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Seite:Die Gartenlaube (1877) 759.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

ein Tintenfaß Goethe’s aus dessen Gartenhause, einen Briefbeschwerer von Goethe, Wieland’s Petschaft u. a. m.

Ueberrascht sehen wir die Einfachheit, fast Aermlichkeit dieses ganzen Zimmers und seiner Ausstattung, die fast schmucklosen Wände, die niedrige Decke über uns; wir empfinden den großen Contrast dieser überaus bescheidenen, rührenden Einfachheit der Wohnung zu der Genialität, zu dem himmelanstrebenden Schwung der Dichtung Schiller’s, und fast will es uns bedünken, daß dem genialen Vertheidiger der politischen, der Gedanken- und Religionsfreiheit diese Wände viel zu eng, diese Decke viel zu niedrig gewesen sein müsse. Und doch, wie sehr harmonirt diese Einfachheit mit dem schlichten, aller luxuriösen Bequemlichkeit abholden Wesen Schiller’s, und vielleicht urtheilte er ebenso, wie sein Freund Goethe hinsichtlich seines fast ebenso einfachen Arbeitszimmers dachte und sich äußerte: „Ich bin in einer prächtigen Wohnung sogleich faul und unthätig; geringe Wohnung dagegen, wie dieses schlechte Zimmer, ein wenig unordentlich, ein wenig zigeunerhaft, ist für mich das Rechte; es läßt meiner inneren Natur volle Freiheit, thätig zu sein und aus mir selber zu schaffen.“

Und in diesem kleinen Zimmer schuf Schiller während seiner letzten drei Lebensjahre die letzten unvergänglichen Meisterwerke seiner Muse. Dort am Fenster, stand früher der – jetzt in dem Schlafcabinet befindliche – Schreibtisch, welchen Schiller sich nach eigener Idee (mit Kurbel, Damenbrett etc.) herrichten ließ, und welcher ihm, wie er an Freund Körner berichtete, zwei Karolin gekostet hat; in einem der Zugfächer desselben pflegte er faule Aepfel aufzubewahren, da deren Geruch, wie er meinte, seinen Nerven wohlthuend war. Jetzt steht an dieser Stelle ein anderer, von Schiller’s Tochter, Frau von Gleichen, hierher verehrter Arbeitstisch des Dichters, nebst dem lederbezogenen einfachen Arbeitsstuhle. Auf dem Tisch steht ein Himmelsglobus, und sein graumarmorner Briefhalter (von der Prinzessin von Preußen, jetzt deutschen Kaiserin hierher verehrt). Darauf liegen eingerahmt drei Locken von Goethe die eine gepudert, die andere Haare aus Goethe’s Zopf, die dritte Haare Goethe’s im Tode – ein Geschenk der Wittwe Riemer’s. Ferner liegt dort der Brief Schiller’s an seine Schwester Christophine über seine Lage nach der Flucht, und der Brief desselben an den Hofschauspieler Graff, worin er ihm für die treffliche, verständnißvolle Darstellung des Wallenstein Dank ausspricht. An der Wand daneben hängt von Schiller’s Hand das Verzeichniß der im „Wilhelm Tell“ agirenden Personen, mit Bleistiftangaben der Namen der Künstler.

Hier war es, wo Schiller die Briefe an seine Lieben und Freunde, an Christophine, Körner, Goethe etc. schrieb; hier dichtete er die „Braut von Messina“ und, auf Andringen Goethe’s in vier Tagen, 4. bis 8. November 1804, die „Huldigung der Künste“; hier begann er endlich den Demetrius.

Schon längst kränkelte der geniale Dichter. Goethe, als er ihn kennen lernte, glaubte, er lebe keine vier Wochen mehr, und ebenso erzählte Meyer von dem ersten Zusammentreffen mit Schiller, daß er ihm sehr krank, sehr nervenleidend erschien und sein Gesicht dem Bilde des Gekreuzigten glich. Zwar hatte er, um mich Goethe’s Ausdrucks zu bedienen, eine gewisse Zähheit; er hielt sich noch diese Reihe von Jahren und hätte sich bei gesünderer Lebensweise noch länger halten können. Gegen Ende des Jahres 1804 hin aber wurde, wie er selbst sagt, seine Gesundheit so hinfällig, daß er jeden freien Lebensgenuß gleich mit wochenlangem Leiden büßen mußte.

„Und wie er athemlos, in unsrer Mitte,
Im Leiden bangte, kümmerlich genas,
Das haben wir in traurig schönen Jahren
– Denn er war unser – leidend miterfahren“

– es war dieses schöne Wort Goethe’s leider volle Wahrheit, und mit Beginn des Jahres 1805 erfüllte Schiller’s Freunde bange Ahnung. Bei Abfassung des Neujahrsbriefes an Schiller kamen Goethe zufällig die Worte „das letzte neue Jahr“ in die Feder; entsetzt zerriß er das Billet und schrieb ein neues, konnte sich aber auch da nur mit Mühe zurückhalten, etwas vom „letzten Neujahrstage“ zu schreiben.

Als er den nämlichen Tag die Frau von Stein besuchte, erzählte er ihr, was ihm begegnet, und bemerkte, es ahne ihm, daß entweder er oder Schiller in diesem Jahre sterben werde. Wenige Wochen später lagen Beide schwerkrank darnieder. Zwar erholte sich Schiller wieder und konnte seinen Freund Goethe besuchen; mit langem herzlichem Kusse hielten sich Beide umschlungen. Schiller konnte am 5. März an Körner schreiben: „Gottlob, es ist jetzt vorbei, und ich bin schneller, als ich hoffen könnte, wieder zu Kräften, so daß ich auch wieder zu arbeiten angefangen.“ Doch auch ihn erfüllte neben der Hoffnung düstere Sorge. Am 25. April begann er seinen letzten Brief an Körner mit den Worten: „Die bessere Jahreszeit läßt sich endlich auch bei uns fühlen und bringt wieder Muth und Stimmung, aber ich werde Mühe haben, die harten Stöße seit neun Monaten zu verwinden, und ich fürchte, daß noch etwas davon zurückbleibt; die Natur hilft sich zwischen vierzig und fünfzig nicht mehr so, als im dreißigsten Jahre; indessen will ich mich ganz zufrieden geben, wenn mir nur Leben und leibliche Gesundheit bis zum fünfzigsten Jahre aushält.“ Doch selbst dieser so bescheidene Herzenswunsch sollte nicht in Erfüllung gehen. Neue Erkrankung heftigster Art warf ihn wieder auf das Schmerzenslager. Es ist das Bett, vor welchem wir hier in der Ecke des Arbeitszimmers stehen. Dasselbe stand früher in dem anstoßenden kleinen Schlafcabinet, bis Schiller es der andauernden Krankheit wegen in sein Arbeitszimmer schaffen ließ.

Hierher ließ er vierundzwanzig Stunden vor seinem Tode nach einer heftigen Fieberphantasie, als das Bewußtsein wiederkehrte, sein jüngstes Kind kommen. Er wendete sich mit dem Kopfe um nach dem Kinde, faßte es bei der Hand und sah ihm mit unaussprechlicher Wehmuth in’s Gesicht; dann fing er bitterlich zu weinen an, steckte den Kopf in das Kissen und winkte, daß man das Kind wegbringen möchte. Gegen Abend dieses Tages, des 8. Mai, verlangte er, man solle den Vorhang des Fensters öffnen, er wolle die Sonne noch einmal sehen. Es geschah, und mit heiterem Blick schaute er in den schönen Abendstrahl. In inniger Liebe zu seiner Frau, zu seinen Kindern, mit dem letzten, letzten Kusse der Gattin sah er dem Ende entgegen. Am Morgen des folgenden Tages, Donnerstag, 9. Mai 1805, hatte er schon das Bewußtsein verloren; Abends halb sechs Uhr drückte er seiner Frau, die hier neben seinem Bett auf den Knieen lag, still die Hand; plötzlich fuhr es wie ein elektrischer Schlag über sein Gesicht; sein Kopf sank zurück – er verschied.

Es ist Abend; die Sonne wirft wie damals durch das Fenster ihr goldiges Licht auf das Sterbebett, welches jetzt von Verehrung und Liebe mit Kränzen und Bouquets erfüllt ist. In tiefer Rührung blicken wir auf das über dem Bette hängende Schiller’sche Portrait von Jagemann und auf dessen Bild des entschlafenen Dichters; die ganze ergreifende Scene jenes 9. Mai tritt uns vor die Seele, und mit inniger Wehmuth scheiden wir von diesem Zimmer und von dem Schillerhause. Doch nein, wir können es nicht, ohne vor der Thür des Hauses noch einen Augenblick in Erinnerungen zu verweilen. Hier war es, wo am 12. Mai 1805 Nachts ein Uhr, während aus dem Innern des Weinen und Trauerklagen hörbar waren, zwölf junge Beamte und Künstler die Leiche des allgeliebten, allbetrauerten großen Dichters übernahmen und leise schluchzend zum Cassengewölbe auf dem Friedhofe trugen. Dort sollte nur seine provisorische Begräbnißstätte sein; man gedachte ihm ein Denkmal zu stiften auf einem neuen, erst projectirten Gottesacker, wohin er dann übergeführt werden sollte – eine Idee, die, wenn auch erst nach Jahren, zur Ausführung gekommen ist. In der Fürstengruft auf dem neuen Friedhofe ruht Schiller neben Karl August und neben Goethe.


An den Karpfenteichen der Niederlausitz.

Nicht mit den Reizen hoher landschaftlicher Schönheit geschmückt und von der Natur nicht mit reichem, ertragfähigem Boden gesegnet, hat die Niederlausitz erst spät sozusagen Stellung genommen unter den bevorzugteren Schwesterlandschaften Deutschlands. Und doch findet sich hier des Beachtenswerthen, ja Anziehenden gar Vieles. Hat doch an dem oberen und mittleren Laufe der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_759.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)