Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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mein Scheiden ungerne zu sehen. Doch schwand seine elegische Stimmung wie Nebelschleier vor Morgensonnenglanz, als das schöne Paar auf der nächsten, nur durch ein enges Thal von uns getrennten Anhöhe erschien und fröhlich herüber grüßte.
Zwei stämmige Saumpferde waren mit dem neuen Hausrath belastet, und was auf ihren Rücken nicht mehr Platz gefunden, hatte Ancza auf die eigenen kräftigen Schultern genommen, während der reckenhafte Gatte nur die Pfeife trug, aus welcher er rauchte. Ueberrascht betrachtete ich die blühend schöne, stolze Frauengestalt. Ancza gehorchte allerdings nur der herrschenden Landessitte, welche das Tragen von Lasten in erster Linie dem Weibe aufbürdet, Wunder nahm mich jedoch, daß die rumänische Brunhilde sich dieser Sitte mit sichtlich opferfreudiger Befriedigung und fast rührend demüthiger Hingebung fügte.
Nicht ohne Genugthuung bemerkte Vorescu mein Staunen.
„Was sagt Ihr jetzt, Herr, hatte ich nicht Recht?“ flüsterte er mir vergnügt zu.
Ja, ja, der Alte hatte Recht. Das ist so Mädchenart in der Bauernhütte, wie im Königspalast – dem echten und rechten Manne gegenüber. Denn dasselbe, was mir damals das freudig hingebende Wesen des starken Karpathenweibes verrieth, erzählt ja auch das älteste deutsche Epos von der starken Königsbraut mit den einfachen Worten:
„Das hat ihr alles Gunther mit seinem Minnen gethan.“
So lieben und leben die Bewohner dieses von der Cultur noch heute wie vor tausend Jahren unberührten Bergwinkels, und was immer ihre Fehler und Schwächen sein mögen, Niemand, der sie näher kennen lernte, wird bestreiten, daß sie sich die Eigenschaften edler Ahnen, Muth und Kraft, ungleich besser zu bewahren wußten, als die Mehrzahl ihrer Brüder im Flachlande. Von welch entscheidender Wichtigkeit aber selbst in unserer mit Recht Geistescultur und Wissenserweiterung pflegenden Zeit auch jene Eigenschaften für die Geschicke der Nation werden können, lehrt uns heute jedes Zeitungsblatt. Die Ereignisse jedoch dürften nur zu bald auch den thatsächlichsten Beweis liefern, daß guter Wille und Liebe zum Vaterlande nicht ausreichen, wo es gilt, sich mit dem Schwerte in der Faust seiner Haut zu wehren.
Auch der fliehende Hase liebt das heimathliche Revier; der Löwe aber schlägt den zu Boden, der es feindlich zu betreten wagt, oder läßt sein Leben im Kampfe für sein Recht und seine Freiheit.
Lang’, lang’ ist’s her.
Die See war weit hinaus, wohl eine Meile landabwärts, mit einem glitzernden, schimmernden Eismantel überdeckt. Darüber standen die Sterne an dem wolkenlosen Nachthimmel, groß und hell. Vom Dorfe herüber, aus dem verwitterten kleinen Gotteshause, klang es Hall auf Hall in die klare Luft hinaus – schwebendes, schwellendes Weihnachtsgeläute.
Sonst kein Laut – Strand und Düne waren kirchenstill. Nun aber knirschte der Schnee auf dem schmalen Fußwege wie von nahenden Schritten, und aus dem eisumkrusteten Gestrüppe, das sich zwischen den Steinen des Ufers dürftig angesiedelt hatte, schreckte ein Strandvogel scheuen Fluges empor und schnitt mit den langen Flügeln schwirrend durch die kalte Winterluft. Der einsame Wanderer, der, in einen groben, zottigen Seemannsrock gehüllt, langsam daherschritt, eine hohe, kräftige Nordmannsgestalt, trug den Kopf gesenkt. Aus seinen mannhaft ernsten Zügen sprach etwas, wie ein zorniger Schmerz, aber es schien ein Schmerz zu sein, über den das Gras von manchem Jahr gewachsen, nicht mehr leidenschaftlich und wild, nur dumpf und nagend. Die Bewegungen des Mannes waren unstät und hastig, obgleich er mehr schlenderte als ging. Er mußte wohl einen weiten Weg zurückgelegt haben; denn sein langer struppiger Bart war dicht bereift und vereis’t, und als er nun mit schneller Hand die Eiszapfen daraus entfernte, die sein heißer Athem mit der schneidigen Kälte erzeugt hatte, und sie ärgerlich von sich schleuderte, da war er in seiner wüsten Schroffheit anzuschauen, wie Einer, der eine tiefe Wunde in der Brust trägt aber sie stolz verachtet und nur darüber grollt, daß sie nicht heilen und verharschen will.
Das Dorf zieht sich hart am Strande hin; es bildet nur eine einzige lange Häuserreihe, die den Blick auf die See hat, und an diesen Häusern schritt der düstre Fremde entlang. Was kümmerten ihn die hellen Fenster, hinter denen Christbaum an Christbaum strahlte? Finster ging er fürbaß, den Blick am Boden, und seine Gedanken schienen eine längst verschollene Zeit zu suchen. – Inmitten des Dorfes steht der Leuchtthurm, ein verfallenes, zerklüftetes Gemäuer. Geborstene Böte und rostige Anker, verworrenes Tauwerk und zerrissene Segel bilden ein buntes Durcheinander um den Thurm, und an den Flanken des Hügels, auf dem er sich erhebt, hängen die Fischer die braunen Netze zum Trocknen auf. Hier hemmte der Mann seine Schritte; hier erhob er sein wettergebräuntes Gesicht und blickte mit seinen wasserblauen Augen bald auf den alten Thurm, bald auf das Schiffsgetrümmer zu seinen Füßen.
„Es war vor dreißig Jahren,“ sagte er nachdenklich vor sich hin. „Wir waren Beide Kinder. In den Fensterhöhlen des Thurmes saßen wir und hatten unsere Lust daran, hinaus zu blicken in die weite Welt voll Wasser und Wellen. Sie war ein trautes, liebliches Kind, und wenn auf unserm lustigen Platz der Zugwind ihr die langen goldigen Ringellocken in’s Gesicht trieb und sie fröstelte, dann nahm ich sie in den Arm und tröstete sie und erzählte ihr die schaurig süße Geschichte von dem armen Ullrich – dem Ullrich aus dem Märchen – der hinausgefahren war über die See, dort westwärts, in ein fernes, fernes Land und dem da draußen das Herz gebrochen war vor langem, bangem Heimweh. Dann weinte sie wohl – und das kam von dem scharfen Seewind, der ihr in die Augen blies.“ Er schwieg einen Moment. „Ach, das Heimweh!“ stöhnte er dann leise. „Wilhelm, Wilhelm, wohin sind die Tage!“ Nun stampfte er mit dem Fuße auf, und „thörichte Weichheit!“ lachte er. „Die Welt ist’s nicht werth. Schäme dich, hart gewordene Theerjacke, und trolle dich weiter!“
An der Mole vorüber, welche den kleinen Hafen vor dem Anprall der Wellen schützt, vorbei an Werft und Krahn ging er langsam straßaufwärts. Hier macht die Häuserreihe eine Biegung nach hinten, und die Straße weitet sich zu einem kleinen Platz, wo die Leute ihre Waaren feil bieten und den Bedarf für den Herd einkaufen; die Wohnung des Vogts und das Pfarrhaus liegen daran, und wo zwischen Apotheke und Bäckerladen die enge Gasse mündet, blickt die Kirche über die schneebeladenen Dächer herüber, die alte Kirche mit dem kurzen, dicken Thurm, den blechumrahmten Fenstern und der schweren plumpen Thür aus Eichenholz.
„O, ich kenne ihn noch,“ flüsterte der Fremde, „den Markt mit den freundlichen Häusern daran. Hier sah ich sie Sonntags, das Gesangbuch in der Hand, zur Kirche gehen. Jeden grüßte sie freundlich und unschuldsvoll; denn sie war ein Kind geblieben, ob sie gleich eine Jungfrau war. So gut damals – und heute?“ Wieder stöhnte er schwer auf. „Wer hätte das gedacht! – Alle hatten sie gern, mir aber lachte das Herz in der Brust, wenn ich sie sah – denn Thilde war mein. Da kam ein Sonntag – und wir standen am Altar, Mann und Weib. Glück des ersten Angehörens! O, wäre sie treu und gut geblieben!“
Nur wenige Schritte noch, und er stand vor einem niedrigen, kleinen Hause, dem einzigen in der Reihe, dessen Fenster nicht weihnachtlich hell waren. „Hier war es, hier,“ klang es beklommen von seinen Lippen, „ob sie wohl daheim ist?“ und vorsichtig wie ein Dieb, damit der Schnee nicht unter seinen Füßen knirschte, schlich er in den tiefen Schatten des vorspringenden Daches und dicht an die kleinen grün gestrichenen Fensterläden hinan. „Alles dunkel, wo mein helles Glück geblüht – dunkel am Weihnachtsabend? Gott hat sie gerichtet.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_857.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)