Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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ihres Gesichtes durch die unbeholfenen kleinen Dinger gefallen. Als aber gar die Enten sich zwischen ihre Vorderbeine hineindrängten, als ob sie „unterkriechen“ wollten, siehe, da legte Liese sich auf die Seite, hob das hintere Bein in die Höhe und drehte sich nach und nach so auf den Rücken, daß alle elf Enten an und auf ihr Platz fanden und als ein Häufchen da hockten und ihre Schnäbel in den Pelz der Katze steckten, welche die freie Vorderpfote sanft über sie legte.
So lag die malerische Gruppe da und hielt Schlummerruhe, bis das Jungvolk wieder erwachte und nach Wasser und Futter suchte. In diesem Augenblicke kam Waldmann herbei, offenbar im Gefühle des Hauswächters, der nachzusehen habe, was hier vorgehe. Mit feurigen Blicken verfolgte Liese jede Bewegung des Hundes, und als er sich unterstand. eine der Enten zu beriechen, schoß sie in voller Wuth auf ihn los und ohrfeigte ihn dermaßen, daß er heulend davonlief.
Am Abend wurden die Enten in den Korb gesteckt und die Katze entfernt; sie hielt die ganze Nacht vor der Thür Wacht und war am Morgen sofort, als die Thür geöffnet wurde, wieder bei ihren Pfleglingen und leckte alle nach der Reihe mit größter Zärtlichkeit. Und doch schien ihr heute an den Thierchen Manches nicht zu passen: die Schnäbel und die breiten Schwimmfüße waren ihr nicht recht. Wirklich machte Liese den Versuch, diese sie störendem Auswüchse zu beseitigen. Sie faßte dieselbe mit den Zähne und zog sanft daran, aber sobald das Gepackte schrie, ließ sie es los und miaute in beruhigender Weise. Endlich ließ sie bestehen, was nicht mehr zu ändern war. Desto großer wurde ihr Pflegeeifer. Fiel eines der kleinen Geschöpfe auf den Rücken, so brachte sie es geschickt mit den Pfote in die Höhe, faßte es dann am Halse und trug es vorsichtig in den Korb unter dem Herde. Dadurch hatte sie sich so viel Vertrauen erworben, daß man sie im Korbe mit schlafen ließ.
Am fünften Tage dieses gemüthlichen Zusammenlebens sollte die Henne, von ihrem Ausbrütegeschäft befreit, bei den Enten in ihre Mutterrechte eintreten. Man entfernte die Katze, setzte die Enten in einen viereckige Behälter im Garten und ließ die Henne zu ihnen. Sie eilte mit denn freudigsten Lauten zu ihrer Schaar, gluckste und lockte, – aber vergeblich! Die Enten fürchteten sich anfangs vor ihr und schienen erst nach und nach zutraulicher zu werden. Als man aber gegen Mittag wieder nach der Gesellschaft sah, lag Liese, die kläglich miauend nach ihren Lieblingen herumgesucht hatte, mit ihnen in einer Ecke des Gartens, und die Henne saß ganz allein in einer andere Ecke.
Um diese mit ihrer Brut allein zusammen zu bringen und letztere an sie zu gewöhnen, brachte man sie in die Schneidemühle jenseits des Mühlgrabens. Liese, welche nachlief, wurde zurückgejagt. Da erhob sie aber ein so klägliches Jammergeschrei, daß die Hausherrin ihr doch die Thür öffnete. Die schlimme Folge davon zeigte sich freilich am andern Morgen. An den herumliegenden Federn sah man, daß Katze und Henne gekämpft hatten; die Enten waren auseinander gestoben und eine derselben fehlte. Natürlich kam Liese in den schlimmsten Verdacht und wurde sofort hinausgeprügelt. Bald aber mußte man ihr Abbitte thun, denn nach kurzer Zeit hatte sie die fehlende kleine Ente gefunden, trug sie im Maule die Treppe herauf und setzte sie in der Kochstube nieder.
Noch am neunten Tage war es der Henne nicht gelungen, die Zuneigung ihrer Brutkinder zu gewinnen. Wenn man Liese von ihnen getrennt hatte, so hockten sie alle an der inneren Seite der Thür, so lange bis die Katze vor derselben miaute. Endlich entdeckte Liese zwischen Thür und Schwelle einen Spalt von ein paar Zoll Weite. Durch diesen lockte sie die ganze Schaar heraus, um sie über den Steg in’s Haus herüber zu führen. Die Treppe herunter kollernd fielen drei davon in’s Wasser. In diesem Augenblicke zeigte Liese wahrhaft menschliche Ueberlegung. Sie sprang nicht gleich den Dreien nach, die anderen ihrem Schicksale überlassend, sondern sie brachte erst die acht kleinen Enten in Sicherheit und lief dann den dreien zu Hülfe. Schreiend rannte sie am Ufer hin und her, bis die Enten zu ihr hinruderten und sich, eines um das andere, von ihr forttragen ließen.
Die Zeit änderte und endete auch dieses seltsame Verhältniß. Thatsache ist’s, daß Liese die Henne nie mehr in die Nähe ließ und oft den ganzen Trupp der Hühner sammt dem Hahne davonjagte, wenn sie das Futter ihrer Pfleglinge benaschen wollten. Ein köstlicher Anblick war es, wenn sie mit ihrer Schaar durch den Garten zog und an schmutzige Stellen gerieth, wo es den Enten am besten gefiel. Welche Mühe mit Zunge und Pfote gab sich das reinliche Thier, um sie zu säubern! Und folgten sie gar ihrem Triebe in’s Wasser des Mühlbachs, so lief sie, ängstlich schreiend, am Ufer hin und her und lief ein kleines Stück hinein, um die jungen Thiere heraus zu ziehen. Bis sie halbwüchsig wurden, ließen sie sich auch ihr absonderliches Spiel mit ihnen gefallen, denn Liese nahm sie wie Bälle in die Pfote und kollerte sie herum. Dann aber sperrten sie schon die Schnäbel gegen sie auf und zischten sie an, wenn Liese dieses Spiel mit ihnen treiben wollte.
Jetzt sind aus den Entchen große, prachtvolle Enten geworden, und das ist ohne Frage hauptsächlich Liese’s Verdienst, welche sie gegen jeden Feind und jede Unbill gewissenhaft und tapfer beschützt hat. Ganz kann sie noch heute diese schöne Zeit ihrer Muttersorgen nicht vergessen, denn noch heute sucht sie mit Vorliebe ihre Ruhestätte auf dem Entenstall auf.
„Station St. Wendel!“ erscholl die Stimme des Schaffners, auf dessen Ruf eine gewaltige Menschenmenge aus den geöffneten Waggons des endlos langen von Bingerbrück kommenden Zuges strömte. Während eine gleich große Volksmasse auf dem Perron des Bahnhofes wartete, um in der Richtung nach Saarbrücken weiter befördert zu werden. Ein Blick auf die Rosenkränze und zahlreichen zur Aufbewahrung des Wunderwassers bestimmten Blechgefäße läßt uns nicht in Zweifel, daß es Wallfahrer seien, welche nach dem in der frommen Welt so schnell berühmt gewordenen Marpingen wollen oder von da zurückkehren. Wie aus den verschiedenen Trachten zu ersehen ist, haben sämmtliche benachbarte Länder: Frankreich, Lothringen, Pfalz, selbst Altbaiern, Württemberg und Baden ihr Contingent gestellt. Den Kenner würde diese Musterkarte von Volkstrachten: hirschlederne Unaussprechliche des Schwarzwälders neben der Blouse des Franzosen, zierliche weiße Lothringer- und bunte Elsässer-Häubchen neben gewaltigen schwäbischen Gimphauben und einem halben Dutzend anderer Nationaltrachten entzücken, wenn sie nicht fast durchweg von Leuten getragen würden, deren stupides Aussehen sofort verräth, daß sie den untersten Ständen und zwar nicht dem intelligenteren Theile derselben angehören. Städtisch Gekleidete waren etwa fünfzig bis sechszig zu bemerken, und zwar gehörten diese fast ausschließlich dem schöneren Geschlechte in dem Alter an, in dem man „zu alt ist, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein“. Da sich diese bald naserümpfend von dem „Pöbel“ absonderten und sich instinctmäßig zueinander gesellten, so entstand eine hübsche Collection schnatternder alter Jungfern, wie ich sie in solcher Reichhaltigkeit noch nie an einem Punkte vereinigt gesehen hatte.
Der dichte schreiende und lärmende Knäuel löste sich endlich auf. Die an dem früher so einsamen Bahnhof in großer Anzahl aufgestellten äußerst zudringlichen Rosselenker nahmen den kleineren Theil der angekommenen Reisenden in ihre aus weiß Gott welch alten Rumpelkammern hervorgezogenen antediluvianischen[WS 1] Gefährte auf und humpelten gemächlich die Anhöhe hinauf, während die übrigen Wallfahrer zu Fuß die Richtung nach Marpingen einschlugen, zum Theil von schwarzberockten Geistlichen geführt, deren wachsames Auge jeden Abstecher, den etwa einzelne durstige Seelen in die benachbarten Kneipen machen wollten, zu vereiteln wußten. Aus dem etwas unsicheren Gange und dem lauten Gespräche mancher Pilger und Pilgerinnen konnte man unschwer den Schluß ziehen, daß sie bereits tüchtig gefrühstückt hatten. Ich überzeugte mich bald, wie dies gekommen sei, nämlich daß die frommen Wallfahrer in ihren Blechkannen erhebliche Quantitäten Wein und verschiedene Schnäpse zur Stärkung mit sich führten und, so oft das Auge des gestrengen Seelsorgers sich zur Seite
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: antidiluvianischen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_666.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)