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Seite:Die Gartenlaube (1877) 875.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


ist, Bazaine, der in Metz lückenlos eingeschlossen sein muß, habe beim Prinzen Friedrich Karl brieflich angefragt, ob die ihm durch ausgewechselte Gefangene zugekommene Kunde von der Niederlage bei Sedan und der Proclamirung der Republik begründet, und der Prinz habe ihm das ebenfalls brieflich und unter Beilegung von Pariser Zeitungen bejaht. Abends werde ich zum Chef hinaufgerufen, der nicht zu Tische erschienen und, wie es heißt, nicht recht wohl ist. Eine kleine steinerne Wendeltreppe, die sich „Escalier particulier de Monsieur le Baron“ nennt, führt mich hinauf in ein sehr elegantes Zimmer, wo der Kanzler im Schlafrock auf dem Sopha sitzt. Ich soll telegraphiren, daß die Franzosen gestern – wir hatten die Kanonenschüsse gehört, aber gezweifelt, ob es solche gewesen – mit drei Divisionen in südlicher Richtung einen Ausfall aus Paris gemacht haben, aber in voller Deroute zurückgeworfen worden sind, wobei sie sieben Geschütze und über zweitausend Mann an Gefangenen verloren haben.

Dienstag, den 20. September, wo der Minister sich von seinem Unwohlsein erholt hat, giebt es reichlicher zu thun, doch gehören Inhalt und Zweck der betreffenden Arbeiten nicht hierher, wie denn überhaupt viele gute Dinge, die gethan, erlebt und gehört wurden, sich selbstverständlich der Mittheilung entziehen. Ich sage das blos, um nicht in den Verdacht zu gerathen, den Feldzug in der Hauptsache als vergnügter Phäake und nicht als rechtschaffener „Soldat von der Feder“ mitgemacht und Augen und Ohren vorzüglich für Nebensachen gehabt zu haben.

Als der Chef ausgegangen ist und seine Aufgaben besorgt sind, wieder Ausflug in den Park, wo die Fasanen auch heute noch keine Ahnung davon zu haben scheinen, daß es hienieden Jäger und Schrotflinten giebt. Bei Tische ist Graf Waldersee aus dem benachbarten Lagny zugegen, wo die zweite Staffel des großen Hauptquartiers untergebracht ist. Er erzählt, daß der Ring von Truppen, der sich um Paris seit einigen Tagen herumzieht, nunmehr sich geschlossen hat und daß der Kronprinz sich in Versailles befindet. Officiere, die in Babel an der Seine gefangen gewesen, haben berichtet, die Mobilgarde sei den regulären Soldaten sehr abgeneigt und werfe ihnen vor, sich bei dem letzten Gefecht feig benommen zu haben, ja, man habe schon auf einander geschossen. In drei Steinbrüchen hat man geflüchtete Bauern gefunden. In einem Walde soll man auf Mobilgardisten gestoßen sein, die man mit Granaten herausgetrieben hätte, und welche dann, da sie Officiere ermordet, mit Ausnahme eines einzigen, „den man (sehr wahrscheinlich Mythenbildung, die immer nach einem und demselben Muster webt und der wir schon wiederholt bei ihrer Arbeit begegnet sind) laufen ließ, damit er die Bestrafung warnend weiter erzähle,“ von den Truppen getödtet worden wären. Endlich sollen sich in Sèvres, zwischen Paris und Versailles, die Einwohner preußische Besatzung zum Schutz gegen die Plünderungen und Mißhandlungen der „Francvoleurs“ und „Moblots“ erbeten haben.

Beim Thee erfährt man noch Einiges über die letzte Verhandlung des Kanzlers mit Jules Favre. Es soll Letzterem dabei bemerkt worden sein, daß man ihm die näheren Bedingungen eines Friedens noch nicht mittheilen könne, da sie erst in einer Versammlung der deutschen Nächstbetheiligten festgestellt werden müßten, daß es aber ohne Abtretung von Land nicht abgehen werde, da wir eine bessere Grenze gegen französische Angriffe haben müßten. Es hätte sich indeß weniger um den Frieden als um die Bedingungen gehandelt, unter welchen wir einen Waffenstillstand bewilligen könnten. Favre hätte sich bei der Erwähnung von Landverlust sehr erregt geberdet und sogar patriotische Thränen vergossen. Der Chef erwartet nicht, daß er wieder kommt. Das ist wohl auch dem Kronprinzen geantwortet, der telegraphisch angefragt hat.




Ein Hort des evangelischen Kirchengesanges.


In den ersten Tagen des November hat sich in Leipzig ein Ereigniß vollzogen, das weit über die Grenzen der Stadt hinaus Interesse und lebhafte Theilnahme erweckt hat. Die Thomasschule, Leipzigs älteste Schulinstitution und eins der ältesten Gymnasien überhaupt, ist aus ihrem an historischen Erinnerungen reichen alten Hause an der Thomaskirche übergesiedelt in das neue Heim, welches ihr die Fürsorge der Stadt in dem unter dem Namen „musikalisches Viertel“ bekannten neuen Stadttheile errichtet hat.

Bei dieser Gelegenheit dürfte es angebracht sein, auf eine Eigenthümlichkeit der Thomasschule hinzuweisen, welche derselben ein Ansehen und einen Ruf verschafft hat, den sie mit keinem ähnlichen Institute theilt; ich meine ihr Alumneum, bekanntlich jene Schuleinrichtung, in welcher die Schüler zugleich Kost und Wohnung erhalten. Dasselbe, zur Pflege des kirchlichen Gesanges bestimmt, hat sich durch Jahrhunderte hindurch als ein Hort des evangelischen Kirchengesanges treulich bewährt. Ausgezeichnete Cantoren, die zugleich als Tonsetzer berühmt geworden sind, haben seinen Ruhm vermehrt. Hochgeachtet seiner künstlerischen Leistungen halber, steht das Alumneum der Thomasschule noch heute groß da, eine Zierde der Stadt, ein beneidetes Unicum des ganzen deutschen Vaterlandes. Grund genug, daß ihm auch die „Gartenlaube“ einmal ihre Aufmerksamkeit zuwende, wozu die verflossene Festfeier eine ganz besondere Veranlassung bietet.

Die Thomasschule ist schon sehr alt. Man weiß es nicht anders, als daß sie seit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts existirt, das ist die Zeit, in welcher das Thomaskloster, von dem Schule und Kirche noch Ueberreste sind, gegründet wurde. Wenigstens ist von einer späteren Gründung der Schule nirgends die Rede. So alt wie die Schule selbst mag wohl auch ihr Alumneum sein. War es doch im Mittelalter in den Klöstern allgemein Sitte, sich eine Anzahl Knaben zu halten, die des Gesanges beim Gottesdienste pflegten.

Indeß wie die Nachrichten über die Schule überhaupt bis zur Zeit der Reformation nur spärliche und lückenhafte sind, so auch über das Alumneum. Man weiß weder, wie groß die Zahl der Alumnen zu den verschiedenen Zeiten war, noch erfährt man Näheres über die Cantoren, deren Namen nicht einmal aufbewahrt worden sind. Vermuthlich hat die Nachwelt dadurch nicht viel verloren, denn jene Herren Cantores sollen ihr Amt selten selbst verwaltet haben, und das berechtigt zu dem Schlusse, daß auch die Leistungen des Chores über das Geschäftsmäßige nicht hinaus gegangen sein werden.

Die eigentliche Bedeutung unseres Alumneums beginnt erst mit der Zeit der Reformation, die in Leipzig im Jahre 1539 eingeführt wurde. Kurze Zeit darauf kam das Thomaskloster in den Besitz der Stadt, nicht zum Nachtheile der Thomasschule, deren Alumneum Rath und Bürgerschaft mit fast rührender Sorgfalt gepflegt haben. Während um 1552 die Zahl der Alumnen nur zweiundzwanzig betrug, zählte das Alumneum zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts schon vierundsechszig Schüler, vier mehr als gegenwärtig. Selbst in der schweren Zeit des dreißigjährigen Krieges wurde das Alumneum von der Stadt behauptet, freilich nur unter großen Anstrengungen und nicht in jenem erfreulichen Stande. Heute existirt das Alumneum der Thomasschule lediglich durch milde Stiftungen, die ihm im Laufe der Zeit aus der Mitte der Bürgerschaft zugeflossen sind. Bei einem Bestande von sechszig Alumnen wird die Stadtcasse nur mit einem Minimum in Anspruch genommen.

Mehr noch als durch seine Fürsorge für das äußerliche Gedeihen des Alumneums hat sich der Rath der Stadt dadurch ein Verdienst erworben, daß er Männer an die Spitze desselben stellte, die als hervorragende Meister in ihrem Fache auch befähigt waren, die Leistungen des Chores zu heben und der Anstalt dadurch Ruhm und Ansehen verschafften. Es seien aus der stattlichen Reihe der Cantoren nur erwähnt die Sethus Calvisius, Johann Hermann Schein, Johann Sebastian Bach, Johann Gottfried Schicht, Moritz Hauptmann, Männer, deren Ruhm noch die spätesten Zeiten verkündigen werden. Viel verdankt Leipzig insbesondere dem großen Johann Sebastian Bach. Wenn das Alumneum der Thomasschule heute von einem ganz besonderer Nimbus umgeben ist, so ist derselbe auf die Beziehungen zurückzuführen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_875.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)