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Seite:Die Gartenlaube (1877) 706.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Ein Hühnerbrutofen in Gizeh bei Kairo.
Von Adolf Ebeling.


Für denjenigen, der sich längere Zeit in Aegypten aufhält, fleißig und aufmerksam beobachtet und sich auch mit den früheren Schriften über das merkwürdige Land bekannt gemacht hat, ist es sehr interessant, einen Vergleich zwischen Jetzt und Einst anzustellen, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil in so vieler Hinsicht die heutige Gegenwart noch völlig und ganz der fernen Vergangenheit gleicht, und doch liegen zwischen den Sitten und Gebräuchen, Einrichtungen und Moden der Aegypter von Sonst und Heute oft mehrere Jahrtausende.

Man braucht nur im Herodot, dem „Vater der Geschichtsschreiber“, der sich bekanntlich in Aegypten einige Jahre (um 462 bis 460 vor Christi Geburt) aufhielt, nachzulesen, um dies fast auf jeder Seite und manchmal in geradezu staunenswerther Weise bestätigt zu finden. Auf diesen griechischen Historiker folgt der römische Diodor (von Sicilien), ein Zeitgenosse des Cäsar und des Augustus, der gleichfalls in Aegypten war und eingehende Schilderungen des Landes und seiner Bewohner hinterlassen hat. Und speciell Diodor ist es, der in seinem Geschichtswerke über Aegypten die dortigen Hühnerbrutöfen beschreibt, die sich bis auf den heutigen Tag genau so erhalten haben, wie er sie damals, also vor bald zweitausend Jahren gesehen. Auch der römische Kaiser Hadrian, der ungefähr hundert Jahre später Aegypten bereiste, wo er seinen Liebling Antinous verlor, schildert diese Brutöfen sehr umständlich und zwar als eine der originellsten Einrichtungen des Landes.

Für uns war dies begreiflicher Weise ein hinreichender Grund, uns näher danach zu erkundigen, und wir erfuhren auch bald, daß diese Anstalten noch überall in Aegypten existiren, die meisten allerdings in Mittel- und Ober-Aegypten, aber doch auch ganz in der Nähe von Kairo und zwar in dem Dorfe Gizeh, das schon seiner Pyramiden wegen so berühmt ist. Alsbald wurde eine Tour dahin beschlossen, die nöthigen Reitesel bestellt und auch ein ortskundiger Führer engagirt. Dieser versicherte uns, daß wir gerade zur günstigsten Zeit kämen (zu Anfang des Juni), wo die erste Brut ausschlüpft, die auch die beträchtlichste ist; die zweite, zu Anfang des Septembers, ist gewöhnlich weniger bedeutend.

So trabten wir denn eines Nachmittags auf unseren flinken Eseln wohlgemuth durch die Muskih und durch die schönen Alleen von Ismaïlia, jenem neuen, ganz im europäischen Geschmacke angelegten Stadttheile, der dem Khedive so viel Geld gekostet hat und so wenig einbringt, bis hin zur Nilbrücke und über dieselbe hinüber, denn das Dorf Gizeh liegt jenseits des Flusses.

Kaum waren wir am anderen Ufer angelangt (die ungeheure Brücke ist gegen tausend Fuß lang), so tauchten auch schon vor uns in der Ferne die Pyramiden auf, scharfgezeichnete Riesendreiecke, jetzt lichtweiß in der glühenden Nachmittagssonne erglänzend; Abends beim Sonnenuntergang färben sie sich alsdann purpurroth und später dunkelblau, bis sie der Vollmond wieder mit Silberglanz übergießt – ein von uns schon so oft wahrgenommener und bewunderter Anblick, den man aber immer wieder von Neuem beschreiben möchte. Diesmal schlugen wir aber den Weg zur Linken ein, also nilaufwärts am linken Ufer des Flusses. Die Landschaft ist hier einförmig und mit Ausnahme einiger Palmengruppen fast kahl, um so schöner ist dafür aber der Blick auf das jenseitige Ufer, wo sich die ganze Khalifenstadt unermeßlich ausdehnt. Von ihr selbst sieht man freilich nur im Hintergrunde die höheren Gebäude und unzähligen Minarets; den Vordergrund bildet Ismaïlia mit seinen blühenden Gärten und dicht am Ufer zieht sich eine Reihe von Palästen entlang, deren schönster, fast eine kleine Stadt für sich, von der Mutter des Vicekönigs bewohnt wird. Alles überragt alsdann auf der Höhe der Mokkatamfelsen die Citadelle mit der prächtigen Moschee Mohammed Ali’s, deren zwei schlanke Minarets wie hohe Schiffsmasten gen Himmel ragen, so zugespitzt dünn und fein, daß man meint, ein starker Wind müsse sie umwerfen. Weiter hinauf erscheint dann die Insel Rhoda, die den Fluß in zwei Arme theilt, die Insel selbst ein einziger Blumengarten, voll der seltensten Bäume und Gewächse und von Ibrahim Pascha, dem Vater des jetzigen Khedive, angelegt, aber leider, wie alle Schöpfungen der früheren Vicekönige, vernachlässigt, und das dortige Marmorpalais halb zerfallen. Auf der Insel Rhoda befindet sich der uralte Nilmesser, und gläubige Herzen finden dort auch den Baum, unter welchem das Moseskind ausgesetzt wurde.

Rechts von uns wird es nun auf einmal lebendig: hunderte, ja tausende von Arbeitern – Männer, Frauen und Kinder, meist dunkelbraune Araber, echte Fellachen und äußerst dürftig gekleidet, viele nur von schmutzigen Lumpen umhüllt – tragen in großen und kleinen Körben Erde vom unteren Ufer über den Damm hinüber weiter nach oben, wo künstliche Hügel angelegt werden; es sind dies die sogenannten Arbeiten von Gizeh, wo der Khedive schon aus früherer Zeit ein Schloß mit Haremsgebäuden, Park und Gärten besitzt, seit einigen Jahren aber Alles auf das Großartigste erweitern und verschönern läßt. Viele hundert Morgen Landes sind neu hinzugezogen worden; das ganze unermeßliche Terrain ist bereits von einer hohen Mauer umgeben, die allein, wie man uns versicherte, über eine Million Franken gekostet hat, was wir gern glauben, denn sie ist nach allen Richtungen buchstäblich unabsehbar. Von Zeit zu Zeit ist die Mauer durchbrochen, und hohe vergoldete Eisengitter gestatten einen Blick in das Innere. Auch dort wimmelte es von Arbeitern, denn daselbst werden zwei neue Paläste aufgeführt, größer und prächtiger als alle, welche der Khedive bis jetzt hat bauen lassen, und Gott weiß, wie viele er deren schon besitzt. Ein riesenhaftes Gebäude für die Dampfmaschinen der Wasserkünste war bereits vollendet. Ueberall standen Aufseher, an ihrem weißen Turban und dunkelblauen Kaftan kenntlich und mit dem langen Palmenstock in der Rechten, um die Lässigen anzutreiben. So mag es bei den Pyramidenbauten unter den Pharaonen ausgesehen haben. Bei der trostlosen Finanzlage des Landes, wo der Khedive schon beinahe mit all seinem Hab und Gut seinen Gläubigern verfallen ist, machen diese gigantischen Arbeiten, die, ohne den geringsten Nutzen für das Volk, nur der Laune und dem Luxus eines Einzigen dienen, weit eher einen betrübenden als einen erfreulichen Eindruck, und wir erwähnen derselben auch nur einestheils zur Charakteristik der ägyptischen Verhältnisse, die eben orientalischer Natur sind, und anderntheils, weil uns der Contrast dieser Prachtbauten mit dem armseligen Dorfe Gizeh, das dicht daran stößt und in das wir jetzt hineinritten, so überaus schmerzlich berührte.

Die bettelnde Jugend des Dorfes, die uns mit lautem, nicht enden wollendem Geschrei nach „Bakschisch! Bakschisch!“ förmlich überfiel, verscheuchte indeß sofort jene trüben Gedanken, und als Einer aus unserer Gesellschaft gar die Unvorsichtigkeit beging und einigen halbnackten braunen Bürschchen ein paar kleine Piaster zuwarf, da galt es, sich ernsthaft der wilden Rotte zu erwehren, was wir nur mit Hülfe unserer Eseltreiber erreichten, die rechts und links unbarmherzig dreinschlugen und uns Bahn brachen. Wir bogen übrigens nach wenigen Minuten in ein Seitengäßchen ein, an dessen Eingange sich unsere Treiber postirten und dadurch den nachdrängenden Schwarm abwehrten, sodaß wir uns jetzt nur noch gegen die aus den nächsten Häusern herbeilaufenden Kinder zu vertheidigen hatten. „Bakschisch! Bakschisch!“ so klingt es eben in allen Tonarten durch ganz Aegypten. Das unschöne Wort empfängt den europäischen Touristen, so wie er den Fuß in Alexandria auf afrikanischen Boden setzt, und begleitet ihn von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf bis zu den entlegensten Nilkatarakten; denn das eigentliche Volk ist arm, blutarm, wofür der im vorigen Jahre bald nach dem großen Krach abgesetzte und dann „bei Seite geschaffte“ Finanzminister auf das Gründlichste, aber auch auf das Abscheulichste gesorgt hat.

Unser Führer, der den Besitzer des Brutofens kannte, war voraus gegangen, um uns anzumelden, und kam jetzt zurück mit der Nachricht, daß wir sehr willkommen seien, daß aber „der Scheich“ uns bäte, einige Minuten zu warten wegen der Weiber, die sich gerade im Hofe befänden und die sich vor den Fremden nicht sehen lassen wollten. Die Jüngeren in unserer Gesellschaft machten, wenn auch nur im Scherze, Miene, den Einlaß zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_706.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)