Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Heimath bei, die auch ihres Bundeskanzlers liebreich gedachte und ihn reichlich mit allerlei leckeren Gaben fester und flüssiger Natur, Spickgänsen, Wild, Fasanen, Baumkuchen, einer riesigen Forellenpastete, trefflichem Bier und edelstem Wein, sowie hundert anderen hochachtbaren Dingen versorgte.
Ich bemerke zum Schlusse noch, daß außer dem Kanzler zu Anfang nur von Keudell und Graf Bohlen Uniform trugen, während alle Räthe beritten waren und sich gelegentlich ihrer Pferde bedienten. Später – ich glaube, daß der Gedanke zuerst in Ferrières angeregt wurde – erhielt das gesammte mobile Auswärtige Amt mit Ausschluß des Ministers und der unmittelbar nach ihm Genannten, doch mit Einschluß der Kanzleidiener eine Art Phantasieuniform, die in einem dunkelblauen Rocke mit schwarzem Sammtaufschlag, einer Mütze mit den gleichen Farben und (bei den Räthen, Secretären und Chiffreuren) einem Degen mit goldenem Portépée bestand. Der alte Geheimrath Abeken, der auch sein Roß wacker tummelte, nahm sich in diesem Costüm ungemein kriegerisch aus.
„Urtheilen Sie nicht zu streng, Herr Kayser,“ sagte Marie, „wenn Sie meinen jüngern Bruder kennten, würden auch Sie ihn lieb haben. Jedermann hat ihn lieb, Cameraden wie Vorgesetzte. Nach dem Kriege wurde er in ein anderes Regiment versetzt, in welchem nur reiche junge Männer dienen. Max warnte, aber er war so froh und hoffnungsvoll und versprach nicht über seine Kräfte zu gehen. Nun ist er doch schwach gewesen, der arme Junge. Er streckt die Hand nach Hülfe aus, und ich kann den Einen nicht retten, ohne den Anderen zu ruiniren.“
„Trocknen Sie Ihre Thränen, Fräulein Marie! Wir wollen schon Mittel finden, Beiden zu helfen. Aber zur Sache! Kurz und rund: wieviel beträgt’s?“
„Es ist eine große Summe, Herr Kayser,“ entgegnete Marie, an ihren Schreibtisch tretend und unter ihren Papieren suchend, „ich habe alle meine Schmucksachen zusammengelegt – es sind einige werthvolle Sachen von meiner Mutter darunter – aber wenn ich auch Alles zu Gelde machte, es würde doch kaum den vierten Theil der Summe bringen, die ich brauche. Da ist der Brief. Wollen Sie ihn lesen, Herr Kayser?“
Kayser überflog nur flüchtig das Schreiben, während Marie mit angstvoll zusammengepreßten Händen vor ihm stand und ihm in’s Gesicht schaute. Bei der verhängnißvollen Stelle zogen sich zwar seine Augenbrauen etwas in die Höhe, aber sein Auge blickte dennoch unumwölkt, als er den Brief zusammenfaltete und zurückgab.
„Schauen Sie nicht so angstvoll drein!“ sagte er; „die Sache ist nicht ganz so schlimm, wie sie aussieht. Die Schulden übersteigen allerdings um ein gut Theil die Summe, die er noch im Geschäft des Bruders hat. Seine Angaben hierüber sind doch richtig – kann ich mich auf sein Wort verlassen?“
„Er hat nie gelogen – er ist ein ehrlicher, offenherziger Bursche. Aber sein Rettungsplan beruht auf ganz falschen Voraussetzungen. Selbst wenn er eine kleinere Summe brauchte, so würde Max ihm jetzt nicht helfen können, denn wer wird zu einer Zeit, wo Alles schwankt, diesem ein so großes Capital vorstrecken auf ein so unsicheres Object, wie heute die Fabrik ist? Und noch dazu, wenn ein Fremder – ein verhaßter Preuße der Besitzer ist?“
„Wer? fragen Sie? Nun, wir wollen den Mann schon finden. Kommen Sie, Fräulein Marie! Setzen Sie sich mir gegenüber und lassen Sie uns berathen, wie Ihrem Bruder zu helfen ist! Allerdings werden Sie mir Recht geben müssen, wenn ich Ihnen sage, daß dieser Bruder Leichtfuß nicht der Mann ist, der einem Geschäftsmanne Sicherheit zu gewähren im Stande ist. Aber neben ihm steht sein Bruder, und der ist ein Ehrenmann, dem ich ungezählt meine ganze Habe anvertrauen würde – und für ihn steht ferner seine Schwester ein, und die ist mir sicher für Tausende. Aber um des Himmels willen nur keine Thränen! Bei Geschäften muß man alle Sentimentalität zu Hause lassen. Ruhiges Blut und offene Augen – heißt es da. – So! so ist’s recht; jetzt bin ich mit Ihnen zufrieden. – Und nun will ich Ihnen sagen, welchen Ausweg ich Ihnen vorschlagen möchte. Sie werden dadurch allerdings meine Schuldnerin, aber ich hoffe, Sie haben genug Vertrauen zu mir, um davor nicht zurückzuschrecken.“ – –
Als Kayser nach Verlauf einer Stunde das Haus verließ, blieb Marie getröstet und beruhigt zurück. Sie hatte die Gewißheit erhalten, daß ihrem jüngeren Bruder geholfen werden würde ohne Schädigung des älteren. Ihre Dankbarkeit dafür mußte sie ihrem Gaste wohl sehr lebhaft ausgesprochen haben. Er zeigte wenigstens, als er die Straße entlang schritt, eine sehr zufriedene Miene, und in ihm lebte die Ueberzeugung, daß er ohne ein allzu großes Risico – denn er hielt sich überzeugt, daß Max, wenn er nur wollte, eine reiche Partie machen könne – ein Geschäft eingeleitet hatte, welches ihn der Ausführung seines Planes um ein gutes Theil näher zu bringen versprach.
Die Morgensonne eines der nächsten Tage schien hell und freundlich in ein Zimmer, dessen zwei Fensterthüren sich auf einen Garten öffneten, der in reichem, sommerlichem Blumenschmuck prangte. Helle Kieswege, glatt und fest wie Marmor, schlängelten sich durch wohlgepflegte Rasenplätze, von deren sammetnem Grün bunte Teppichbeete sich effectvoll abhoben. Schöne Laubgruppen erhoben sich dahinter und zogen sich anmuthig, ein schattiges Wäldchen bildend, einen Bergabhang hinan.
Das Zimmer, welches diesen Ausblick gewährte, war ein hohes, schönes Gemach, das letzte in einer Reihe anderer, von welchen jedes durch die Eleganz und den Geschmack seiner Einrichtung von dem Reichthume und dem Kunstsinne der Besitzerin zeugte. Nirgends indessen wurde das Auge durch eine geflissentliche Zurschaustellung des Reichthums beleidigt – Tapeten, Möbel und Teppiche, obgleich augenscheinlich ohne Rücksicht auf Kosten gewählt, waren in so matten, schlichten Farbentönen gehalten, daß sie sich dem Auge nicht störend aufdrängten. Sie gewährten dem Blicke des Beschauers Muße, auf den vielfachen Kunstgegenständen zu ruhen, welche, mit sichtlicher Vorliebe und feinem Verständniß geordnet, die Zimmer schmückten. Für die Gemälde, die zwar nicht in großer Menge vorhanden waren, aber einen hohen künstlerischen Werth besaßen, hatte man sorgfältig das richtige Licht gewählt; anmuthige Marmorgruppen schauten aus einem Dickicht dunkeler, ausländischer Blattpflanzen hervor, und Mappen und Albums mit werthvollen Radirungen und Photographien alter Meister lagen wohlgeordnet auf Tischen und Etagèren.
Ein harmonisches Ganzes mit diesen Gegenständen bildete der Anzug der jungen Dame, welche, aus dem Garten kommend, die Stufen der Treppe emporstieg. Freilich hätte eine strenge Toilettenkritikerin das schwere, dunkele Seidenkleid, das sich, der Mode des Tages gemäß, knapp dem Körper des Mädchens anschmiegte und in langer Schleppe hinter ihr herrauschte, für unpassend erklärt, sowohl für das jugendliche Alter der Trägerin, wie für den warmen, sommerlichen Tag. Aber sie hätte dennoch zugestehen müssen, daß, was Farbe und Schnitt anbelangte, Paula von Contagne kaum eine kleidsamere Tracht hätte wählen können. Das enganschließende Gewand offenbarte so schlanke, ebenmäßige Formen, und seine tiefe Purpurfarbe hob die klare, bräunliche Gesichtsfarbe der jungen Erbin und ihr kurzes, dunkeles Gelock so vortheilhaft hervor, daß selbst manche strenge Sittenrichterin, die in dieser Kleidung etwas Uebermodernes hätte wittern können, dadurch versöhnt worden wäre.
Das junge Mädchen hatte mit leichtem, festem Tritt, einen großen, schönen Leonberger Hund hinter sich, die Treppe erstiegen und blieb einige Augenblicke lauschend an der Thür stehen. Ein leichtes, ungeduldiges Lächeln spielte um ihre Lippen, und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_711.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)