Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
|
Anhöhe, auf welcher ich ein reizendes Thal vor mir erblickte. Ein wohlgepflegter, schattiger Weg lockte dorthin, überschritt einen Bach auf einer kleinen Holzbrücke und führte an einem See vorüber, in welchem schöngeformte Felsen sich spiegeln. Nach fast zweistündigem höchst anmuth- und wechselvollem Gange stand ich endlich am Fuße der Anhöhe, von welcher des Sultans Sternpalast herabglänzt und die sich etwa hundertundzwanzig Meter über den Spiegel des Bosporus erhebt. Garten und Palast liegen so frei, daß namentlich von letzterem der Rundblick ein überraschend herrlicher ist. Den fesselndsten Eindruck machten die Küsten Asiens und die endlosen Flächen des farbenprächtigen Marmarameeres. Nicht ohne Kampf reißt man sich von der bezaubernden Stätte los, und ich that es nur, um wenigstens den Palast recht bald im Bilde mein Eigen nennen zu können. Die Façade desselben bietet eben nichts Besonderes, sondern zeigt uns nur, was sich hier nicht selten wiederholt, einen Mischmasch von allerlei Stilarten durcheinander.
Das Innere besteht im Erdgeschosse aus einem größtentheils marmornen Hausflure und vier Wartesälen, von denen jeder für eine besondere Classe von Personen bestimmt ist, und im ersten Stockwerke aus einem Schlafgemache, mehreren kleinen Salons und einem glänzend decorirten großen Salon, in welchem der Sultan oft den Sitzungen des Ministerraths präsidirt.“
So weit unser Gewährsmann. Wie lange aber die Sultane noch von ihrem Palaste nach der asiatischen Seite des Bosporus hinübersehen werden, das hat die europäische Menschheit geduldig abzuwarten.
Angstvolle Minuten. Ein selbsterlebtes Eisenbahnabenteuer. Die Nacht hat ihre dunklen Fittige über die Erde gebreitet; kein Sternlein blinkt am Himmelszelte. In die undurchdringliche Finsterniß stürmt der Courierzug donnernd und polternd hinaus.
Ich stehe in einem Coupé des Eisenbahnpostwagens und bin eifrig beschäftigt, die verschiedenen Briefe, welche von der vorhergehenden Station in reichlicher Menge eingegangen waren, zu sortiren und in die bestimmten Fächer zu legen. Ich bin dabei in meine Arbeit so vertieft, daß ich nur dieser meine ganze Aufmerksamkeit widme und mich wenig um das Rollen und Poltern der Eisenbahnräder da draußen kümmere, ist es mir doch ein altgewohntes Geräusch. Hier und da mache ich eine flüchtige Notiz, und wenn die Schwankungen des Wagens nicht immer ein ruhiges Schreiben am Arbeitstische gestatten wollen, benutze ich ein eigens dazu hergestelltes Brettchen, welches ich mit dem darauf gelegten Schriftstücke mit der linken Hand halte, während ich mit der rechten die Feder oder den Blaustift führe. Plötzlich öffnet sich die Thür des Packraumes, in der sich mein alter Postschaffner aufhält. Das Knarren der Thür läßt mich aufblicken; verwundert sehe ich dem Alten in’s Gesicht, der mit einer ganz ungewohnten, respectwidrigen Behendigkeit mit den Worten auf mich zustürmt: „Merken Sie denn gar nichts, Herr Secretär? Im Packraume da hinten ist der Teufel los. Schachteln und Kisten werden lebendig; habe ich ein Packet mit Mühe aufgestapelt, so fällt ein zweites schon wieder herunter. Hah! nun wird es auch hier lebendig. Sehen Sie nicht, wie das Repositorium wankt und wackelt?“
Während ich noch meinem braven Alten die Furcht ausreden und ihn mit der schlechten Lage der Strecke vertrösten will, kracht es bereits unter dem Fußboden; ein Loch wird sichtbar, und kleine Splitter fliegen in die Höhe. Das ist mir denn doch zu arg. Rasch eile ich an das Fenster, um dasselbe herunterzulassen, doch – habe ich in der Aufregung nicht die richtige Oese gefaßt? – ich vermag dasselbe nicht zu öffnen. Ich greife und taste noch einmal, erfasse endlich den richtigen Ring, und mit einem heftigen Rucke rasselt das Fenster hernieder. Ich beuge den Oberkörper hinaus; eisige Luft umfängt mich; Staub und kleine glühende Funken, welche die Maschine auswirft, trüben die Sehkraft meiner Augen, doch trotz aller Widerwärtigkeiten will ich die Zugleine ergreifen, um durch einen Zug an derselben den Locomotivführer auf unsere gefahrvolle Lage aufmerksam zu machen. Was ist das? Ich greife und taste, greife wieder und erfasse nichts als die kalte Luft; ein Dämon scheint in diesem kritischen Augenblicke die Zugleine entführt zu haben. Immer unerträglicher werden die Schwankungen des Wagens. Bald beugt er sich nach vorn bald zur Seite; er ächzt und stöhnt in allen Fugen, springt und hüpft wie ein leichtfüßiges Reh.
„Reichen Sie mir,“ rief ich dem Packschaffner zu, „irgend einen langen Gegenstand her! Ich will versuchen, mich in dem Nachbarwagen bemerklich zu machen.“ Bange Secunden vergehen. Der Alte wankt taumelnden Schrittes in den Packraum, entdeckt glücklicher Weise eine Stange und reicht mir dieselbe zu. Noch weiter beuge ich mich zum Fenster hinaus, taste und fühle, erreiche die nächste Fensterscheibe und zertrümmere dieselbe mit einem kräftigen Schlage, wie ihn nur die Angst führen kann. Die Gefahr, in der wir schweben, vergrößert sich. Packete und Geldfässer rollen in einem bunten Chaos durcheinander; es pfeift und stöhnt, als ob sich zwei harte Gegenstände an einander reiben; es rasselt und klappert in allen Ecken. Unaufhörlich stürmt der Zug vorwärts – ist denn gar keine Hülfe möglich? Ich schreie laut hinaus in die dunkle Nacht; ohnmächtig verhallt der Ruf und wird von dem Sturmwinde davongetragen; schon will ich mich resignirt in mein Schicksal ergeben. Da öffnet sich ein Fenster; ein Kopf beugt sich heraus – man hört endlich den angstvollen Ruf und erkennt die Gefahr an den Schwankungen des Wagens. Ein Arm streckt sich zu dem Coupéfenster hinaus und erfaßt die Zugleine schneller und glücklicher als ich; ein kräftiger Ruck und ein laut tönender Schall aus der Dampfpfeife giebt mir Gewißheit, daß wir gehört wurden.
Drei schnell hinter einander folgende Töne – mir klangen dieselben wie Engelsmusik – erschallen; die Räder knarren und ächzen unter den fest angezogenen Bremsklötzen; der Zug fährt immer langsamer – noch eine Secunde, und wir sind gerettet.
Mehr todt als lebendig springe ich, ehe der Zug ganz still steht, aus dem Wagen heraus, falle hin, erhebe mich wieder und eile spornstreichs aus dem Bereiche der Gefahr, wie auch der Alte, dem die Angst Flügel verliehen zu haben schien. Schritte kommen näher; Lichter tauchen auf. Ich fühle eine Hand auf meiner Schulter ruhen und höre die Worte: „Na, mein lieber Secretär, es war die höchste Zeit, daß Sie uns zu Hülfe riefen; nur noch wenige Secunden, und der alte Wagen wäre zertrümmert worden. Ein verdammter Radreifen ist gesprungen und hat sich unter das Wagengestell festgeklemmt; noch einige Umdrehungen dann wäre Ihnen nebst Ihrem Alten nicht mehr zu helfen gewesen.“ Wie Himmelsbotschaft hörten sich die rauh ausgestoßenen Worte des Locomotivführers an, welcher noch immer kopfschüttelnd um den Wagen ging und sich den Sprung und die festgeklemmte Lage des Reifens betrachtete. – Die Zugleine wurde auf dem Dach des Postwagens zerrissen vorgefunden; nur durch ein Wunder waren wir dem sicheren Tode entgangen.
H. L. in Leipzig. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die durch Bleiröhren geleiteten Nutzwässer nicht bleihaltig werden, und kommt dies daher, daß sich aus dem von der Luft abgeschlossenen immer frisch durch die Leitung laufenden Wasser ein schützender unlöslicher chemischer Niederschlag auf die innere Wand der Bleiröhren ablegt, welcher durch Abschluß des Luftzutritts nicht oxydiren kann, eine Möglichkeit, die bei offenen bleihaltigen Gefäßen immer vorhanden ist. Uebrigens ist diese Frage früher schon vielfach in technischen Kreisen ventilirt worden; daher versehen, um allen bezüglichen Einwürfen zu begegnen, viele Bleiröhrenfabrikanten ihre Fabrikate mit innerer Verzinnung.
Ros. Ftg. in Wsn. Die Berliner Verhältnisse sind uns selbstverständlich nicht so genau bekannt, wie die von Leipzig, aber von allen Seiten wird uns das Pensionat der Frau Doctor Beta für Damen und junge Mädchen, die sich zum Studiren und sonstiger Zwecke willen in Berlin aufhalten wollen, auf’s Dringendste empfohlen. Die Zeugnisse des Lette-Vereins, des Herrn Prediger Thomas dort etc. sprechen für die Dame. Die Räumlichkeiten des herrschaftlich eingerichteten Hauses (Schellingstraße Nr. 16), in unmittelbarer Nähe des Thiergartens und des Potsdamer Thores, sind gesund und freundlich gelegen, und der Verkehr zwischen den älteren und jungen Damen soll ein sehr gemüthlicher und freundschaftlicher sein. Die Frau Doctor Beta, uns persönlich bekannt, ist eine sehr gebildete Dame und wendet ihre ganze mütterliche Fürsorge ihren Pflegeempfohlenen zu.
Herren P. & W. (Ledertuch-Importeure) in Berlin. Sie wollen sich mit Ihrer Beschwerde an das Reichsgesundheitsamt, nicht an die Redaction dieses Blattes wenden! Nachdem die oberste deutsche Gesundheitsbehörde officiell erklärt hat, daß der Bleigehalt des Ledertuches unter Umständen gesundheitsgefährlich sei, ist es die Pflicht der Aerzte, auf solche Schädlichkeiten zum Schutze des Publicums hinzuweisen. Wenn, wie Sie zu hoffen scheinen, das Reichsgesundheitsamt seine bezügliche Publication zurücknehmen wird, dann sind auch wir gern bereit, Ihrem Wunsche mit einer „Berichtigung“ zu willfahren. Wir glauben übrigens, daß es bei den frommen Wünschen sein Bewenden haben wird.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_832.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)