Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1878) 061.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

so aus, als ob es eben erst aus seinen Händen hervorgegangen wäre. Sehe ich sonst ein anziehendes Landschaftsbild, so denke ich mir immer gern: was möchtest du da hineinbauen als Kunstschmuck? Auf jenen Plan, wie ich ihn in der Erinnerung festhalte, paßt nichts der Art – der Leuchtthurm auf der Spitze von Brüsterort hat ja schon seinen Baumeister gefunden.“

Unter solchen Gesprächen waren sie wieder auf die Landstraße eingelenkt und näherten sich nun den ersten Häusern von Neu-Kuhren, während in ziemlicher Entfernung hinter ihnen die „Journalière“ herankeuchte. Sie mäßigten den Schritt, um ungefähr mit ihr zugleich am Logirhause anzulangen, wo sie ihre Fahrgäste abzusetzen pflegte. Der Referendar überreichte eine Visitenkarte. „Darf ich auch um Ihren Namen bitten?“

„Robert Harder. – Wir sehen uns wohl in diesen Tagen noch?“

„Ich hoffe es. Ein Tänzchen unter dem berühmten Birnbaum ist schwerlich Ihre Leidenschaft, sonst –“

„Also der Birnbaum steht noch? Schon ein recht alter Herr, aber, wie es scheint, in seinen Neigungen noch immer sehr jugendlich. Leben Sie wohl! Man scheint Ihnen dort zu winken.“

Wirklich war unter der Halle des Logirhauses ein Herr vorgetreten und auf Hell mit ausgestreckter Hand zugeschritten. Es war der Gerichtsrath Pfaff, der seinen jungen Freund herzlich bewillkommnete. „Gut, daß Sie endlich anlangen!“ rief er ihm zu, „man rechnet schon stark auf Sie im Vergnügungscomité.“

Als der Referendar sich nach seinem Begleiter umsah, hatte dieser schon seine Tasche und Rolle vom Wagen genommen und sich ohne Aufenthalt auf den Weg gemacht. –

Harder hatte noch eine Stunde bis Rauschen. Es war sieben Uhr, die Luft abgekühlt und der Weg auf der Uferhöhe mit seinen häufigen Ausblicken auf’s blaue Meer und das buchtenreiche Gestade zu einem Spaziergange sehr einladend. Das Gepäck beschwerte ihn wenig, er hatte die Tasche umgehängt und die lange Papierrolle wie ein Gewehr über die Schulter gelegt. Die Badegäste, die vom Strande herauf oder links aus dem Birkenwäldchen kamen, fanden die fremde Erscheinung merkwürdig genug, um einen neugierigen Blick darauf zurückzuwerfen.

Er kümmerte sich wenig darum, pfiff eine Melodie vor sich hin und schritt rüstig aus. So kam er bald an einem Gutshause vorüber, durchschritt ein niedriges Gehölz, passirte die ersten Häuser des Dorfes Leppoenen, wo sich eine Rettungsstation für Schiffbrüchige befindet, und bog hinter demselben rechts ab auf einen Richtpfad, der aus das hochgelegene, unter alten Bäumen versteckte Dorf Sassau führte. Er warf einen Blick auf das niedrige Bauernhäuschen am halbausgetrockneten Teich, in dem vor Jahren Ferdinand Gregorovius manchen Sommer zugebracht hatte, dichtend und von dem Lande träumend, in dem er seine zweite Heimath finden sollte. Er war ihm dann in Rom begegnet, als er mit fürstlichem Anstande irgend eine Fürstlichkeit in den Ruinen der Kaiserpaläste herumführte. Er hätte ihn gern angesprochen und ihm gesagt, wie dankbar er ihm stets für die freundliche Erinnerung gewesen, die er am lateinischen Ufer dem schönen samländischen Nordstrande in bewegten Worten widmete – aber es ergab sich keine Gelegenheit. Das fiel ihm nun wieder ein, und er stand eine Minute lang still. Unwillkürlich kamen ihm Goethe’s Verse in den Sinn: „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht.“

Von der Höhe schritt er dann abwärts zwischen hochwogenden Kornfeldern dem Bache zu, der sich im Lauf der Jahrtausende ein breites Thal ausgewaschen hatte. Drüben wurde es geschlossen durch die lange Kette der schneeweißen Sandberge, die des Meeres Nähe verkündigten. An einigen Stellen, Sassau gerade gegenüber, war die Linie durch tiefe Einbuchten unterbrochen, durch die der fliegende Sand über die grünen Weidestrecken bis zu den Erlen am Bache fortgeweht war; es sah aus, als ob weiße Zungen, kürzer und länger, sich ausstreckten, um das grüne Land zu verschlingen. Dort hatten die Bernsteingräber den Uferberg abgetragen, um tief unten aus der Asche versargter Wälder das edle Harz auszuheben. Die Felder der Dorfschaft waren nun freilich schutzlos.

Vor und unter dem Wanderer warf die scheidende Sonne ihre gluthrothen Strahlen lang über die Fortsetzung des Thalgrundes hin, der ganz mit Strauchwerk, Laubbäumen und dunklen Tannen darüber bewachsen schien. Doch ragten einige Dächer mit weißen Schornsteinen daraus hervor, und ein bläulicher Rauch stieg aus ihnen geradeaus in die unbewegte Luft, sich sonst abhebend gegen das dämmerige Grün des Hintergrundes und den goldigen Himmel.

„Wie schön – wie schön!“ rief er, „da ist mein stilles Rauschen.“

Er hatte es nicht mehr weit bis zum Gasthause am Anfang des Dorfes. Dort bat er um Logis und fragte nach dem alten Wirth, den die muntern Stadtherren immer scherzweise „Herr Commerzienrath“ titulirten und der nach jedem Seidel Bier besonders in seinen Keller hinabzusteigen pflegte, oft erst eine schwere Geduldsprobe für die Durstigen. Er sei kürzlich verstorben, hieß es. Diese Trauerbotschaft hinderte ihn nicht, sich zum Abendessen die frischen Dorsche schmecken zu lassen, die der neue Wirth vorsetzte.

Am andern Morgen war Robert Harder schon früh auf. Er hatte mehre Stunden Zeit, bis er wagen durfte, sich bei den Damen zu melden. So spazierte er denn an der Wassermühle und den uralten Linden vorüber den großen Mühlenteich entlang, über den am jenseitigen Ufer waldbewachsene Hügel aufstiegen, während sich zu seiner Rechten in drei oder vier Absätzen die Bauer- und Fischerhäuschen den Berg hinanbauten, sämmtlich weiß getüncht und meist umgeben von grünen Obstgärten. Es war ein herzerfreuender Anblick. Am Ende des Dorfes hinter dem malerisch verfallenen Nachtwächterhäuschen stieg der sandige Weg wieder hoch auf zwischen einzelnen, von den Seestürmen zerzausten Fichten. Man gewann eine weite Aussicht über Land und Meer. Harder schritt auf den eine halbe Stunde entfernten Wald zu, der von den Strandbergen bis zur See hinabzusteigen schien.

Eine halbe Stunde mochte er so langsam fortgewandert sein, als er seitwärts vom Wege die ihm wohlbekannten, unregelmäßigen Erderhöhungen bemerkte, die einen Begräbnißplatz der heidnischen Preußen anzeigen. Ursprünglich mitten auf der freien Haide gelegen, die sich noch jetzt nicht weit davon an den Uferbergen entlang zieht, hat dann der Pflug des Landmanns sie scharf umrissen, sodaß sie nun wie kleine Inseln, bewachsen mit braungrünem Haidekraut und niedrigem Birkengestrüpp, aus den Feldern hervorragen. Vertiefungen an den Seiten bezeichnen die Stellen, an denen die Neugier Nachgrabungen veranstaltet hat, und die Steine, die zwischen dem Wachholder und den blauen Glockenblumen lose herumliegen, waren vielleicht früher im Innern um die Aschenurnen geschichtet.

Die Aufmerksamkeit des Architekten wurde jedoch mehr auf eine junge Dame gelenkt, die auf einem breiten Steine am Rande des Grabens saß, vor sich auf den Knieen eine kleine Mappe liegen hatte und eifrig zeichnete. Der Strohhut mit den blauen Bändern lag neben ihr im Haidekraut. Sie saß abgewendet von dem sich Nähernden, sodaß er anfangs nur die schlanke Gestalt, die fein aufgerundeten Schultern, den sanftgebogenen Nacken und das aschblonde Haar bewundern konnte, das am Hinterkopfe mit einer Spange hoch gewulstet war und unter dem Knoten wellig hinabglitt. Als er dicht an ihr vorüberging, sah sie ein wenig zur Seite und zeigte ihm so das zierliche und doch kräftige Profil. Ein rascher Blick überzeugte sie, daß der Mann ihr ganz fremd war, sie rückte aber doch auf dem Steine ein wenig herum, ihre Mappe zu verdecken, als wollte sie ihre Beschäftigung nicht bemerken lassen.

Das war es vielleicht, was Robert Harder reizte, stehen zu bleiben und die anmuthige Gestalt genauer in Augenschein zu nehmen. „Entschuldigen Sie gütigst eine Frage!“ begann er das Gespräch. „Früher führte nicht weit von hier ein Fußsteig nach der Gausupschlucht und durch dieselbe zum Waldhäuschen. Ist er inzwischen eingegangen?“

„Keineswegs,“ antwortete eine helle Stimme. „Gehen Sie nur hundert Schritte weiter und Sie müssen rechts den Pfad zwischen den Kornfeldern bemerken.“

Das Gesicht des jungen Mädchens wandte sich ihm dabei nicht zu; die Eile, mit der die Worte gesprochen wurden, ließ erkennen, daß das Fräulein seine baldige Entfernung wünschte.

Es kam ihm aber durchaus nicht darauf an, schnell das Ziel seiner Wanderung zu erreichen. Die junge Dame, die so früh aufgebrochen war, um ihr Skizzenbuch mit einer Abbildung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_061.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2021)