Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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No. 46. | 1877. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Die neuen Maschinen waren unter militärischer Bedeckung sicher und glücklich im Fabrikhofe angelangt, aber noch standen sie in der Verpackung, wie sie angekommen waren, und für’s Erste war auch keine Aussicht vorhanden, sie in Gang zu bringen. Denn der Kampf, welcher zwischen den Arbeitern und dem Arbeitgeber herrschte, war in eine neue Phase getreten. Es schien, als hätte man sich überzeugt, daß die Mittel, welche man bisher angewandt, nicht die richtigen gewesen waren und daß man zu anderen Waffen greifen müsse, wenn es gelingen sollte, den verhaßten Preußen empfindlich zu treffen oder, was noch besser war, ganz zu beseitigen. Seit einigen Tagen waren die Arbeiten in der Fabrik eingestellt worden. Die Glocke, welche die Arbeiter Morgens zu ihrem Tagewerke rief, hatte vergebens geklungen. Keiner hatte ihr Folge geleistet. Der Strike war demnach zu vollem Ausbruche gekommen und somit schwere Verluste für den Besitzer unabwendbar.
Es waren trübe und sorgenvolle Tage für Reinhard, die Tage, welche diesem Ereignisse folgten. Er hatte den Schlag langsam herannahen sehen und war doch nicht im Stande gewesen, ihn abzuwehren. Die neuen Maschinen, die es ihm möglich gemacht hätten, die unruhigsten und aufsässigsten Köpfe unter seinen Leuten zu entlassen und nur diejenigen beizubehalten, die er als ruhig und zuverlässig erkannt hatte, waren zu spät angelangt. Jetzt, da sich auch diese zu offener Widersetzlichkeit hatten hinreißen lassen, lag eine solche Sonderung nicht mehr in seiner Hand. Er mußte abwarten, ob sie vielleicht durch eigenes Nachdenken wieder auf den rechten Weg kommen würden, aber seine Hoffnung darauf war nur schwach. Er wußte nur zu gut, daß die Unzufriedenheit mit den Löhnen nur den Vorwand bieten mußte, und daß der eigentliche Grund in dem Hasse gegen die Nation lag, welcher er angehörte. In der ganzen Gegend herrschte schon seit lange ein Geist der Unzufriedenheit und Widersetzlichkeit gegen Alles, was deutsch war. Die ganze Bevölkerung – und sie bestand vorwiegend aus Fabrikarbeitern – schien entschlossen, bei der nächsten Gelegenheit in offene Empörung auszubrechen. Das Leben und das Eigenthum aller Deutschen war bedroht, und ihre Lage wurde mit jedem Tage gefährlicher. Bei diesem Stande der Dinge hätte auch der Muthigste einsehen müssen, daß die Kraft des Einzelnen zum Schutze nicht ausreichte.
Es war daher eine von sämmtlichen deutschen Besitzern des Elmslebener Districts unterzeichnete Bittschrift an die zuständige Behörde abgegangen, in welcher man dringend um ein Militärdetachement gebeten hatte. Die Antwort hatte zustimmend gelautet, und man konnte demnach die Ankunft der zugesagten Mannschaft in der nächsten Zeit erwarten. Aber welche Gewaltthätigkeiten konnte man bis dahin erfahren haben!
Dies alles hatten die beiden Männer – Max und Kayser – besprochen, als sie im Comptoirzimmer des Ersteren auf- und niederschritten. Das Gespräch war ernst gewesen, hatte aber seltsamer Weise nicht wieder zu jenen scherzhaft gemachten und ernst gemeinten Vorwürfen geführt, mit welchen in früherer Zeit Kayser dergleichen Verhandlungen zu beschließen pflegte. Im Gegentheil, seine Stirn war heiter geblieben bis zuletzt, und als er jetzt seine Handschuhe anzog und sich zum Gehen anschickte, spielte sogar ein Lächeln um seine Lippen.
„So wird es am besten sein,“ sagte er, nochmals stehen bleibend, „drei Männer – Sie, der von seinen Verletzungen wieder hergestellte Jantzen und Kramer – sind in der That nicht ausreichend, beides, Fabrik und Wohnhaus im Fall der Noth zu vertheidigen. Es ist also das Klügste, letzteres aufzugeben, damit man seine Kräfte nicht zersplittere. Die werthvollsten Sachen bringen Sie verabredetermaßen in die Fabrik. Und was Ihre Schwester anbelangt, so macht sie heute entweder Hanna oder Paula einen Besuch und wird durch irgend einen Vorwand daselbst zurückgehalten. Meine Mündel werde ich in’s Geheimniß ziehen. Sie kennt weder Angst noch Nervenzufälle und wird uns ein guter Verbündeter sein.“
Er reichte Max die Hand und machte einige Schritte gegen die Thür. Aber er hatte augenscheinlich noch Etwas auf dem Herzen, denn ehe er sie erreicht hatte, blieb er wieder stehen.
„Sehen Sie, mein Junge,“ sagte er, „ich hatte mir eigentlich vorgenommen, in Ihre Angelegenheiten ferner kein Wort mehr hineinzureden. Aber Sie sind mir persönlich zu lieb geworden, als daß ich’s lassen könnte. Es ist mir schon oftmals eingefallen, daß über Sie ein ganz absonderliches Fatum herrscht, das stets das Zusammenwirken günstiger Umstände verhindert hat. Zuerst bei dem Kaufe der Fabrik waren die Conjuncturen gut, aber die Waare fehlte Ihnen; dann waren die Arbeiter da, aber die Maschinen waren alt und – wie ich ja selbst eingestehen muß – leisteten nicht genug. Nun hat sich das geändert. Jetzt sind Tuche in Menge und treffliche Maschinen neuester Construction vorhanden, aber für das Eine fehlt der Absatz und für die anderen die Hände, sie in Gang zu bringen. Ziehen Sie eine Lehre daraus! Lassen Sie sich jetzt die günstigste aller Conjuncturen, die sich Ihnen bietet, nicht wieder entschlüpfen! Ein Vermögen,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_769.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)