Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Gespenste damit, und siehe da, mein schwarzer Doppelgänger hatte jetzt ebenfalls einen Schirm und schwang ihn ebenfalls. Noch nicht völlig sicher und zufrieden, rief ich einem Manne, der jetzt mit zwei halbwüchsigen Mädchen (er war, wenn ich mich recht entsinne, aus Appenzell oder Schaffhausen) über die Matte auf die Erhöhung zukam, die Frage entgegen, ob er in dem Wolkenstreifen etwas sehe. Auch er sah die Regenbogennische und die Schatten. Ich ersuchte dann das eine der Mädchen, statt Treitschke’s, den ich bei Seite zu gehen bat, neben mich zu treten, und richtig stand, wie ich erwartet, jetzt der Schatten einer weiblichen Gestalt in dem bunten Rahmen.
Die Erscheinung mochte nahezu vier Minuten gedauert haben, und sie war während dieser Zeit mehrmals bald blaß, bald brennend geworden, als sie allmählich wieder erbleichte, ganz undeutlich wurde und verschwand, während der weiße Wolkenstreifen fortfuhr, lautlos und langsam über die Matte hinzuschweben.
Als wir später unser Erlebniß an der Wirthstafel erzählten, sagte man uns: „Sie haben das Rigigespenst gesehen.“
Wir hätten das Phänomen vielleicht genauer untersuchen, dem Gespenste zu Leibe gehen, mehrmals den Ort wechseln, hinter die Nische treten sollen und dergleichen. Aber wie das bei solchen Fällen wohl immer zu gehen pflegt, die Erscheinung war im eigentlichsten Sinne fesselnd; sie heftete den Zuschauer an den Boden. Man wagte eine Zeit lang kaum zu athmen, geschweige denn sich zu rühren. Man war überdies nicht gewillt, das zarte Gebilde zu stören. Man genoß es ohne das Bedürfniß, es zu kritisiren und zu analysiren, und so blieb Vieles daran für uns Laien in der Physik ein Räthsel. Warum veränderte das Phänomen nicht seinen Stand? Warum sah man nicht auch den Schatten des Schweizers in dem Regenbogenrahmen? Wie geschah es, daß der Kreis sich in eine Nische verwandelte? Daß die Erscheinung eine theils mit der Fata Morgana, theils mit dem Regenbogen verwandte war, lag auf der Hand. Namentlich die Verwandtschaft mit dem letzteren war nicht zu verkennen. Denn lange noch, nachdem unser Gespenst verschwunden war, sahen wir in der Ferne, da, wo die Wolkenschatten den Boden verdunkelten, ähnliche Strahlenbrechungen. Auf abgeschrägtem Lande jenseits des Sees brannte mitten im Schwarz der Beschattung eine Fläche Landes, dem Anschein nach etwa hundert Quadratruthen groß, wie ein mit Regenbogensamen besäetes Feldstück, und die Myten bei Schwyz starrten, von denselben glühenden Farben überlaufen, wie ein paar ungeheuere Steinbockshörner oder Mammuthszähne aus der sie umgebenden Nacht empor.
Ich habe erzählt, was ich gesehen, nichts dazu gethan und nichts weggelassen, nichts verschönert und nirgendwo höhere Lichter aufgesetzt. Ich denke, so müßte es die Wissenschaft brauchen können, und vielleicht kommt nun einer von ihren Leuten und macht für die „Gartenlaube“ einen Vers daraus.
Der Apriltag, der seit dem Mittag in hellem Sonnenschein lachte, zeigte selbst am späten Nachmittag noch die Spuren der Schneeschauer, mit denen frühmorgens ein scharfer Nordwind über Gent hinweggestrichen war und Knospen aller Art aus ihrem frühlingsseligen Traume gerissen hatte.
Am erkennbarsten war dies in den kleinen Wäldern in der Umgegend der Stadt. An dem schon grünenden Unterholz von Buchen und Eichen wurde auf der Nordseite der braune Anhang des Vorjahres, der sich nur mit Mühe gegen die unaufhaltsam verbrechenden jungen Knospen wehrte, noch von tropfendem Schnee niedergebogen, und die zähen alten Blätter fielen mit leiser Klage unter dem doppelten Angriff. Auf dem feuchten Grunde, der mit Ginster, Jelängerjelieber, Zwergstechpalmen und Buchenschößlingen schon fast in Grün gehüllt war, schimmerte in Vertiefungen noch blendendes Weiß, oft seltsam abstechend gegen das Violett der wilden Veilchen und anderer Erstlinge des Lenzes, während die kahlen Aeste bemooster Hochstämme wie Denkmäler abgestorbenen Lebens in die Luft starrten.
Es war im kleinen Rahmen der Natur ein Spiegelbild der stürmischen Uebergangszeit, in welcher sich das Jahrhundert selbst von langem Winterschlafe zum Völkerfrühling befand.
Ein solches Wäldchen lag auch eine halbe Stunde Weges östlich von Gent, da wo sich die Heerstraße nordöstlich nach Mecheln und südöstlich nach Brüssel theilte, in dem Winkel zwischen beiden Straßen. Dasselbe würde die Gestalt eines Dreiecks gehabt haben, wenn sich nicht auf seiner breiteren Ostseite wieder zwei Flügelstreifen neben den Straßen hingezogen hätten, so daß es dort die Form annahm, die man bezeichnend genug mit dem Namen Schwalbenschwanz benennt. Ein Verbindungsweg zog sich von Süden nach Norden mitten hindurch. Kaum hundert Schritte von demselben, schon in der Nähe der Flügel, öffnete sich eine lichtere Stelle mit den Ueberbleibseln einer alten flamländischen Burg, oder vielmehr einer Warte mit Umfassungsmauern, die einst zum Auslug nach Osten bestimmt gewesen sein mochte, jetzt aber nur noch einen kleinen, mit Trümmerstücken eingefaßten Hofraum und dahinter den Rundbogen der früheren Eingangsthür aufzuweisen hatte. Das Ganze war mit Epheu und Schlinggewächsen aller Art überwuchert; nur das Portal zeichnete sich dadurch aus, daß durch irgend wie und wann herübergewehten Samen drei Zwergföhren auf demselben gewachsen waren und ihm jetzt eine natürliche Krone verliehen.
Ein breiter Fußpfad wand sich von dem Verbindungswege her dicht an der Ruine vorüber, um bald durch eine zweite Lichtung zwischen den beiden Flügelstreifen auf eine schmale Ebene hinauszutreten, über welche hinweg sich die Aussicht auf das Hauptgebäude einer stattlichen alten Abtei öffnete.
Mit seinen zwei Reihen kleiner, von Säulen eingefaßter Rundbogenfenster über dem großen runden Einfahrtsthor und den Eckthürmen mit den kurzen, spitzen Ziegeldächern zeigte das Gebäude sich von dieser Seite wie in einen Rahmen eingefaßt. Die schmale Ebene zwischen den Waldstreifen war kurzer Rasen, der seine Benutzung zur Fohlenweide in zahllosen Abdrücken kleiner Pferdehufe kenntlich machte. Ein Spazierweg von der Abtei führte den oberen Waldstreifen entlang zur Ruine. Das Wäldchen hieß von dieser der Burgwald, und die Abtei war das Kloster Allerseelen.
Eben klang von dort die Vesperglocke herüber, als auf dem Hofraume der Ruine ein Fußgänger auftauchte. Mit dem letzten Glockenschlage stand er unter dem Rundbogen und sah sich vorsichtig spähend um. Seiner Kleidung nach schien er nicht mehr als ein Knecht zu sein, aber ein großes Bund Schlüssel, das ihm am Ledergurt hing, und ein weinseliges Gesicht mit einem gewissen launigen Blick deuteten an, daß seine gewöhnliche Beschäftigung nicht unter freiem Himmel, sondern in jenen unterirdischen Gewölben zu suchen war, mit denen es der böse Feind verstanden hat, selbst die Klöster zu unterwühlen, um in lockendster Gestalt auf fromme Opfer zu lauern – woher es denn auch kommen mag, daß selbst der Tugendhafteste nur in seltenen Fällen aus solchen Räumen ohne Gewissenspein und schweres Kopfleid an die freie Luft zu treten vermag.
In die Tugend Bastian’s, des Kellerknechtes vom Kloster – denn das war er –, würde man freilich gerechtes Mißtrauen haben setzen können, auch wenn er sich nicht selbst eben darüber ausgesprochen hätte.
„Die Vesperglocke, und noch Niemand da,“ sagte er. „Um so besser! Da kann ich mich erst zauberfest machen. Habe mir mit der Wünschelruthe hier das rechte Kräutlein dazu gehoben.“ Dabei fuhr seine Hand vom Schlüsselbunde unter den faltigen Rock und zog ein gefülltes Fläschlein hervor. Er hielt es mit Wohlgefallen gegen die Sonne. „Malvasier nennen es die frommen Frauen,“ lachte er still vor sich hin. „Es glänzt wie Gold und wächst in Griechenland – ich weiß es für gewiß, wenn auch Ihre Gnaden, die Frau Aebtissin, sagt, es komme aus
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_671.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)