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Seite:Die Gartenlaube (1877) 715.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


entmenschte Nichte bin ich nicht. Dein Jammer geht mir zu Herzen – komm, laß’ Deine Thränen trocknen! Ich kann Dir nicht das Herz brechen. Siehst Du, ich will Dir ein Opfer bringen: ich entsage ihm. Sei ruhig, ich nehme ihn nicht. – Aber ich fürchte, wir haben dabei doch nicht viel gewonnen; denn wenn meine Kräfte auch einem Einzelnen gegenüber ausreichen, der Nation gegenüber – das fühle ich – bin ich widerstandslos. Die Nation hat es mir angethan; sie ist mein Verhängnis.“

„Gegen dieses Verhängniß wird es wohl noch wirksame Mittel geben.“

„Das glaube ich nicht. Ich fühle, daß dieser Zug meines Herzens die Stimme meines Schicksals ist. ‚Ein Preuße‘ – so lautet die Lösung meines Lebensräthsels.“

Sie hatte sich, während sie sprach, der Thür genähert, von wo sie jetzt lachend zu ihrer Tante zurückblickte.

„So, Tantchen, nun gehe ich und überlasse Dich Deinem Nachdenken; ich bin versichert, daß die Einsamkeit Dich auf bessere Gedanken bringen wird. Komm, Tristan, mein deutscher Held! Wir wollen einen Gang durch den Garten machen.“

Mit einem Pfiff rief sie ihren Hund zu sich heran und hatte mit ihm bereits die erste Stufe der Treppe erreicht, als sie sich noch einmal auf dem Absätze umdrehte.

„Laß Dir rathen, Tantchen, thue Deine Morgenhaube ab und hole die neue, die mit den blauen Schleifen hervor, die ich Dir aus Straßburg mitbrachte! Wirf auch einen Blick auf den Frühstückstisch und lasse Portwein – vom gelbgesiegelten – aufstellen! Ich wünsche, daß es an nichts fehle, denn ich erwarte Besuch.“

„Das fehlte nun noch – heute schon! Ich komme nicht zum Vorschein, wenn er uns besucht. Dann magst Du zusehen, wie Du ihn schicklich empfängst.“

Die Nichte lachte und sprang leichtfüßig die Stufen hinab.

(Fortsetzung folgt.)




Das Genossenschaftswesen in Deutschland.


Was in unseren Tagen in die Welt hineingeschrieben wird, uns in wichtigen, die Zeit bewegenden Fragen zu praktischem Angriff zu mahnen, während die Schreiber über das Nächste, was darin vor Aller Augen vorgeht, sich in vollständiger Unkenntniß befinden, davon liegt ein Beispiel in einer geachteten Zeitschrift vor, welches man kaum für möglich halten sollte.

In Nr. 1, Band II, einer in Leipzig erscheinenden Wochenschrift ist nämlich in einem Dr. M. gezeichneten Artikel „Die Arbeiterfrage“ in Bezug auf die aus der Unselbstständigkeit der Arbeiter herrührenden Mißstände wörtlich zu lesen: „In England ist man bemüht, diesem Uebel durch die Genossenschaft abzuhelfen. In Deutschland ist Huber’s Bemühen bis jetzt vergeblich gewesen, diese sittlich naturgemäße Einrichtung bei uns heimisch zu machen.“

Wo, in welcher von der Welt abgeschlossenen Klause lebt der Schreiber, um diesen unglaublichen Ausspruch zu thun, während sich die Genossenschaften zu Tausenden seit fast einem Menschenalter – 1875 wurde in München das fünfundzwanzigjährige Jubiläum gefeiert – bei uns verbreitet haben! So sind für dieses Jahr in Deutschland – Deutsch-Oesterreich eingeschlossen – 2830 Creditgenossenschaften, als Volks- und Gewerbebanken, Vorschuß- und Creditvereine, 743 Genossenschaften in einzelnen Gewerbszweigen, Productiv-, Rohstoff-, Magazin- und Werkgenossenschaften, 1049 Consumvereine, 64 Baugenossenschaften: 4686 in Summa, in dem eben zur Veröffentlichung gelangenden Jahresbericht pro 1876 nachgewiesen, sodaß man den Gesammtbestand wohl auf 4800 anschlagen muß, da die Entstehung neuer Vereine nicht gleich bekannt wird.

Nach den mäßigsten Schätzungen muß der Mitgliederbestand dieser Genossenschaften auf mindestens 1,380,000, die von ihnen gemachten Geschäfte im verflossenen Jahre auf 2650 Millionen Reichsmark, ihre angesammelten Capitalien in Geschäftsantheilen der Mitglieder und Reserven auf 170 bis 180 Millionen, die zum Betriebe ihnen anvertrauten fremden Gelder auf 360 bis 370 Millionen Reichsmark angeschlagen werden, worüber man die speciellen Nachweisungen aus dem erwähnten statistischen Jahresberichte des unterzeichneten Anwaltes pro 1876 entnehmen mag.

Hieraus wird man ersehen, daß sich das deutsche Genossenschaftswesen mit dem englischen wohl messen kann. Mögen die Engländer im Bereiche der Consumvereine (Stores) uns voranstehen, so gleicht sich dies reichlich durch den Stand der Creditgenossenschaften bei uns aus, wo jene kaum in die ersten Anfänge einzulenken beginnen. Und nicht nur, daß wir in der Ausbreitung und Bedeutung der Bewegung wohl neben ihnen bestehen, sind wir ihnen in der Organisation derselben voraus, welche überall im Auslande als mustergültig anerkannt und mehr oder weniger nachgebildet wird. Vermöge dieser Organisation bilden die deutschen Genossenschaften einen allgemeinen Verband, der sich in einer Anzahl von Unterverbänden (gegenwärtig 34) je nach den deutschen Ländern und Provinzen gliedert und einen besoldeten Anwalt mit förmlich eingerichtetem Bureau – gegenwärtig den Unterzeichneten – zur Führung der Geschäfte an seine Spitze stellt. Alljährlich treten die Deputirten der zugehörigen Vereine zum sogenannten „Allgemeinen Vereinstag“, dem eigentlichen „Deutschen Genossenschafts-Congreß“ zusammen, welchem die Entscheidung in den gemeinsamen Angelegenheiten zusteht, wobei die Unterverbände ihm vorarbeiten und seine Beschlüsse zur Geltung bringen, während ihre Directoren dem Anwalte als engerer Ausschuß in Leitung der Geschäfte, besonders in der Finanzverwaltung, zur Seite stehen. So ist, ohne in die Selbstständigkeit der einzelnen Vereine einzugreifen, eine Centralisation geschaffen zu Austausch und Kritik der gemachten Erfahrungen, Verfolgung gemeinsamer Interessen mit vereinten Mitteln und Kräften und werthvollen Geschäftsverbindungen.

So wurde

a) die Gründung eines Organs in der Tagespresse, der Wochenschrift: „Blätter für Genossenschaftswesen“ (Verlag von E. Keil in Leipzig);
b) die Errichtung eines Centralgeld-Instituts, der mit drei Millionen Thaler dotirten „Deutschen Genossenschaftsbank“ in Berlin, zum Behufe der Vermittelung von Großbankverbindungen für die Vereine, endlich
c) die regelmäßige Herausgabe umfassender statistischer Jahresberichte (Verlag von Klinkhardt in Leipzig)

möglich – Einrichtungen, welche die Bewegung in hohem Grade förderten und weithin, wie wir bemerkten, die größte Anerkennung fanden. Auf Grund der bezüglichen statistischen Nachweise über die Resultate der deutschen Genossenschaften wurden bei den internationalen Congressen resp. Ausstellungen zu Amsterdam 1869 und zu Brüssel im verflossenen Jahre dem unterzeichneten Anwalt als dem Vertreter des Verbandes die ersten Preise durch die Jury zuerkannt. Und wie sich die italienischen Volksbanken zu der von uns empfangenen Anregung stellen, davon legen die in diesem Jahre von ihnen hierher gelangten Kundgebungen, welche nebst unserer Erwiderung in den „Blättern für Genossenschaftswesen“ (Seite 90, 98, 139) abgedruckt sind, ein erfreuliches Zeugniß ab. Danach hat der erste Congreß derselben Ende April zu Mailand, unter dem Vorsitz des Unterstaatssecretärs im Ministerium für Handel und Gewerbe, Luigi Luzzatti, stattgefunden, auf welchem ein Verband derselben nach dem Muster des unserigen zu Stande gekommen ist. Bei der Bedeutung, welche diese Cooperation auch für die Anknüpfung weiterer Beziehungen zwischen beiden Völkern in Aussicht stellt, lassen wir die kurzen Schriftstücke hier im Wortlaute folgen.

Das erste Telegramm, welches der internationale Congreß an den Unterzeichneten richtete, lautete:

„Der erste zu Mailand versammelte Congreß Italienischer Volksbanken schließt in dankbarem Angedenken an Ihren Namen, indem er Sie zum Führer und Begründer des volksthümlichen Genossenschaftswesens proclamirt.

Der Präsident des Congresscs: Luzzatti.“     

In dem Briefe an den Herrn Unterstaatssecretär Luigi Luzzatti

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_715.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)