Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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„Ich bat Sie, etwas mehr Rücksicht auf Ihre persönliche Sicherheit zu nehmen.“
„Ja so! Sie müssen es schon entschuldigen, daß ich unaufmerksam war. Wer wie ich täglich von hundert verschiedenen Seiten in Anspruch genommen wird, der kann sich nicht einmal an einem Festabende, wie der heutige, mit seinen Gedanken frei machen.“
„Es ist aber auch eine allzu große Arbeitslast, die Sie auf Ihre Schultern genommen haben,“ meinte der Oberst. „Selbst die ausdauerndste Kraft muß schließlich den Anstrengungen erliegen, wie Sie sich Tag für Tag zumuthen. – Sehen Sie die beneidenswerthe Jugend dort, die von solchen Sorgen keine Ahnung hat! Das tanzt und lacht und plaudert und ist glücklich mit einander.“
„Und ist glücklich!“ wiederholte Raven. „Ja wohl!“
Es lag eine tiefe Bitterkeit in den Worten, und doch bot der Saal einen ungemein heiteren und belebten Anblick. Der weite, prächtige Raum mit den strahlenden Kerzen, der rauschenden Musik und all den jugendlich blühenden Gestalten, die dort auf- und niederschwebten, konnte wahrlich nicht zur Bitterkeit stimmen. Soeben flog Gabriele mit ihrem Tänzer vorüber. Der Oberst hatte Recht; ihre Schönheit war noch nie so siegreich zur Geltung gekommen, wie hier im Tanze, dem sie sich mit leidenschaftlichem Vergnügen hingab. Ringsum heller Kerzenglanz, rauschende Musik, festlich geschmückte Räume – das war die Umgebung, der Rahmen, der allein für diese Gestalt paßte, das eigentliche Element, in dem sie athmete, und ihre glühenden Wangen und strahlenden Augen zeigten, wie völlig sie darin aufging. Ihr ganzes Wesen war wie verklärt, wie sonnig durchleuchtet von Freude und Glück, als sie so in Georg’s Armen dahinschwebte. Auch er schien die ganze Umgebung vergessen zu haben; ihm ging alles Andere unter in der Nähe, in dem Anblicke der Geliebten. Ein Strahl unendlichen Glückes leuchtete in seinen Augen, als ihr Arm in dem seinigen lag und ihr Athem an seiner Wange hinstreifte – diese Augen sprachen nur zu verräterisch das Geheimniß seines Herzens aus. Das junge Paar war so glücklich in diesem Augenblicke, daß es jede Vorsicht vergaß, und ein scharfer Beobachter konnte wohl ahnen, daß es noch etwas Anderes war, als die Freude am Tanzen, was aus dem Antlitze der Beiden sprach. Der romantische Zauber der ersten Jugendliebe umfloß sie wie ein verklärender Hauch.
Und jener Beobachter war in der Nähe. Raven behauptete noch immer seinen Platz am Ende des Saales; er stand jetzt in einem Kreise von Herren, die sich zu ihm und dem Oberst gesellt hatten, und nahm anscheinend lebhaft an der Unterhaltung Theil, aber dabei haftete sein Blick wie festgebannt auf den Tanzenden. Sein Blick wurde immer glühender, immer durchbohrender; es mußte eine magnetische Gewalt darin liegen, denn als Gabriele jetzt zum zweiten Male den Saal umkreiste, wandte sie langsam, wie von einer geheimnißvollen Macht angezogen, das Haupt nach jener Richtung. Einen Moment lang begegnete ihr Auge dem ihres Vormundes – dann floß urplötzlich eine dunkle Gluth über das Antlitz des jungen Mädchens, und der Blick des Freiherrn flammte auf, furchtbar und unheildrohend; er wandte sich mit einer heftigen Bewegung ab.
Mit der Beendigung des Tanzes trat eine größere Pause ein, die für das Souper bestimmt war. Man verließ den Ballsaal, wo die Hitze nachgerade unerträglich zu werden begann, und suchte die angrenzenden kühleren Räume und die Buffets auf. Die Gesellschaft vertheilte sich zwanglos in den größeren und kleineren Gemächern, wo sich überall plaudernde Gruppen zusammenfanden. Jetzt endlich kam auch der so lang ersehnte unbewachte Augenblick, wo Georg und Gabriele einige vertrauliche Worte wechseln konnten, die ersten an diesem Abende. Bisher hatten die Augen der ganzen Versammlung auf ihnen geruht und jede Verständigung unmöglich gemacht.
In einem der entfernteren Zimmer, das augenblicklich leer war, während im Nebengemache eine lebhafte Unterhaltung geführt wurde, stand die junge Baroneß Harder am Kamin und ihr gegenüber Assessor Winterfeld. Beide schienen im ruhigen, absichtslosen Gespräche begriffen, für den zufällig Eintretenden wenigstens, aber es war etwas Anderes als Gesellschaftsphrasen, was sie wechselten.
„Endlich eine Minute des Alleinseins!“ flüsterte Georg leidenschaftlich. „Die erste seit Wochen! Ich habe es mir leichter gedacht, Dir stets so nahe und zugleich so fern zu sein.“
„Du hattest Recht,“ sagte Gabriele, gleichfalls in leisem Tone. „Wir sind, uns hier unendlich fern, obwohl Du täglich im Schlosse bist. Ich hoffte immer, Du würdest Mittel finden, die Schranken zu durchbrechen, die uns trennen.“
„Habe ich nicht das Möglichste versucht? Du weißt ja, wie meine Annäherung von Deiner Mutter aufgenommen wurde. Sie empfing mich freundlich, aber sie sprach auch nicht ein einziges Wort, das als Einladung gedeutet werden konnte. Ich darf den Besuch nicht wiederholen, wenn man mir so entschieden zeigt, daß er nicht gewünscht wird.“
Auf der klaren Stirn der jungen Dame kräuselte sich eine Falte des Unmuthes.
„Mama trägt keine Schuld daran; sie würde Dich hier ebenso gern empfangen wie früher; mein Vormund war es, der die Einladung verhinderte. Ich veranlaßte Mama, ihm von Deinem Besuche und unserer Bekanntschaft zu sprechen, denn ich selbst –“ sie stockte.
„Du wagtest nicht – –“
„Ich wage alles Mögliche,“ erklärte Gabriele, ein wenig gereizt, aber Onkel Arno’s Blick auszuhalten, wenn man etwas vor ihm zu verbergen hat, das gehört entschieden nicht zu den Möglichkeiten. Genug, er sprach sich mit der größten Bestimmtheit gegen die beabsichtigte Einladung aus; das galt nicht Dir persönlich, denn er ahnt ja nichts von unserem Einverständnis, aber er will keinen Verkehr mit den jüngeren Beamten überhaupt, und wir mußten uns fügen.“
„Ich wußte es,“ sagte Georg. „Ich kenne meinen Chef. Er und die Seinigen bleiben unnahbar für Alles, was er unter sich glaubt, und selbst sein Machtwort könnte uns kaum mehr trennen, als es diese letzten Wochen gethan haben. Ich durfte Dich ja immer nur aus der Ferne sehen, und wenn uns wirklich einmal eine Begegnung vergönnt ist, wie die heutige, so müssen wir kalt und gleichgültig scheinen. Ich muß es mit ansehen, wie Du umschwärmt und gefeiert wirst, wie Jeder sich Dir nahen darf, nur ich, der das erste, das alleinige Recht auf Dich hat, bin zu dem Schweigen und der Zurückhaltung eines Fremden verurtheilt – Gabriele, das ertrage ich nicht länger.“
Gabriele hob das Auge zu ihm empor; es spielte ein reizendes Lächeln um den kleinen Mund, als sie neckend erwiderte:
„Ich glaube nicht, daß der ‚Fremde‘ so sehr zu beklagen ist. Er weiß es ja doch, daß ich ihm allein angehöre.“
„An einem Festabende, wie der heutige, gehörst Du mir nicht,“ entgegnete Georg mit leiser Bitterkeit. „Da gehörst Du der Freude, dem Tanze, den Huldigungen, die Dir von allen Seiten gebracht werden – nur mir nicht. Ich habe in der ganzen langen Zeit vor dem Walzer vergebens gesucht, einen Blick von Dir zu erhalten. Du hattest im Kreise Deiner Bewunderer keine Augen für mich.“
Der Vorwurf traf, und eben deshalb verletzte er, aber die junge Dame war nicht gewohnt, Vorwürfe von dieser Seite zu hören, und fand es höchst grausam und ungerecht, daß man ihr das heutige Vergnügen verkümmern wollte. Das Lächeln verschwand und machte einem sehr ungnädigen Ausdrucke Platz; es schwebte augenscheinlich eine heftige Erwiderung auf ihren Lippen, als Lieutenant Wilten an der Thür erschien.
„Mein gnädiges Fräulein,“ sagte er sich eilfertig nähernd. „Sie werden im Saale vermißt. Excellenz und die Frau Baronin haben schon verschiedene Male nach Ihnen gefragt. Ich erlaubte mir, Sie aufzusuchen – darf ich Sie zu den Ihrigen führen?“
Gabriele würde unter anderen Umständen den Störenfried wohl haben fühlen lassen, wie unwillkommen er war, jetzt aber war sie gereizt, ungerechter Weise verletzt, wie sie meinte, und durchaus nicht gesonnen, das geduldig hinzunehmen. Sie neigte daher das Haupt mit kühlem Gruße gegen Georg und nahm mit großer Freundlichkeit den Arm des jungen Baron an, der sie aus dem Zimmer führte, während er einen triumphirenden Blick auf den zurückbleibenden Assessor warf.
Georg sah mit finsterer Stirn den Beiden nach. Diese kindische Rache kränkte ihn tiefer, als er sich eingestehen wollte, und wieder regte sich der alte quälende Zweifel, ob er denn Recht thue, dieses reizende, aber so ganz oberflächliche Wesen der
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_256.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)