinigen war die Düsterheit bereits geschmolzen, und um ihre Lippen spielte wieder das reizende Lächeln, das seine Worte vorhin verscheucht hatten.
„Bist Du noch eifersüchtig auf den Tanz?“ flüsterte Gabriele, mit einem entzückenden Gemisch von Schelmerei und Abbitte. Georg hätte nicht jung sein und nicht lieben müssen, um diesen Worten und diesem Lächeln zu widerstehen. Er war bereits überzeugt, daß er Unrecht habe, der Geliebten ihre strahlende Heiterkeit zum Vorwurf zu machen; sie war ja so harmlos glücklich darin, und er liebte ja gerade dieses heiter strahlende Kind mit all seinem Uebermuth und seinen Launen.
„Meine Gabriele!“ sagte er leise, aber es lag eine grenzenlose Zärtlichkeit in dem einen Worte. Ein leiser Druck ihrer Hand antwortete dem seinigen – die Versöhnung war geschlossen.
Das Fest nahm seinen Fortgang und verlief äußerlich in gewohnter glänzender Weise. Mitternacht war bereits vorüber, als die Gäste aufbrachen und die Säle sich leerten. Die Baronin Harder, sehr zufrieden mit der Rolle, die sie heute gespielt hatte, stand im Begriff, sich zurückzuziehen. Sie hatte sich bereits von ihrem Schwager verabschiedet, und gab nur noch den Dienern einige Anweisungen, während Gabriele sich dem Freiherrn näherte, um ihm gleichfalls gute Nacht zu wünschen. Raven sah, wie sie ihm die Hand reichen wollte, aber er stand mit fest verschränkten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_257.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)