Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Fingerenden werden gehalten von den breiten, schildartigen Nägeln, durch welche die Finger in Ausübung ihrer Fertigkeiten außerordentlich unterstützt werden. Man sieht gewöhnlich auf diese organischen Gebilde mit Verachtung herab und ist in unseren Tagen viel zu wenig geneigt, ihnen besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu schenken. Anders war es bei unseren Vorfahren und den hervorragendsten Culturvölkern der alten Welt, den Griechen und Römern. Bei den letztern beiden Völkern waren die Barbierstuben fast ausschließlich die Orte, wo Gelegenheit geboten wurde, sich frisiren, den Bart scheeren und die Nägel beschneiden zu lassen. Hier hielten vorzugsweise auch die jungen Männer ihre Zusammenkünfte ab, um sich über Politik und öffentliches Leben, über Putz und Liebschaften zu unterhalten und ihre Ideen auszutauschen.
Nur reiche Leute besaßen die zu einer vollständigen Toilette gehörigen Instrumente, als Spiegel, Kämme, Scheeren und Messer von verschiedener Größe und Schärfe, und hielten sich besondere Sclaven, welche Kopf und Hand ihrer Gebieter wohl zu conserviren und zu verschönern verstanden. Die übrige Welt, auch der Geringste, der noch auf äußere Wohlanständigkeit und auf eine gewisse Eleganz in seiner Erscheinung Anspruch machte, pflegte die Morgentoilette fast täglich in der Barbierstube vorzunehmen; nie beschnitt man sich die Nägel an den Händen und Füßen selbst. Die vornehmen Damen, welche in ihren Toilettenzimmern ein dienendes Heer von Sclavinnen um sich versammelten, hielten sich zur Pflege der Nägel kunstgeübte Sclavinnen, welche sich zum Putzen und Glätten derselben statt einer Scheere kleiner silberner Zangen und feiner Messerchen bedienten, aber auch häufig Gebrauch von allerlei Säften, Kräutern und mineralischen Pulvern machten, um die rauhen Unebenheiten und Nebenauswüchse der Nägel abzuglätten und zu entfernen. Um den Zorn ihrer gestrengen Domina nicht herauszufordern, mußten sie dabei mit außerordentlicher Sorgfalt zu Werke gehen, damit ja kein Nietnagel entstehen oder irgend welcher Auswuchs übersehen werden möchte. Der Nagel hatte unter der geschickten Hand der Sclavin erst dann seine vollkommene Schönheit erreicht, wenn er, regelmäßig beschnitten und rein abgeglättet, in sanfter Fleischfärbung erglänzte. Von so vorzüglicher Schönheit waren z. B. die Nägel der Cynthia, von welchen der verliebte Dichter Properz sich ein Denkmal in seinem Gesichte erbat. Der aalglatte Dichter Ovid, der sich in die Boudoirs der Damen so leicht Eingang zu verschaffen verstand und in Fragen der Toilette ein vollgültiges Urtheil zu sprechen vermochte, giebt seinen gelehrigen Schülerinnen die Vorschrift:
„Nur mit geringer Bewegung begleite die Schöne die Rede,
Ist ihr der Finger zu fett, ist ihr der Nagel zu rauh!“
Der Dichter deutet in diesen Versen darauf hin, daß zu den Bewegungen der Hand, wodurch sich der Mensch klar und verständlich machen und seine Empfindungen so schön und ausdrucksvoll darlegen kann, auch schöne Finger und ein wohlgepflegter Nagel erforderlich seien. Und in der That, zu keiner Zeit hat man es besser verstanden, die Hand als ein Werkzeug des Ausdrucks zu gebrauchen, als im Alterthum. Namentlich waren es die Römer, welche beim Sprechen lebhaft gesticulirten und das Verständniß der Rede durch häufige und geschickte Bewegungen mit Händen und Fingern vermittelten. Diese Geberdensprache gewann noch an Bedeutung, als man anfing, die Handbewegungen in bestimmte Regeln der Kunst zu bringen. Es entstand so die Cheironomie oder die Kunst, mit den Armen, Händen und Fingern regelmäßige Biegungen, Wendungen und Geberden hervorzubringen. Sie wurde gleichsam als eine Vorbereitungslehre zur nachahmenden Tanzkunst angesehen, bei der es im Alterthum weniger auf die Gelenkigkeit der Füße, als auf die ausdrucksvolle Beweglichkeit der Hände und Finger ankam, sodaß der sachverständige Ovid nicht die Füße, sondern nur biegsame Hände als Erfordernisse zum guten Tanze angiebt. Wie der Taubstumme die Hand zur Dolmetscherin seiner Empfindungen macht, so verstanden es namentlich auch die orientalischen Haremsdamen, nicht minder aber die Römerinnen durch die Sprache der Finger Mittheilungen irgend welcher Art an die richtige Adresse zu bringen. Die Finger aber, welche eine so beredte Sprache führten, mußten sich selbstverständlich auch durch Schönheit und Ebenmaß, durch Zierlichkeit und glänzende Fleischfärbung der Nägel auszeichnen. Unsere Schauspieler, ja auch die Kanzelredner verdanken ihre Erfolge wesentlich den maßvollen, schönen und ausdrucksvollen Bewegungen der Hände, und auch die Maler haben es verstanden, auf ihren Bildern die Sprache der Hände zum Ausdruck gelangen zu lassen.
Wie die Chiromantiker aus den Linien der Hand das Schicksal der einzelnen Menschen zu lesen verstanden, so fanden sie auch an den Nägeln Anhaltepunkte, welche ihrer Wissenschaft zu statten kamen; denn auch die verschiedenen weißen, schwarzen, braunen, rothen und gelben Flecken, Punkte und Wölkchen auf den Nägeln dienten dazu, über das zukünftige Geschick Auskunft zu geben. Die Chiromantiker fanden diesen Glauben unter dem Volke allerdings schon vor, aber sie legten sich Vieles daraus für ihre Wissenschaft zurecht und brachten System hinein. Dieser Volksglaube, nach welchem die kleinen Punkte und Gebilde auf dem Nagel für geheime Zeichen galten, welche die Zukunft zu enthüllen vermochten, läßt sich auch in Deutschland und in den nordischen Reichen bis auf die heidnische Vorzeit zurückführen. Noch heutzutage nennt man auf den Faröern die weißen Pünktchen auf den Nägeln Nôrnaspôr (Nornenspuren), und es liegt daher die Annahme nicht zu fern, daß der Nagel das Symbol der Schicksalsgöttinnen, der Nornen, oder überhaupt ein den Normen geheiligtes Glied gewesen sein möchte. Man begegnet auch noch hier und da dem diese Annahme bestätigenden Aberglauben, daß das Beschneiden der Nägel nur unter gewissen Umständen und zu gewissen Zeiten erfolgen dürfe, wenn Gefahren oder ein Unglück vermieden werden sollen. Nur am Freitag darf dies geschehen; denn dieser Tag war der Göttin Freyja geheiligt, und diese stand wiederum in engster Beziehung zu den Schicksalsschwestern. Insofern bringt das Beschneiden der Nägel am Freitag Glück und Geld und schützt vor Zahnweh. Die weißen Flecke an den Nägeln bedeuten nach dem Glauben der verschiedensten deutschen Volksstämme Glück. So in Westpreußen, wo man sagt: „die Nägel blühen“, in Tirol, wo der Volksmund von der „Nagelblüh“ spricht, und auch in Baiern und Holstein knüpfen sich an die „Sterne“ und „Blomen“ günstige und glückliche Vorbedeutungen an das zukünftige Leben auf dieser Welt. In England ist derselbe Volksglaube vorherrschend. Dagegen sind gelbe, braune, rothe und schwarze Flecken auf den Nägeln meist unglückverheißend; sie bringen Noth, Sorge und Tod.
Da gegenwärtig auch der Artikel Chocolade in den leider nur zu berechtigten Kampf gegen die Verfälschung der Nahrungsmittel hineingezogen worden ist, dessen kräftige Unterstützung die „Gartenlaube“ mit gewohntem Freimuthe begonnen hat, so dürfte es den Lesern derselben, insbesondere den Hausfrauen nicht unwillkommen sein, auch über die Chocoladenfabrikation einige Aufklärungen und Rathschläge darüber zu finden, wie sie sich gegen Benachtheiligungen auf diesem Gebiete am wirksamsten selbst zu schützen vermögen.
Wenn wir als Fabrikanten in dieser Branche es unternehmen, nach Maßgabe unserer während eines mehr als fünfzigjährigen Bestehens unseres Etablissements und eines ziemlich ausgebreiteten Absatzes gesammelten Erfahrungen zu diesem Zwecke zu schreiben, so geschieht es in der guten Ueberzeugung, damit im Sinne einer ganzen Reihe ehrenwerther Collegen zu handeln, denen es gleich uns am Herzen liegt, den wichtigen Industriezweig vor der Gefahr zu behüten, einestheils durch das Aufkommen mehr oder weniger unbegründeter Vorurtheile, andererseits durch das Ueberhandnehmen des Verbrauchs geringer – billiger – Qualitäten dauernd und empfindlich geschädigt zu werden.
Die Herstellung einer guten Chocolade ist eine keineswegs leicht zu lösende Aufgabe und erfordert nicht nur eine große Menge kostspieliger technischer Hülfsmittel, sondern vor Allem große Sorgfalt in der Auswahl und Behandlung der zu ihrer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_810.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)