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Seite:Die Gartenlaube (1877) 854.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


fest in den Händen hielt. Das ganze Zimmer schien mit seinen Bewohnern nervös geworden zu sein; einige erschreckte Bücher waren aus den Fächern gefallen; die englische Pfeife lag an der Erde und hatte weithin die Tabaksasche ausgestreut; in einer vergessenen Kaffeetasse schwamm die Milch so schwermüthig auf dem edlen Mokka, als wäre sie durch ein einschlagendes Gewitter sauer geworden; die Gardinen am offenen Fenster hatten sich aus ihren Ringen gelöst und wehten im Winde gespenstig hin und her.

„Zu spät – sie ist fort,“ sagte der Hauptmann mit matter Stimme.

„Fort!“ wiederholte der Diener dumpf wie ein Echo aus den litthauischen Urwäldern.

„Und er – und er?“ fragte Gabriele aufgeregt.

„Natürlich auch fort!“ erwiderte Skarnikatis für seinen in Gedanken versunkenen Herrn.

„Und wann in aller Welt – “

„Mitten in der Nacht! Sie haben einen Wagen bestellt, der sie nach der nächsten Station fuhr; das Mädchen und die beiden Herren, der alte und der junge! Wohin? Das wußte mir Niemand drüben zu sagen, dagegen gab man mir die Bescheerung da mit, die sie für meinen Herrn bestimmt hatte.“

Da erhob sich der Hauptmann; er legte das gestickte Kissen so sanft auf das Sopha, als wäre ein Kind darin eingewickelt, und gab seiner Schülerin die Hand: „Entschuldigen Sie mich, Fräulein! Doch die unerwartete Abreise meiner Nachbarin hat mich ganz verstört; alle unsere Pläne sind gescheitert.“

„Wie? Und sie ist abgereist ohne Abschied, ohne Ihnen zu sagen wohin, ohne Ihnen zu schreiben –“

„Nur drei Worte hat sie mir geschrieben, ein herzliches Lebewohl. Sie hat mir als Vermächtniß dies von ihrer Hand gestickte Kissen hinterlassen und,“ setzte er etwas leiser hinzu, „die gestickte Geldbörse mit dem Honorar.“

„So ist es also wahr,“ rief Gabriele, „ich bin aufgegeben, gänzlich verlassen. Er ist so treulos, wie ich es kaum zu fürchten wagte. Der Schändliche!“

Der Ton ihrer Entrüstung war so hinreißend, daß Skarnikatis nicht umhin konnte, die Faust zu ballen.

„Doch ich raste nicht, bis ich ihn gefunden. Kann ich nicht mit ihm glücklich sein, so soll er es auch nicht werden. Zerreißen Sie diesen Brief, Hauptmann! Was ich ihm jetzt zu sagen habe, verlangt einen anderen Ton. O, wie ist Alles so eng und dumpf hier – in’s Weite! In’s Weite!“

„Wenn wir nur eine Spur entdecken könnten,“ sagte der Hauptmann melancholisch; „doch es fehlt ja jeder Anhalt. Hulda Freiberg – wer weiß, ob auch dieser Name der richtige ist! Und sie will ja nicht, daß man ihrer Spur folge.“

„Was die Mamsell betrifft,“ sagte Gabriele hochmüthig, „so werden wir Ihr wanderndes Fortepiano schon auffinden, sobald wir nur Herrn John Smith aus seinem Versteck aufgestört haben. Das möge meine Sorge sein! Noch heute zieh’ ich wieder nach der Residenz; ich gebe meine Zeugnisse einem Vermittler. Sie sind glänzend; ich werde schon wieder eine Stelle finden. Die Stadt ist groß; in vielen Kreisen weiß man nichts von meinem Abenteuer. Doch ich will ihn rastlos aufsuchen und mich an seine Ferse hängen, wie ein unheimlicher Schatten.“

„Schreiben Sie mir stets Ihre Adresse, mein Fräulein!“ sagte der Hauptmann, „bleiben wir in Verbindung! Vielleicht gelingt es mir, zu entdecken, wohin sie sich gewendet haben; betrachten Sie mich als Ihren Mitverschworenen!“

„Wohl! Ich verspreche Ihnen, Nachricht über Alles zu geben, was mich betrifft.“

„Ich bleibe hier, wie die Schnecke in ihrem Haus,“ sagte der Hauptmann, indem er wehmüthig hinzufügte: „einsam – jetzt mehr als je – mehr als je!“

Gabriele schoß noch einmal wie eine Sternschnuppe an’s Fenster, warf einen Blick hinüber, der fast als ein Versuch der Brandstiftung angesehen werden konnte, und gab dem Hauptmann die Hand.

„Besten Dank für Ihre Stunden! Sie werden wiederum unterbrochen; ich soll einmal im Englischen eine Stümperin bleiben; vielleicht leiste ich dafür etwas im Teuflischen!“

Der schale Wortwitz war ein Ausdruck ihrer innersten Erregung; hat doch schon Shakespeare gezeigt, daß die Verzweiflung witzig macht. Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, so athmete der Hauptmann auf, als ob ein Druck von ihm genommen wäre; denn das Wesen seiner Schülerin hatte etwas Beängstigendes für ihn. Aber sie sprach ja von ihr, die ihn so ganz erfüllte. Erst als Gabriele fort war, erfaßte ihn das Gefühl grenzenloser Oede und Einsamkeit. Wieder begann das alte Leben mit seiner geregelten Einförmigkeit, doch es war nicht mehr das alte; ihm fehlte das Behagen, die Zufriedenheit. Immer schweiften seine Wünsche in die Ferne und von den Classikern seiner neun Sprachen gefielen ihm nur diejenigen, in denen er den Ausdruck seiner Unbefriedigung, seiner Sehnsucht wiederfand. Täglich ging er in’s Mühlthal wie sonst; er setzte sich auf die Bank, auf welcher Hulda gesessen hatte, und blickte träumerisch auf das Rad und das herunterstäubende Wasser. Der Herbst streute seine gelben Blätter in den Bach; der Winter versilberte das Dach der Mühle und hemmte den fröhlichen Bach in seinem Lauf – er merkte es nicht; er sah immer um sich das frischeste Grün und hörte das Rauschen der Mühle, auch wenn sie still stand.

Zum Hohn für seine Erinnerungen hatte ihm gegenüber ein alter Major sich einquartiert. Es kam ihm vor, als sähe er sich selbst in einem Vexirspiegel. Ueber der Lautenschlägerin hing oft ein alter Officiersmantel, den der Bursche ausklopfte. – –

Gabriele schrieb mehrmals; ihre Briefe waren ebenso geistsprühend, wie leidenschaftlich zerrissen. Sie hatte eine Stelle bei einem General gefunden. Ihre Nachforschungen nach dem Aufenthalt des treulosen Bräutigams waren vergeblich gewesen; nur das hatte sie erfahren, daß er auch damals nicht, wie es hieß, nach London gereist sei, sondern sich längere Zeit in deutschen Hansestädten aufgehalten hatte; sie hoffte noch immer auf die Züchtigung des Verräthers.

Der Hauptmann begann Hulda bereits für ein Traumbild zu halten, das auf seinem Lebenswege gegaukelt und unfaßbar wieder verschwunden war. Nachdenken hierüber und Sorge über die geheimnißvolle Begegnung mit der Geisterwelt brachten es dahin, daß einzelne Silberfäden in sein dunkles Haar sich mischten wie Skarnikatis zuerst entdeckte, der ihm eines Morgens ein corpus delicti mit nachdenklichen Mienen präsentirte.

„Ich werde alt,“ sagte der Hauptmann, „es geht mit mir zur Neige. Wie thöricht war ich, ein Glück zu hoffen, das nur der Jugend gehört! Carramba,“ – es war seine spanische Woche – „uns ziemt es, wie dem Kaiser Karl dem Fünften im Kloster von Sanct Juste, Grabesgedanken zu hegen.“

Sein Lebens- und Stundenplan blieb unverändert; nur nahm er keine Schülerinnen mehr an und wies selbst die Tochter des Bürgermeisters zurück, die ihr Französisch über die Conjugationen hinaus ausdehnen wollte.

(Schluß folgt.)




Karpathen-Menschen.
Von F. Sch.
(Schluß.)


Nach abermaligem mehrstündigem Ausschreiten erreichten wir das Ziel unserer Wanderung, den Dialu negru (schwarzen Berg), der an Höhe zwar vielen seiner Genossen nachsteht, dennoch aber eine seltene und durch die Vereinigung der schärfsten landschaftlichen Contraste überraschende Rundschau gewährt.

Verlockend schön liegt vor dem Beschauer im sonnigen Süden das reiche üppige Flachland, aus dessen sammtartigen grünbraunen Fluren die Städte Pitesti und Plojesti mit ihren glitzernden Weißblechbedachungen auf Kirchen und Villen und die Fluthen des reizenden Argis mit seinen Nebenflüssen hervorschimmern wie riesige in Silberarabesken gefaßte Brillantagraffen; im schattigen Norden dagegen ragen die massigen, ernst und finster niederschauenden Bergkolosse der Karpathen empor, umflossen von ruhiger Erhabenheit und düsterer Majestät und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_854.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)