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Seite:Die Gartenlaube (1877) 748.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Preis zahlen! Du gewissenloser Seelenverkäufer, Du! Sieh mich an, Bursche! Wie hoch taxirst Du mich?“

„In Civil und mit der Fabrik obendrein sind der Herr Hauptmann wenigstens seine Hunderttausend unter Brüdern oder vielmehr Schwestern werth. Ich an Ihrer Stelle thäte es nicht billiger.“

„An zu großer Bescheidenheit leidest Du nicht, wie ich merke.“

„Und für die Berechtigung, die Uniform der glorreichen deutschen Armee zu tragen,“ vollendete Kramer mit schlauem Blinzeln, „für diese Berechtigung müßte noch ein hübsches Landgut darauf kommen. Anders thäte ich es nicht – auf keinen Fall.“

„Nun habe ich genug des Unsinns, Du unverschämter Patron. Mache, daß Du fortkommst! Ich will die Stube schließen.“ – –

Als Max einige Minuten später an der langen, rothen Mauer des Fabrikhofes hinging, die noch die Sonnengluth des heißen Tages ausströmte, mußte er noch einmal an das eben geführte Gespräch zurückdenken.

„Es ist richtig,“ sagte er zu sich, „alle meine Freunde sehen meine letzte Hoffnung nur in einer reichen Heirath. Wird mir denn wirklich kein anderes Mittel übrig bleiben? Ich habe es immer für ein unveräußerliches Menschenrecht gehalten, seine Lebensgefährtin nach seinem Herzen zu wählen. Muß ich mir dieses Recht durch die Ungunst der Verhältnisse verkümmern lassen? – Muß ich wirklich auf den Nutzen als auf das einzige Ziel meines Strebens und auf das Geld als den Gott hinblicken, dem ich jedes Opfer bringen muß, selbst das meines Glückes? Der Kampf, den ich kämpfe, fordert den ganzen Menschen, aber ich zweifle, daß der Sieg, wenn ich ihn erringe, der Opfer werth ist, die er gekostet. Und doch treibt die Nothwendigkeit mich vorwärts, die Nothwendigkeit, meine Pflicht gegen den Mann zu erfüllen, der mir einen Theil seines Vermögens anvertraut hat – für einen wackeren jüngeren Bruder zu sorgen und die Zukunft einer geliebten Schwester sicher zu stellen. Aber trotz dieses guten Zweckes sträubt sich ein Etwas in mir gegen diesen Schritt. Es ist nicht allein der Gedanke, eine Geldheirath schließen, mich des Vermögens eines Mädchens bemächtigen und sie selbst nothgedrungen mit in den Kauf nehmen zu müssen. Der Grund, der mich zurückschreckt, liegt tiefer. Es ist die Erkenntniß, daß für mich in dieser Ehe kein Glück zu erhoffen ist. Mein Herz lehnt sich auf gegen die reiche glänzende Erbin, die mich heute mit ihrer Gunst so auffällig beglückt hat. Ich fühle es, daß kein Zug der Sympathie mich zu ihr hinzieht. Welch eine herrische, anspruchsvolle Frau wird sie werden, herrisch und anspruchsvoll selbst in ihrer Liebe! Und wenn ich die Consequenzen ziehe – auf der einen Seite diese glühende, leidenschaftliche, an keine Selbstbeschränkung gewöhnte Natur mit dem heißen, französischen Blute in den Adern und dem ungezähmten heißen Lebensdrange in der Brust – und auf der anderen Seite kühle Abwehr – eisige Reflexion! – Gieb Acht, Max, was Du thust! Das kann eine Ehe werden, in der Mannesstolz und Manneswürde, Muth und Selbstachtung in die Brüche gehen.“ –

Er hatte während dieses Selbstgespräches eine kleine Pforte in der Gartenmauer erreicht, die er mit einem Schlüssel rasch öffnete. Tief aufathmend trat er von der dürren, staubigen Fahrstraße in den schattigen, kühlen Garten. Hier umgaben ihn wohlthuende Stille und Frische. Unter einer Gruppe breitästiger Linden luden zierliche Gartenmöbel zur Ruhe ein, und einige auf einem Tische umherliegende Gegenstände bekundeten, daß man diesen Platz kürzlich benutzt hatte – ein leichter Strohhut mit blauen Bändern, ein Arbeitskästchen mit kleinen, zierlichen Geräthschaften, daneben eine jener hübschen Frauenarbeiten, bei deren Anblick man unwillkürlich an die geduldigen, kleinen Finger denken muß, die daran genäht haben. Aus dem Arbeitskästchen strömte ihm, als er sich zu diesem kleinen Kunstwerke von Perlmutter, Stahl und Seide niederbeugte, ein feiner Veilchenduft entgegen. Plötzlich richtete er sich in die Höhe und zuckte zusammen. Leise Tonwellen waren, vom Abendwinde getragen, zu ihm gedrungen. Eine schöne Stimme sang ein Lied, dessen ernste, weiche Melodie sich schmeichelnd an sein Ohr legte. Noch war er zu weit vom Hause entfernt, um die Worte verstehen oder die Sängerin erkennen zu können. Aber je näher er kam, desto reicher und herrlicher quollen ihm die Töne entgegen; in der Stille des Abends wirkten sie mit einer Gewalt auf ihn, die ihn im Innersten erbeben machte. Jetzt erkannte er das Schubert'sche „Ave Maria“, und als er lauschend unter den Fenstern des Saales stehen blieb, vernahm er auch deutlich die Worte:

Wir schlafen ruhig bis zum Morgen,
Ob Menschen noch so grausam sind;
O Jungfrau, hör' der Jungfrau Sorgen,
O Mutter, hör' dein betend Kind!

Es war eine wunderbar süße Stimme, welche die Strophe sang; sie führte ihm das Bild des schönen Mädchens vor Augen, das er heute wiedergesehen, und an das er seit dem ersten Begegnen öfter gedacht, als er es sich selbst gestehen mochte. Die Sängerin drinnen konnte ebenso gut die glänzende junge Erbin sein, die er heute kennen gelernt, aber beim Ton dieser Stimme schweifte keiner seiner Gedanken zu ihr ab. Die Ueberzeugung stand fest in ihm, daß nicht sie, sondern Hanna die Sängerin sei, daß er Hanna drinnen bei seiner Schwester treffen würde. Die unaussprechliche Lieblichkeit des Tones entsprach so vollständig der Harmonie ihrer ganzen Erscheinung, daß er hierüber keinen Zweifel hegte.

Er verweilte draußen, bis das Lied beendet war. Dann hörte er, wie die Sängerin sich vom Flügel erhob und Marie ihren Dank aussprach. Und als er schnell die Treppe emporstieg, traten beide Mädchen, Arm in Arm, ihm oben auf dem Balcon entgegen. Herr Kayser folgte ihnen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Die Elektricität als Heilmittel. Mehrfachen Anfragen gegenüber sei zu dem in Nr. 34 der „Gartenlaube“ erschienenen Artikel über diesen Gegenstand noch Folgendes bemerkt. Man hat ebenso wie zur Anwendung des faradischen auch zu der des galvanischen Stromes handliche Apparate construirt, welcher sich unter Umständen auch Laien bedienen können. Jedoch darf die Behandlung immer nur nach Anleitung und unter Aufsicht eines Arztes stattfinden, weil sonst leicht großer Schaden angerichtet werden kann. Die ersten leicht transportablen Apparate wurden hier in Dresden von Dr. Emil Stöhrer verfertigt; es waren das die bekannten, zur Anwendung des faradischen Stromes dienenden sogenannten Inductionsapparate. Später wurden von demselben Fabrikanten auch galvanische Handbatterien erfunden, die in verschiedenen Größen von zwanzig bis vierzig Elementen geliefert werden. Vorzügliche Apparate für beide Formen der Elektricität werden jetzt von verschiedenen Mechanikern hergestellt; so von Hirschmann und Krüger in Berlin, Baur und Fein in Stuttgart. Die Preise für Inductionsapparate schwanken zwischen vierzig und fünfundsiebenzig Mark, je nach Güte und Dauerhaftigkeit der Fabrikate; die galvanischen Handbatterien kosten in der einfachsten Ausstattung etwa siebenzig bis hundert Mark.

Ueber die anzuwendende Stromstärke läßt sich etwas Allgemeines nicht sagen: in dieser Hinsicht kann nur das Urtheil eines erfahrenen Arztes über jeden einzelnen Fall bestimmen.

Dresden

Dr. med. Pierson.

Wir fügen den obigen Worten des Herrn Verfassers als Berichtigung des erwähnten Artikels in Nr. 34 hinzu, daß daselbst auf Seite 570, Zeile 16 von unten nach den Worten: „der elektrischen Heilmethode abgeben“ hinzuzufügen ist: „und zwar sind hier in erster Linie die Lähmungen zu nennen.“

D. Red.



Kleiner Briefkasten.

Fr. in N. Sie haben verehrter Freund, die Verpflichtung im Interesse der guten Sache sich zu schonen und dürfen am wenigsten jetzt – nach kaum überstandener Krankheit – in Ihre Kräfte hineinwüsten. Ich rufe auch Ihnen die wohlbekannten Worte zu:

Aber Eins bedenke Jeder:
Was er immer thut und treibt,
Ob mit Hammer oder Feder
Brod er schmiedet oder schreibt,
Daß die Mühsal des Erwerbens
Ihm sein Bestes untergräbt.

G. L. in Breslau. Das Gedicht. „Wenn Du noch eine Mutter hast,“ rührt nicht von Alb. Traeger her, wohl aber hat dieser Poet schon vor langen Jahren das schöne und vielbekannte Lied: „Wenn Du noch eine Heimath hast,“ gedichtet.

G. P. in Rostock. Sie fragen an, ob es Bürgerlichen gestattet sei auf dem Helm ihres Wappenschildes eine Krone zu führen und welche Form dieselbe haben darf. Warum soll Bürgerlichen das Führen einer Krone nicht erlaubt sein? Als Form würden wir eine – Narrenkappe vorschlagen.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_748.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)