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Seite:Die Gartenlaube (1877) 723.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Die „discreten Privatleute“.
Ein Krebsschaden des Officier- und Beamtenstandes.


Wer den Inseratentheilen des „Kladderadatsch“, der „Vossischen Zeitung“ und einiger anderer bedeutenderer Blätter einiges Interesse zuwendet, der wird neben anderen zahlreichen zwei oder vielmehr eindeutigen Annoncen die bekannten stehenden Anzeigen „reeller Geschäftsleute“ finden, welche Beamten, insbesondere aber Officieren jeder Charge „Geld!! bis zu beliebiger Höhe“ offeriren.

Wie oft nun auch diese heikle Frage berührt, wie viel darüber in jeder Form geschrieben worden ist, zu Nutz und Frommen aller Leichtgläubigen und Leichtsinnigen, so ist dieses Thema doch noch nicht so erschöpft und klargelegt worden, daß man sich ein orientirendes Bild über das Unwesen dieser „discreten Privatleute“ zu entwerfen im Stande ist. Gestützt auf ausgedehnte Recherchen und mannigfache Bekenntnisse von Geschädigten, auf polizeiliche Quellen und kriegsgerichtliche Untersuchungen, haben wir versucht, das Treiben dieser Herren „Cravattenfabrikanten“, ihre Beziehungen zu einander und ihren schädlichen Einfluß auf das Wohl und Wehe eines ganzen Standes in etwas anschaulicherer Weise zu schildern, als dies bisher geschehen. Wir wollen dabei die Versicherung nicht unterlassen, daß alle angeführten Thatsachen auf strengster Wahrheit beruhen und daß wir in der Redaction dieses Blattes das Verzeichniß der vollen Namen der „Geschäftsleute“ niedergelegt haben, die wir aus naheliegenden Gründen hier nur mit Anfangsbuchstaben anführen.

In Berlin hat sich in jüngster Zeit eine Sorte von Gesindel, die man im Allgemeinen unter dem Gesammtnamen „Bauernfänger“ zusammenfaßt, auf eine erschreckende Weise vermehrt. Den ersten Rang unter ihnen nimmt unstreitig die zahlreich verbreitete Clique der Wucherer und ihrer Geschöpfe ein. Wie der Geier seine Kreise um das erkorene Opfer zieht, langsam, aber enger und immer enger, wie die Schlange ihren Fraß mit tückischem Raffinement ködert und lockt, so legen die Wucherer dem Officiercorps und der kleinen Beamtenwelt des deutschen Reiches ihre Schlingen und ziehen Tausende in den Abgrund hinab. Es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, daß diesem eiternden, das Wohl und Wehe eines ganzen Standes gefährdenden socialen Krebsschaden bisher keine Schranken gesetzt werden konnten, daß er immer weiter um sich frißt und die deutsche Armee, auf die das Land so stolz sein kann, in ihren Grundprincipien wankend macht. Wir sprechen die Officiere, die dem Wucher zum Opfer gefallen, durchaus nicht frei von Schuld, aber wir behaupten, daß die große Zahl der jährlich wegen Schulden den Dienst des Kaisers verlassenden Officiere wohl gemindert werden könnte, wenn energische Mittel zur Bekämpfung des Wuchers von Seiten der Regierung ergriffen würden.

Der Grund des Schuldenmachens liegt übrigens oft tiefer, als in bloßem Leichtsinn und in dem Hang zum Wohlleben. Das Cadettencorps liefert nach genauen statistischen Nachforschungen den größten Procentsatz der alljährlich den Dienst quittirenden Officiere. Der Grund liegt auf der Hand. Das Cadettencorps enthält meistens Söhne alter Militärs, die zum größten Theil auf Kosten des Staates zu Soldaten herangebildet werden. Im Cadettencorps erhält der junge Officiersaspirant also Alles, ohne daß er sich darum zu kümmern braucht, ohne daß er eine Ahnung von Einnahme und Ausgabe hat. Das traurige Ergebnis, wenn er das Corps verläßt und in die Armee tritt, ist, daß er sich blindlings in das Leben hineinstürzt und, wenn sein Geld nicht mehr ausreicht – borgt. Einmal erst in den Händen der Wucherer, die Hunderten das Pistol vor die Stirn gedrückt, Hunderte über das Meer gejagt, unzählige Familien ruinirt und Glieder des alten Adels unseres Landes in den Staub gezogen haben, ist er unrettbar verloren. Man beschuldige uns nicht der Uebertreibung! Was wir sagen und noch sagen werden, ist das Resultat monatelanger Untersuchungen, monatelangen eigenen Verkehrs mit dem Schwindel in seiner raffinirtesten Gestalt. Wir ergreifen hier das Wort, weil es eine Pflicht der Journalistik ist, der Gemeinheit, dem Schwindel die Larve vom Gesicht zu reißen.

Berlin ist gewissermaßen der Central- und Sammelpunkt der Halsabschneider, obwohl die Wucherblume weit über die Grenzen der Hauptstadt hinausreicht und die meisten größeren Städte unsicher macht. Viele der Herren „Geschäftsleute“ haben sich bereits ein hübsches Vermögen erworben, leben in den vornehmsten Stadttheilen in höchst eleganten Wohnungen und halten sich Equipagen und prachtvolle Reitpferde, mit denen sie den Tattersall unsicher machen. Diese Herren – „Geldmänner“ ist der technische Ausdruck – befassen sich nicht mehr mit kleineren Geschäften; solche überlassen sie ihren Agenten, den sogenannten „Schleppern“, die für sie „anständige Opfer“ ködern müssen. Jene spielen die großen Herren, schwärmen für Sport und kleine, verschwiegene Soupers mit vollblütigen Ballerinen, besuchen den Rennplatz und Circus, sind stets in den Foyers der Theater zu sehen – Alles auf Kosten der Armen, die sie mit Wechseln und Ehrenscheinen ausgeplündert haben. Die Herren Agenten aber treiben sich an allen anderen Orten der Hauptstadt, welche von der jungen Herrenwelt frequentirt werden, herum und suchen sich als Männer der guten Gesellschaft zu geriren. Wer Gelegenheit gehabt hat, längere Zeit in Berlin zu leben und öfters die Passage, die Wiener Cafés, den Scating-Rink und die Nachtlocale besseren Genres zu besuchen, dem werden dort stets Gestalten begegnet sein, welche durch ihr eigenthümliches Aeußere Jedem auffallen müssen. Es ist dies eine Classe von Menschen, die sich durch ihren gewählten Anzug und eine geschmackvolle Nonchalance im Auftreten ein gewisses vornehmes Ansehen zu geben wissen, denen indeß für ein geübtes Auge der Stempel der Raffinirtheit und Gemeinheit auf’s Gesicht gedrückt ist. Diese „Schlepper“, diese Strichvögel der Gesellschaft, findet man überall. Sie sind mit Argusaugen bewaffnet, wenn es gilt ein Wild zu belauern, und feig wie ein Hase, wenn das Auge des Gesetzes ihnen auf den Fersen ist.

Wenn auch Alle mit zwei oder drei falschen Namen ausgestattet, sind sie doch unter ihrem richtigen Namen der Criminalpolizei genau bekannt und durch diese den oberen Militärbehörden zur weiteren Mittheilung an die Officiercorps theils durch Photographien, theils durch genaue Charakteristik und Wohnungsangabe überliefert worden. Trotzdem gelingt es ihnen immer noch, fast täglich einen oder den anderen Unerfahrenen, leider ungestraft, einzufangen.

Sie manipuliren etwa folgendermaßen: Sobald das Militär-Wochenblatt die Neuernennungen von Officieren veröffentlicht hat, gelangen an fast alle Neubeförderten der deutschen Armee Anzeigen ungefähr des Inhalts:

„Euer Hochwohlgeboren zeige ergebenst an, daß zur Zeit einige tausend Mark an Officiere zu vergeben habe. Falls reflectirend, bitte ergebenst, mich alsbald wissen zu lassen.

Hochachtungsvoll
gez. C . . . . . i
N. K – gasse Nr. l.
1 bis 3. 5 bis 6 Uhr.“

Dies ist die wörtliche Wiedergabe einer Zuschrift, welche wir der Redaction dieses Blattes zur Ansicht übersandt haben.

Aber nicht nur die jungen Officiere, sondern auch ältere, deren augenblickliche Geldverlegenheit den sauberen Geschäftsleuten durch Helfershelfer bekannt geworden ist, werden von Zeit zu Zeit mit solchen Einladungen bedacht. Denn diese Herren, welche wie die Spinnen ihr Opfer umklammern, um ihm das Blut auszusaugen, sind über die finanziellen Verhältnisse der Officiere viel besser orientirt, als die eigenen Angehörigen oder die Commandeure der Betreffenden.

Gedrängt durch die Verhältnisse, angelockt durch falsche Versprechungen und günstig erscheinende Conjuncturen, setzt sich das Opfer mit dem betreffenden Gauner in Verbindung und – unterschreibt schon mit dem ersten Worte sein Todesurtheil.

Mit umgehender Post erhält der betreffende Officier ein Schreiben, daß Absender leider augenblicklich nicht in der Lage, das Geld zu zahlen, indeß gern bereit sei, dasselbe von einem Bekannten gegen mäßige Provision zu beschaffen. Im Bejahungsfalle möge der Herr Lieutenant gütigst die beiliegenden bereits ausgefüllten Scheine durch Namensunterschrift vollziehen und umgehend „eingeschrieben“ zurücksenden. Was diese Scheine bedeuten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_723.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)