Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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in Rom, in welchem der Unterzeichnete als Anwalt des Allgemeinen deutschen Genossenschafts-Verbandes das italienische Telegramm vom April beantwortet hat, sprach er seine Freude über das Stattfinden „des ersten Congresses italienischer Volksbanken in Mailand“ aus, den er als den Schlußstein des Baues bezeichnete, welcher bestimmt sei, den jungen Schöpfungen seinen Schirm gegen Angriffe und Gefahren mancher Art zu bieten, die ihnen nicht erspart bleiben würden. Er nennt denselben „eine Cooperation in der höheren Potenz“, welche die Wirkung habe, die bisher nur localen Anstalten zu einer nationalen Institution zu erheben, und legt zur Mittheilung an den Congreß einige Schriften bei, welche sich auf die Cooperativbewegung bei uns, deren Organisation und die damit zusammenhängende sociale Frage beziehen. Schließlich ruft er, da Italien und Deutschland große, mehrfach verwandte Aufgaben haben, den Friedensgruß an die Genossenschaften Aller Culturländer, der 1875 vom Allgemeinen Vereinstage in München ausging, den italienischen Strebegenossen insbesondere zu.
Darauf lief folgende Zuschrift ein und dieses Mal in deutscher Sprache:
Ihr Brief hat eine große Freude bei den italienischen Mitarbeitern angerichtet.
Die italienische Cooperation folgt dem Beispiele der deutschen; Ihr glorreicher Name, von mir in vielen öffentlichen Versammlungen gepriesen, erhielt Anerkennung bei den italienischen Handwerkern gleich wie bei den deutschen. Sie haben gut gedacht, daß unser allgemeiner Vereinstag auf einer beständigen Commission beruht, und ich habe in Italien dieselbe Institution eingeführt, welcher Sie in Deutschland vorsitzen.
Deutschland und Italien in dem Felde der Wissenschaft, sowie in dem sozialen Fortschritt, werden der Welt zeigen, daß die Freiheit und die freie Forschung die soziale Frage erschöpfen und lösen.
Die Mitglieder der Commission wünschen, mit ihrer Unterschrift ihre Huldigung kund zu machen.
Der Vorsitzer der auf Selbsthülfe beruhendenn italienischen Genossenschaftern.
NB. Ich werde Ihnen die Acten unseres Congresses schicken.“
So kann sich denn der Schreiber jenes Artikels über den Stand der Genossenschaften in Deutschland beruhigen; ein tüchtiger Stamm gesunder Kräfte aus unserem Volke ist an der Arbeit. Und wie ersprießlich, ja unentbehrlich die Thätigkeit der Genossenschaften ist, besonders in der schweren wirthschaftlichen Lage, welche seit Jahren auf uns lastet, davon weiß man nicht blos in den Kreisen der Arbeiter und Handwerker, sondern auch in denen des mittleren Gewerbstandes zu reden, welche sich den Genossenschaften mehr und mehr zuwenden. So sieht man Elemente aus den verschiedensten Lebenskreisen sich zusammenschließen, der socialdemokratischen Agitation Stand halten und in der Schule der wirthschaftlichen Selbsthülfe der Reise des Volks für weitere Lebensgebiete vorarbeiten.
Potsdam, 31. August 1877.
Der Anwalt des Deutschen Genossenschaftsverbandes.
Ein Findelkind. (Mit Abbildung Seite 705). Ein vornehmes Kind, in kostbares Spitzengewand gehüllt, an der Pforte des Klosters ausgesetzt und von den frommen Schwestern in zärtliche Hut genommen – wer fühlte nicht durch dieses von unserm Künstler so eindrucksvoll dargestellte Motiv sein Interesse in Anspruch genommen? Wer sind die Eltern, und was ist der Grund der Aussetzung? Ob der Brief in der Hand der Nonne, der dem Kinde beilag, das Rätsel löst oder ob er den Gram und den Kampf, den das Mutterherz durchgelitten, ehe es das Liebste dahingegeben, verhüllt und nur für das Kind bittet: „O, habt Erbarmen!“ – niemand sagt es, niemand ergründet es. Und warum ist es gerade das Kloster, an dessen Pforte die Mutterliebe anklopft? Giebt es im Umkreise keine andere Stätte der Barmherzigkeit und Liebe, giebt es kein – Findelhaus?
Wir berühren mit dieser Frage ein Thema, dessen Für und Wider in Wort und Schrift schon seit Jahrhunderten mannigfach beleuchtet worden. Die Nächstenliebe vertheidigt ein Institut, welches so manche unaufgeblühete Menschenknospe vor dem sicheren Tode rettet, aber die Sittencensur verurtheilt in ihm eine Einrichtung, die angeblich der Unsittlichkeit Thür und Thor öffnet – und beide Anschauungen dürften, jede von ihrem Standpunkte aus, im Rechte sein. Es fragt sich nur: was hat den Ausschlag zu geben – die schützende Rücksicht auf die Tausende von sonst verlorenen jungen Menschenleben oder eine vielleicht übertriebene Aengstlichkeit vor drohenden Gefahren für die Volkssittlichkeit?
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, auf diese Streitfrage hier einzugehen. Praktisch ist sie jedenfalls längst zu Gunsten der Findelhäuser entschieden. Sie haben bei allen europäischen Völkern eine Geschichte aufzuweisen, welche wenigstens darthut, daß sie, wenn nicht ein segensreiches Institut, so doch sicher ein unentbehrliches Correctiv in der menschlichen Gesellschaft sind. Die christliche Kirche nahm sich schon im frühen Mittelalter der Findelkinder an; denn bereits im sechsten Jahrhundert soll zu Trier an der Kathedralkirche sich eine Marmorschale zur Aufnahme ausgesetzter Kinder befunden haben. Das erste Findelhaus im heutigen Sinne wurde 787 in Mailand gegründet. Seitdem haben sich ähnliche Institute in allen civilisirten Ländern Europas mehr und mehr verbreitet und in ihrer inneren Organisation befestigt und vervollkommnet. Namentlich in den romanischen Ländern sind sie heute sehr zahlreich. Es wurden z. B. 1810 in Frankreich 55,700 Kinder, 1833 aber deren 133,000 ausgesetzt. In Spanien – um dies noch zu erwähnen – weisen die Findelhäuser sehr originelle, ja humoristische Eigenthümlichkeiten auf; alle Findlinge werden dort gesetzlich als adelig betrachtet, damit nicht etwa einer unter ihnen, der wirklich vom Adel ist, dieses kostbaren gesellschaftlichen Vorrechts verlustig gehe. In Rußland gibt es ganze Findlingscolonien.
Aber wir wollten unser Bild interpretiren und verlieren uns in Daten zur Entwicklungsgeschichte der Findelhäuser. Sei es drum! Vielleicht geben diese Notizen, zusammen mit dem Bilde, das sich, im Grunde betrachtet, selbst erklärt, an geeigneter Stelle einige Anregung zur intimeren Beschäftigung mit dem jedenfalls interessanten Gegenstande des Findelhauswesens und seiner Entwickelung und Bedeutung für unsere Tage.
Das Freiburger Sieges-Denkmal. (Mit Abbildung. S. 713.) Der Breisgau, der zwei Jahrhunderte lang die äußerste Südwest-Grenzmark Deutschlands gegen das französisch gewordene Elsaß bildete, stand im Januar 1871 in der Gefahr, von Bourbaki’s Armee überschwemmt zu werden. Es war ein Thermopylenkampf, welcher dort von einer deutschen Heldenschaar gegen eine mehr als dreifache Uebermacht ausgekämpft werden mußte, um das Grenzland vor dem Einbruch rachedrohender Horden zu schützen. Diesen Kampf bestand bekanntlich der General von Werder mit seinem vierzehnten Armeecorps. Die dreitägige Schlacht an der Lisaine am 15., 16. und 17. Januar rettete durch den Sieg über Bourbaki das badische Land vor der drohenden Verwüstung. Zum Dank dafür hat die Hauptstadt des Breisgau den heldenmüthigen Rettern ein Denkmal errichtet, dessen Enthüllung und Weihe am 3. October im Beisein des deutschen Kaisers und des Kronprinzen, der badischen Fürstenfamilie, des Generals von Werder und vieler Deputationen des vierzehnten Armeecorps in der geschmückten und volkdurchwogten Stadt bei echtem Kaiserwetter gefeiert worden ist. Das Denkmal – jedenfalls eines der imposantesten Siegesmonumente in Deutschland – ist vom Professor Moest in Karlsruhe nach seinem Preismodell ausgeführt worden, steht auf dem ehemaligen Casernen-, jetzt Kaiser-Wilhelms-Platz und trägt vier Inschriften, von denen die wesentlichste an der Südseite lautet:
Höchst sinnig ist vom Künstler durch die Vertheidigungsstellung der vier Kriegergestalten auf den Ausladungen an den vier Ecken des Unterbaues der Hauptcharakter jenes großartigen Kampfes bezeichnet, dessen Aufgabe war, nicht, wie der Gegner, angriffsweise zu verfahren, sondern das offene Thor zum unbeschützten Vaterland bis zum letzte Mann zu vertheidigen.
So sind nun drei deutsche Männer in Freiburg durch Denkmale geehrt worden: Rotteck, Berthold Schwarz und Werder.
Eine dringende Bitte. Das Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte enthält das nachstehende Gesuch der ärztlichen Gesellschaft von Winterthur an die Eisenbahndirection der dort einmündenden acht Bahnen.
- Die Dampfpfeife möge auf einen lieferen Ton gestimmt werden, wodurch sich der schädliche Einfluß auf das Ohr vermindert, ohne daß das Signal an Deutlichkeit einbüßt.
- Die Signale sind vor allem im ganzen Bereich des Bahnhofes und seiner Zufahrtslinien nicht so übermäßig laut und lange zu geben, und jedes unnöthige Signalgeben ist überhaupt zu vermeiden.
Diese gerechtfertigte Petition müssen auch wir auf das Wärmste befürworten. Schon der gesunde Mensch springt erschreckt drei Schritte zurück wenn der schrille Pfiff der Dampfpfeife ihm Mark und Bein durchschneidet; um wie viel mehr erregt der scharfe Ton den armen Kranken, welcher der Badereise wegen nothgedrungen die Eisenbahn benutzen muß! Möchten daher auch die deutschen Eisenbahndirectionen die nöthige Rücksicht auf die Nerven ihrer Passagiere nehmen! Ein solches Herabstimmen der Dampfpfeife würde für viele Reisende ein willkommenes Weihnachtsgeschenk sein.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_716.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)