Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Das ganze erste Stockwerk des Regierungsgebäudes war glänzend erleuchtet. Bei dem Gouverneur fand alljährlich am Geburtstage des Landesherrn eine große Festlichkeit statt, wo die Elite der Stadt und der Umgegend zu erscheinen pflegte. Diesmal sollte sich dem üblichen Empfange noch ein Ball anschließen, eine Neuerung, die man wohl hauptsächlich der Anwesenheit der Baronin Harder und ihrer Tochter verdankte, die aber von der Damenwelt Rs. entschieden beifällig aufgenommen wurde.
Es war noch zu früh für die Ankunft der Gäste, aber die Festräume strahlten schon in vollem Glanze, und die Diener hatten sich, nachdem die letzten Vorbereitungen beendigt waren, in das Vorzimmer zurückgezogen. Gabriele war mit der Toilette früher fertig geworden als ihre Mutter, die noch immer die Geduld ihres Kammermädchens auf eine harte Probe stellte und fortwährend an dem Anzuge zu ändern und zu bessern fand. Die junge Baronin betrat also allein den kleinen Salon, am Anfange jener Zimmerreihe, die nur bei festlichen Gelegenheiten geöffnet wurde. Die Hauptwand dieses Salons schmückte ein Bild, dessen reich vergoldeter Rahmen sich effectvoll von der dunklen Sammettapete abhob. Es stellte die verstorbene Gemahlin des Freiherrn von Raven dar und war von einem der berühmtesten Künstler gemalt worden. Aber auch dessen Hand hatte es nicht vermocht, den nicht unangenehmen, aber völlig apathischen und geistlosen Zügen irgend ein Interesse zu verleihen; eine gewisse Vornehmheit der Haltung und eine überreiche Toilette-Entfaltung war das Einzige, was den Beschauer flüchtig zu fesseln vermochte. Wer dieses Bild sah und sich daneben die bedeutende, energische Persönlichkeit des Freiherrn vergegenwärtigte, der fühlte heraus, wie tief die geistige Kluft zwischen den beiden Gatten, wie unmöglich eine gegenseitige Annäherung derselben gewesen sein mußte.
Gabriele war vor dem Bilde stehen geblieben und betrachtete es noch, als sich die Thür öffnete, die am Ende der langen Zimmerflucht zu den Gemächern des Freiherrn führte. Raven selbst trat heraus. Er war heut, zu Ehren des Tages, in voller Galakleidung, und die reiche Hoftracht mit dem breiten Ordensbande über der Brust hob noch das Imponirende seiner Erscheinung, als er langsam, in gewohnter stolzer Haltung durch die Säle schritt und sich dem jungen Mädchen näherte.
„Sieh da, Gabriele! Schon fertig? Was stehst Du so nachdenkend hier vor dem Bilde?“
Es sprach ein deutliches Mißvergnügen aus den letzten Worten. Gabriele bemerkte es nicht; sie antwortete unbefangen: „Ich wundere mich, das Portrait der Tante hier zu finden. Hast Du denn in Deinen eigenen Zimmern keinen Raum dafür?“
„Nein!“ war die kurze, aber sehr bestimmte Antwort.
„Aber die Gesellschaftsräume werden ja kaum einige Male im Jahre geöffnet. Weshalb hängt das Bild nicht in Deinem Arbeitszimmer?“
„Wozu das?“ fragte Raven kalt. „Deine Tante hat es nie betreten. Ich habe ihr Portrait in die Salons bringen lassen, wo es jedenfalls besser an seinem Platze ist. – Wie gefallen Dir die Festräume des Schlosses? Du siehst sie ja zum ersten Male in voller Beleuchtung.“
Sein jähes Abbrechen verrieth, wie lästig ihm das Gespräch war. Er nahm ohne Weiteres den Arm Gabrielens, führte sie weg von dem „Portrait ihrer Tante“, und begann mit ihr eine Wanderung durch die Gemächer, um ihr Verschiedenes zu zeigen und zu erklären. Die Flügelthüren waren überall weit zurückgeschlagen, und man übersah die ganze Reihe der Zimmer und Säle. Es waren wahrhaft fürstliche Räume, die dem Gouverneur zu Gebote standen, und ihnen entsprach die schwere, etwas alterthümliche Pracht der Einrichtung. Die reichen Wand- und Deckenverzierungen, die tiefen Fensternischen und hohen Marmorkamine gehörten noch der früheren Zeit des Schlosses an. Man hatte sie unverändert gelassen, aber dazu gesellten sich kostbare Damast- und Atlastapeten, schwere Sammetvorhänge, reiche Vergoldungen, und das Alles, strahlend im hellsten Kerzenglanz, machte einen wahrhaft blendenden Eindruck.
Die junge Baroneß Harder war am wenigsten geschaffen, sich solchen Eindrücken zu entziehen. Sie gab sich ihnen mit voller Seele hin, während sie, ganz erfüllt von Freude und Erwartung, an der Seite ihres Vormundes dahinschritt. Sie hatte ihm gegenüber schnell genug die frühere Unbefangenheit wiedergefunden. Jene seltsame Stunde am Nixenbrunnen war längst vergessen, ebenso wie der flüchtige Ernst, den sie wachgerufen. Das war wie ein Traum an ihr vorübergegangen und schnell und spurlos wie ein Traum auch wieder verschwunden. Auf diesem sonnenhellen Grunde haftete nun einmal nichts, was einen Schatten ähnlich sah. Gabriele empfand es allerdings, daß der Freiherr seit jenem Tage eine ganz ungewohnte Güte und Nachgiebigkeit gegen sie zeigte, hatte er doch den heutigen Ball nur beschlossen, um, wie er sagte, gewissen tanzlustigen Füßchen Gelegenheit zu geben, sich endlich einmal müde zu tanzen. Das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_239.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2016)