Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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zu geben. Und was waren ihm erst die Kraft und der Heroismus seines Weibes in den Tagen der schweren Heimsuchung, welche mit ihrem tiefen Schatten die letzten beiden Jahre seines Daseins verdunkelte!
Im Sommer 1874 nahm Rau einen mehrwöchentlichen Landaufenthalt im Taunus und an der hessischen Bergstraße, in der Hoffnung, die freie Natur, die erfrischende Berg- und Waldesluft werde auch seinem zerrütteten Gemüths- und Nervenleben Heilung geben. Doch es war bereits zu spät; das Uebel, welches ihn gepackt, nahm seinen langsamen, aber stetigen Fortschritt. Es war eigentlich kein Einzel-Leiden, sondern ein Conglomerat von Uebeln, welches gegen ihn anstürmte: chronische Nervenentzündung verbunden mit Hypertrophie des Herzens und Wassersucht, und daraus erwachsende Anfälle von qualvollster Athemnoth. Der Schlaf, welchen er einst freiwillig geopfert und von seinem Lager gescheucht hatte, floh ihn nun, da er ihn so innig herbeisehnte, wochen-, monatelang, und nur mit Hülfe narkotischer Mittel konnte er ihm dann noch künstlich zugeführt werden, aber nicht Erquickung und Stärkung, sondern nur eine sich oft tagelang hinziehende dumpfe Betäubung, ein Mittelzustand zwischen Schlaf und Wachen, war die Folge des Chlorats und Digitalins, zu dessen Anwendung der Arzt, um dem Kranken momentane Erleichterung zu verschaffen, so oft schreiten mußte. Dazwischen traten wieder Perioden anscheinender Besserung und größerer geistiger Frische, wo er an den Erscheinungen und Begebenheiten der Außenwelt erneuten Antheil nahm und Besuche von Freunden gern empfing. Doch der Gedanke an seine nahe Auflösung beschäftigte ihn gerade dann sehr häufig, wenn er ihm auch aus Rücksicht für die Seinen selten oder nie Worte lieh. Unterm 6. November 1874 schrieb er in einem an seinen Sohn Eduard gerichteten Briefe eine Art letzten Willens nieder, in welchem sich nachstehende beachtenswerthe Stelle findet:
„Die Meinen sollen sich bei meinem Tode vernünftigerweise aller großen Schmerzensäußerungen enthalten und meinen Wunsch achten und ehren, der seit langer Zeit darnach ging: nach den namenlosen Qualen ewiger Schlaflosigkeit endlich den Frieden ewiger Ruhe und stillen Schlafes zu finden.“
Heribert Rau hat im Manuscript noch zwei Bände Gedichte „Liederfrühling im Herbste des Lebens“ hinterlassen, die noch manche späte Blüthe seines sinnigen Gemüthes entfalten. Darunter befindet sich auch ein Sonett: „Der sterbende Schwan“, welches tiefe Schwermuth athmet und worin er das eigne Ende poetisch verklärt. Er schildert darin einen Schwan, der auf waldumschlossenem See dahinzieht und, von einem Pfeile tödtlich getroffen, vor seinem Verscheiden noch einmal melodisch zu singen anhebt. Dann heißt es:
„So hat auch mich des Schicksals Pfeil getroffen;
Die Freude starb; es starb mein letztes Hoffen;
Fast wird das Todesweh zur süßen Lust.
Da hebt der Geist noch einmal sein Gefieder,
Und schmerzerzeugte, tiefgefühlte Lieder
Entquellen sterbend noch der wunden Brust.“ …
Von Januar 1875 an verließ Rau seine Wohnung nicht mehr und verbrachte seine Tage fast ausschließlich nur noch in ewigem ruhelosem Wechsel zwischen Bett und Sessel. Wer hätte unter solchen Umständen aber denken sollen, daß dem an Herz und Nieren todtkranken Mann sein ältester Sohn noch im Tode vorausgehen würde? Und dennoch sollte die schwergeprüfte Familie auch dieser furchtbare Schlag noch treffen: der liebenswürdige junge Mann erlag am 6. November 1875 einem schweren Nerven- und Gemüthsleiden, an welchem er seit einiger Zeit rettungslos dahinsiechte.
Nach Monaten erst erfuhr Rau den ihm sorgfältig geheim gehaltenen Tod seines Kindes, den er wohl längst im Stillen geahnt haben mochte, über welchen sich Klarheit zu verschaffen er aber offenbar scheute, denn er fragte in dieser ganzen Zeit niemals nach dem Sohne. Als ihm endlich die traurige Gewißheit nicht mehr länger verborgen bleiben konnte, brach der arme Mann in lautes Jammern und Wehklagen aus. Aber immer noch widerstand Rau's Natur dem unablässig auf sie anstürmenden Heer von Uebeln; ja, der Arzt erklärte, mit Bestimmtheit keineswegs sagen zu können, welche Frist ihm noch zugemessen sei. Sicher sei nur Eines: daß er nie mehr gesunden werde. Unter diesen Umständen mußten Alle, die es aufrichtig wohl mit ihm meinten, wünschen, daß seinen Leiden der Tod endlich Erlösung bringe. Und die Erlösung kam. Im August 1876 traf ihn der erste Vorbote des Todes in einem Schlaganfall, der seine linke Seite lähmte. Die Klarheit des Geistes, die Frische des Gedächtnisses aber verblieb ihm noch immer und bis an’s Ende.
Rau hatte von je in der äußeren Erscheinung auf sich gehalten; sein ästhetisches Bedürfniß offenbarte sich auch hierin; sein Habitus war allzeit der eines Gentleman. Und so fand man ihn auch stets in seiner Krankenstube, mochte er nun zu Bette liegen, oder, in seinen langen Hausrock von dunkelbraunem Sammet eingeknöpft, im Sessel ruhen.
Als der Verfasser dieser Mittheilungen den Kranken kurz vor seinem Tode noch einmal besuchte, traf er ihn im Bette und gegen früher merklich gealtert, aber seine Züge in keiner Weise entstellt, vielmehr zu einem lieben, sanften Greisenantlitz verklärt. Und gerade so lag er auch da, als der Tod ihm Befreiung von allem Erdenschmerz gebracht hatte. Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer. Er schlug sein großes, sanftes Auge zu dem Besucher auf und sagte in langen Zwischenpausen: „O lieber Freund – – Sie ahnen nicht – – wie sehr ich leide.“ Die ausgesprochene Hoffnung auf baldige Besserung erwiderte er mit einem schmerzlichen Lächeln und einem Blick nach oben.
Am 25. September, Morgens 8 Uhr, als er sich eben wieder vom Lager erheben und nach dem Sessel begeben wollte, traf ihn ein zweiter Schlaganfall, der ihm die Sprache und bald auch das Bewußtsein raubte. Nur noch einmal hörte man das Wort „Aus!“ sich ihm von den Lippen ringen. Ja, es war aus mit ihm. Um zwei Uhr des andern Nachmittags that er seinen letzten Athemzug. –
Ein langes Gefolge von leidtragender Freunden und Gesinnungsgenossen begleitete den geschiedenen Kämpfer in den Morgenstunden des 29. September auf seinem letzten Wege zu dem schönen Frankfurter Friedhof. – Am Grabe sprachen nach einander Worte der Verehrung und Liebe: der Prediger der Frankfurter deutsch-katholischen Gemeinde, Wilh. Flos, der würdige Schüler Uhlich’s, Johannes Ronge, Vertreter der Mannheimer, Offenbacher, Hanauer und Wiesbadener deutsch-katholischen Gemeinde, welche Lorbeerkränze an dem Grabe niederlegten, und zuletzt noch, indem er ihm die drei symbolischen maurerischen Rosen auf den Sarg hinunter warf, ein Mitglied der Frankfurter „Loge Sokrates“, welcher der Hingeschiedene angehört hatte. –
Heribert Rau ist gestorben, aber in vielen tausend Herzen, die seine Schriften erhoben, erhellt und erfreut, wird sein Name in dankbarer Erinnerung fortleben.
Eines seiner Mahnworte an das deutsche Volk lautete: „Werdet freie Menschen, die nicht mehr der Vortheil der Herrschsüchtigen unter den Priestern trennt!“
Ja, – werdet freie Menschen!
Der Leibarzt des Kaisers. (Mit Portrait S. 869.) Kaiser Wilhelm ist – man darf es mit vollem Bewußtsein sagen – in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts der mächtigste Monarch der Erde. Einem solchen, möchte man meinen, hat Niemand auf der Welt etwas zu sagen, noch weniger zu befehlen; also braucht er keiner Stimme auf der weiten Welt zu gehorchen, als derjenigen der Pflicht und des Gewissens. Und doch unterwirft er sich sehr oft den Ordonnanzen eines Mannes, dessen Bild wir hier bringen – und dieser Mann ist sein Leibarzt. Wenn der Kaiser in Berlin ist, wird man jeden Morgen einen langen hageren Mann in der Uniform eines Generalarztes den kurzen Weg von seiner Wohnung in der Markgrafenstraße durch den Palaiseingang von der Behrenstraße zu den Gemächern des Kaisers nehmen und in dieselben eintreten sehen. Die Gestalt ist nach vorn etwas gebeugt; freundlich und wohlwollend ist der Ausdruck der Mienen, und unter der goldenen Brille hervor schauen ein paar helle graue Augen, die nach Lage der Dinge auch einen sarkastischen Ausdruck annehmen können. Es ist der Blick des erfahrenen Diagnostikers, vor dem die Welt und die Dinge und das, was sie zusammenhält und bestimmt, nicht weniger klar und offen daliegen, als der anatomische Bau des menschlichen Körpers. Was kein Minister, Bismarck nicht ausgenommen, wagen wird – er darf es
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 880. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_880.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)