Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Manier Clauren’s (Carl Heun’s) nach und veröffentlichte sie sogar unter dem Namen des vielgelesenen Berliner Schriftstellers. Jedenfalls nahm das Publicum mehr in scherzhafter, denn in ernsthafter Weise diesen Spott beifällig auf, denn bei vielen gelungenen satirischen Einzelnheiten war das Hauff’sche Werk doch im Ganzen für eine Persiflage zu unbestimmt gehalten. Es folgte daher auch in der „Controverspredigt“ ein directer Angriff Hauff’s gegen Clauren nach, in dem er mit beißendem Witze und schneidiger Schärfe den Charakter von dessen Mimili- und Vergißmeinnicht-Erzählungen bloßstellte und mit sittlicher Entrüstung das Publicum zum Abfall von dieser verwerflichen Literatur aufforderte. Der Aufruf hat sicherlich dazu beigetragen, der Clauren-Mode ein schnelles Ende zu bereiten, aber hauptsächlich ist der Hauff’sche Feldzug dagegen charakteristisch für den sittlichen Grundzug, der seinem Unternehmer eigen war und den er allen seinen Werken einprägte.
Die Mehrzahl derselben besteht bekanntlich aus Novellen, die dem romantischen Zuge jener literarischen Epoche durch eine gewisse Vorliebe für Geheimnißvolles und grell Phantastisches entsprechen, aber in einer Art stillen Kampfes mit dieser Richtung die Stoffe dem frischesten Leben der Gegenwart entnehmen, dem der Salons, der Künstlerwelt, dem literarischen Getriebe, in welchem der junge Mann sich bewegte. So „Die Bettlerin vom Pont des Arts“, „Die Sängerin“, „Othello“. Diese Arbeiten sind an und für sich geschmackvoll gehaltene Erzählungen, aber man spürt doch in ihnen die ringende Jugendkraft, welche nach höheren Aufgaben verlangt. Die Verbindung des Romantischen darin mit dem Wirklichen verräth uns die Absicht des Dichters, durch poetische Unterhaltung weittragendere Wirkung auf das Publicum auszuüben, es auf sich selbst und seine unmittelbaren Lebensinteressen aufmerksam zu machen und die Literatur auch in Roman und Novelle, mehr als bisher geschah, in den Dienst der nationalen deutschen Aufgaben zu stellen. Diese Bestrebungen wurden in Hauff mehr und mehr zu klaren Ueberzeugungen. Die herzigen, künstlerisch vorzüglich gehaltenen „Phantasien im Bremer Rathskeller“, eine Zwiesprache mit sich und seinem Lebenszwecke, sind bereits völlig durchzogen davon. Auch in den „Rittern von Marienburg“ sprach er sich schon deutlich darüber aus, indem er den historischen Roman als den Hebel des nationalen Volksthums bezeichnete. Was die Walter Scott’schen Romane für die britische und zuletzt für die ganze literarische und lesende Welt bedeuteten, sollten ähnliche deutsche historische Romane für das deutsche Publicum bewirken: Liebe zum Vaterlande, Kenntniß seiner Geschichte und Sitten und Freude daran. So meinte er der „blauen Wunderblume“ der Romantik an altem, ehrwürdigem Gemäuer auf heimischem Boden einen ihrer würdigen Platz zu geben, die Phantasie Wirkliches aus der vaterländischen Geschichte umranken zu lassen. „Wir ahnen,“ schrieb er darüber, „in der Geschichte des Landes und Volkes, die uns Professoren auf Kathedern vortragen, daß es nicht immer die Könige und ihre Minister waren, die Großes, Wunderbares, Unerwartetes herbeiführten. Da oder dort hat die Tradition den Schatten, den Namen eines Mannes aufbehalten, von dem die Sage geht, er habe großen und geheimnißvollen Antheil an wichtigen Ereignissen gehabt. Solche Schatten, solche fabelhafte Wesen schafft die Phantasie des Dichters zu etwas Wirklichem um. In den Mund eines solchen Menschen, in sein und seiner Verbündeten geheimnißvolles Treiben legt er die Idee, legt er den Keim zu Thaten und Geschichten, die man im Handbuche nur als geschehen nachliest, vergebens nach ihren Ursachen forschend. Indem solche Figuren die Ideen persönlich vorstellen, bereiten sie dem Leser hohen Genuß, und oft ein um so romantischeres Interesse, je unscheinbarer sie durch Bildung und die Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft anfänglich erscheinen.“
Es lag nahe, daß der geborene Schwabe zunächst in der Geschichte seines eigenen Heimathlandes nach Stoffen solcher Art suchte, um seine Gestaltungskraft daran zu erproben. Der „Jud Süß“, der berüchtigte allmächtige Vertraute des Herzogs Karl Alexander, nach dessen Tode er 1738 schmählich in einem eisernen Käfig gehenkt wurde, bot sich ihm als eine ungemein interessante und dabei im Volke Württembergs förmlich populäre historische Persönlichkeit. In einer sehr anziehenden Novelle schilderte Hauff diesen Mann auf der Höhe seines Glückes als liebenden Vater und das verhängnißvolle Geschick seiner edlen Tochter in Folge seines Sturzes. Diese romantische Behandlung der Geschichte des Juden Süß durch Hauff ist so sehr in die Auffassung des Volkes übergegangen, daß bei demselben die wahre Historie dagegen nicht mehr aufzukommen vermag, Beweis genug, wie glücklich hier der Dichter die sich gestellte Aufgabe zu lösen verstand.
Tiefer war der Griff in die schwäbische Geschichte mit dem Roman „Lichtenstein“, dem einzigen größeren, den Hauff und zwar in einer Hast schrieb, als ahnte er seinen nahen Tod. Die Sagen, welche die Geschichte des gewaltthätigen Herzogs Ulrich, seine Leiden, seinen endlichen Sieg und seine eigene Läuterung nach so herben Prüfungen umschweben, bildeten für eine so echte Dichternatur, wie Hauff, eine verführerische Gelegenheit, seine Phantasie damit zu versetzen und sie künstlerisch gestaltend darauf wirken zu lassen. In der Begeisterung, die ihn erfüllte, aus diesem dankbaren volksthümlichen Stoff alles das zu machen, was er sehnsüchtig in der Auffassung eines nationalen Dichterberufs bisher erstrebt, schuf er einen der besten unter den deutschen historischen Romanen. Ohne Klügelei und Tendenzhascherei formte sich die Erzählung aus einem Guß zu einem plastischen Gemälde der wilden Kriegszeit Herzog Ulrich’s, der das zerschlagene und verhandelte Württemberg des Grafen im Bart wiederherstellte. Dichtung und Wahrheit fließen hier geschickt verwoben in einander. In bestrickendem Reiz und alle jene Personen gehalten, in denen der Dichter das echt Volksthümliche zum Ausdruck bringen wollte und die sich in so glücklicher Art, dramatischen Lebens voll, aus dem Gemälde schwäbischer Sittenzustände und politischer Kämpfe abheben, von Georg von Sturmfeder und seiner Braut Maria von Lichtenstein an bis zu dem buckeligen, ränkevollen Kanzler Ambrosius Volland.
Die Aufnahme dieses Romans war in ganz Deutschland eine der günstigsten, die einem solchen Buche werden kann. Mit freudigster Genugthuung sah der junge Dichter, dessen Wangen noch von der Erregung bei dieser Herzensarbeit glühten, den Traum des Ehrgeizes erfüllt, den er uns in seinen „Phantasien im Bremer Rathskeller“ auch verrathen. Zu der Geliebten, deren Herz und Hand er sich gesichert, durfte er nun wirklich glänzenden Auges sprechen: „Ein berühmter Dichter bin ich jetzt und mochte ich werden, nur daß Du von mir hörtest und stolz zu Dir sagtest: ‚Der hat Dich einst geliebt.‘“
In Schwaben gar heimelte der Roman „Lichtenstein“ in so hohem Maße an, daß er im Nu populär und in alle Häuser, bis in die einfachsten Hütten der Alp, als ein vaterländisches Brevier getragen wurde. Und noch heute wird Lichtenstein von jedem Württemberger wie ein Evangelium der alten schwäbischen Geschichte angesehen; wie Hauff diese Epoche dichterisch verklärt, so lebt sie in den Gedanken und Gefühlen des Volkes. Jedes Schwabenkind, kaum daß es lesen kann, vertieft sich in dieses Buch mit Entzücken, und wenn alljährlich zu Pfingsten Tausende aus allen Winkeln des Schwabenlandes wie in heiliger patriotischer Pflichterfüllung nach dem neu wieder auferbauten Felsenschlößlein Lichtenstein freudigen Herzens pilgern, dann erinnern sie sich all der populären Personen aus dem Roman, als seien es liebe, alte Bekannte, und sie sprechen ihnen manch’ Wörtlein nach, das der Dichter ihnen in den Mund gelegt. Wohl keinen schöneren Erfolg kann ein Schriftsteller sich wünschen, als mit einem seiner Werke so innig dem Herzen seines Volkes verbunden zu sein – und wer sagte da nicht, indem er solch ein Werk als das Vermächtniß eines trefflichen Jünglings betrachten muß, mit tiefem Bedauern: er ist zu früh gestorben!? Wie tief seine Schriften in das deutsche Volk gedrungen sind, das bezeugt am besten die Thatsache, daß gelegentlich der fünfzigsten Gedächtnißfeier seines Todes die Rieger’sche Verlagsbuchhandlung in Stuttgart mit der sechszehnten Auflage der Gesammtausgabe der Hauff’schen Werke vor’s Publicum tritt. Vom „Lichtenstein“ und den „Märchen“ sind außerdem noch Prachtausgaben erschienen.
Aber indeß sein „Lichtenstein“ ihm alle Herzen gewann, schlich der Tod schon tückisch an das seine und saß lauernd bei ihm, als er an dem Entwurf eines neuen ähnlichen Romans arbeitete, der in der neuesten Heldengeschichte Tirols spielen sollte. Eine Reise nach Paris unternahm er noch in heiterster Lebenslust. Nach Stuttgart zurückgekehrt, erhielt er die Redaction des
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_775.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)