verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Fabrikate Tausende von Menschen täglich an Gesundheit und Leben geschädigt werden können, trotzdem aber wird, da kein Gesetz bis jetzt die Anwendung bleihaltiger Stoffe in der Industrie verbietet, von zahlreichen Fabrikanten hierin auf die gewissenloseste Weise gesündigt. Wir werden uns stets freuen, Fabriken namhaft machen zu können, von welchen nur gesundheitsgemäße Gebrauchsgegenstände geliefert werden. Um jedoch die bezügliche Industrie durch obige Mittheilung nicht zu schädigen, erklärt sich unser ärztlicher Mitarbeiter, dessen Adresse von uns zu erhalten ist, gern bereit, hierher gehörige Fabrikate einer eingehenden chemischen Untersuchung zu unterziehen und im Interesse des Publicums und derjenigen Industriellen, welche bleifreie Fabrikate liefern, die nöthigen Bekanntmachungen zu erlassen.
Bescheidene Anfrage. Zum Feldzuge von 1870 und 1871 wurde als Reservist ein Mann aus einer Subaltern-Beamtenstellung eingezogen. In einer großen Schlacht zerschmetterte eine Kugel ihm den Knochen des rechten Oberschenkels. Nach seiner Heilung verblieb ihm ein kürzeres Bein mit noch immer eiternder Wunde. Beides hinderte ihn jedoch nicht, seinen alten Platz als Beamter wieder einzunehmen; es erfolgte sogar seine definitive Anstellung mit einer Gehaltszugabe von monatlich sechs Mark Verwundungsgeldern. Jetzt heirathete der Mann und wollte nun auch als unmittelbarer Staatsbeamter sofort seine Gattin in die Allgemeine Wittwen-Verpflegungs-Anstalt zu Berlin einkaufen. Aber siehe! Der ihn untersuchende Physikus muß auch die eiternde Wunde erwähnen – und der Mann wird zurückgewiesen. Er hat aus dem Kampfe „für König und Vaterland“ eine offene Wunde mit heim gebracht, und deshalb muß seine Gattin einst die Wohlthat entbehren, welche Allen zukommt, die so glücklich waren, nicht auf dem Felde der Ehre verwundet worden zu sein. – Die Sache ist zu beklagen, aber sie ist auch zu ändern. Die Gesetze dieser Verpflegungs-Anstalt, der einzigen, in welcher die Beamten ihre Wittwen vor Noth schützen können, sind offenbar vor den großen Kriegen gemacht worden, in welchen Preußen zu seinen Siegen so viel neue Erfahrungen gesammelt hat. Dazu wird auch die gehören, daß die Gesetze gerade solcher Wohlthätigkeits-Anstalten keinen Paragraphen enthalten dürfen, welcher Männer von ihnen ausschließt, weil sie als Soldaten ihre Schuldigkeit gethan haben. Eine Verbesserung jener Anstaltsgesetze ist das Einzige, was unserm Manne zu einem wohlerworbenen Rechte verhelfen kann.
Luftdichte Fenster und Thüren. Mit dem Beginne der kälteren Jahreszeit mehren sich in den Zeitungen wieder wie alljährlich die Anerbietungen, Fenster und Thüren „luftdicht“ zu verschließen. Es ist ein Glück, daß dieser luftdichte Verschluß immer illusorisch bleibt, denn sonst würde er, wenn die Mauern etwa auch noch recht dick und feucht wären, dazu führen, die dahinter Wohnenden über Nacht zu ersticken. Ich habe nichts dagegen, daß arme, alte Leute, die nur wenig Körperwärme und noch weniger Ofenwärme verausgaben können, ihre Fenster verkleben, aber bei Denjenigen, die in Heizung etwas daraufgehen lassen können, möchte ich ein dringendes gutes Wort für die undichten Fenster einlegen, ja, wenn ich ein Dichter wäre, würde ich ein „hoch wie Orgelton und Glockenklang“ klingendes Lied zum Preise der braven und gesunden Fensterritzen singen, denn sie im Bunde mit dem unschätzbaren Kachelofen sind es vornehmlich, die uns trotz unseres künstlichen Gefangenlebens im Winter leidlich gesund erhalten, indem sie uns das wichtigste Lebensbedürfnis, frische Luft, in ausreichender Menge verschaffen, sodaß Derjenige, dem seine Gesundheit am Herzen liegt, sie bei Leibe nicht verstopfen soll.
Wer zu Rheumatismus neigt, mag allenfalls dasjenige Fenster, neben welchem sein Näh- oder Schreibtisch steht oder unter welchem er unmittelbar schlafen muß, zustopfen, aber um des Himmels willen nicht die übrigen Quellen frischer Luft, falls die Ritzen nicht etwa so sind, daß man den kleinen Finger hineinstecken kann, was ich auch nicht gerade loben will. Am besten sind Doppelfenster, die man aber nur dann innen schließen darf, wenn der Wind gerade gegen die Scheiben weht. Diejenigen, welche jemals probirt haben, welche Frühlingsluft man sich in kühlen März- und Octobertagen durch Heizen bei halboffenen Fenstern in’s Zimmer zaubern kann, werden zuerst die kleinen Ritzen als unsere besten Freunde erkennen. Noch einmal, wem seine Gesundheit lieb ist, der hüte sich vor sogenannten luftdichten Fenstern! Die Fenster sind dazu da, den Zimmern nicht blos Licht, sondern auch frische Luft zuzuführen, empfehlenswerther sind Doppelthüren gegen die Corridore, da die Corridorluft in unsern großen Häusern nicht eben begehrenswerth zu sein pflegt.
Welfenherz, freue dich! Der „Althannoversche Volks-Kalender“ ist auch für das Jahr 1878 wieder da. Wahrlich eine Mustererscheinung des conservativsten Particularismus! Sogar die „Zeitrechnung“ weiß nichts von einem deutschen Reich und Jahr 1870, sondern schließt mit der „Thronbesteigung Sr. Maj. Königs Georg des Fünften 1851“ und mit der „zweiten Annexion Hannovers durch Preußen 1866.“ Abgesehen von den allgemein gehaltenen Schlägen auf „nationalliberale Lügen“, „Militarismus“, und sehr absichtlichen Aufrührereien aller möglichen Parteigifte enthält der Kalender auch Ausbrüche nichtswürdigster Art, wie den folgenden auf die Leipziger Kaiserfeste vom vorigen Jahre bezüglichen: „Uebrigens ist die ,Einigung des deutschen Vaterlandes’ nichts anderes, als ein Ammenmärchen, an das kein vernünftiger Mensch mehr glaubt; und daß Deutschland unantastbar ist, von diesem Wahne dürften die Leipziger Maulhelden bald durch die Russen oder Franzosen curirt werden.“
Womöglich noch offenherziger spricht der Kalenderschreiber, der „Welfenpastor Ludwig Grote in Hannover“ sich aus in einem Artikel „Hannovers Heldenheer“. Dort heißt es: „Kalenderschreiber wird es stets als höchstes irdisches Glück preisen, daß er als Hannoveraner geboren ist, und wenn er auch jetzt unter dem schweren Drucke seufzt, ein Mußpreuße zu sein etc., so wird er doch bis zum letzten Lebenshauche an der Hoffnung festhalten, daß er sein müdes Haupt als freier Hannoveraner in freie hannoversche Erde werde legen können.“ Freie hannoversche Erde?
Radical-Mittel. Wir erhalten aus Berlin nachfolgende Zuschrift: „Mit vielem Interesse habe ich den in Nr. 43 der ‚Gartenlaube‘ enthaltenen, leider nur zu wahren Artikel gelesen, der den schamlosen Wucher geißelt, den sogenannte ‚discrete Privatleute‘ Officieren gegenüber ausüben. Der Verfasser wünscht zur Beseitigung jenes Treibens ein Reichsgesetz und andererseits nach Vorgang der österreichischen Armee Regimentscassen, die kleine Darlehen zu fünf Procent abgeben. Für und wider die Wuchergesetze ist schon so viel gestritten worden, daß es Eulen nach Athen tragen hieße, dem noch etwas hinzuzufügen; mit den Regimentscassen würde meiner Meinung nach absolut nichts gebessert, sondern nur der Zeitpunkt für den Einzelnen um ein Geringes hinausgeschoben werden, an dem er jenen oben erwähnten ‚Herren‘ verfällt.
Ein Mittel nur giebt es, um jener die Blüthe unseres Heeres demoralisirenden Wirthschaft die Spitze abzubrechen: Man bringe in den militärischen Erziehungsanstalten unseren künftigen Officieren die Ueberzeugung bei, daß es ehrlos sei, Schulden mit dem Bewußtsein zu machen, dieselben nicht bezahlen zu können; man nehme den Herren Officieren von Amtswegen das Versprechen auf Ehrenwort ab, sich bei keinem Hazardspiel zu betheiligen, – der Kundenkreis jener ‚Privatleute‘ wird sich fortan verringern und unserem Heere eine größere Menge tüchtiger Kräfte erhalten bleiben, als bisher.
verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1877, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_816.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)