Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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No. 40. | 1877. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
„Sie werden es noch zu Ihrem eigenen Schaden erfahren, mein Junge, daß man hier zu Lande nicht mit dem Kopf durch die Wand kommt.“
„Ich bin nicht so harmlos, mein lieber Herr Nachbar, daß ich mit meinen dreiunddreißig Jahren diese Erfahrung nicht bereits auch anderwärts gemacht haben sollte. Aber ich habe nebenbei auch noch dies gelernt: ein Mann in meiner Lage ist rettungslos verloren, sobald er ein ängstliches Schwanken zeigt. Ich bin mit mir zu Rathe gegangen und bin nicht zweifelhaft, wie ich antworten werde, wenn es zur Entscheidung kommt.“
„Sehr gut! sehr gut! Wenn aber die Folgen schwer auf Ihr Haupt fallen, dann erinnern Sie sich gefälligst, daß Sie gewarnt worden sind!“
„Sie dürfen ruhig sein; ich weiß sehr wohl, daß ich allein für meine Handlungen einzustehen habe.“
„Das klingt sehr schön, ist aber nicht ganz richtig. Wir Alle haben unter Ihrem Starrsinn zu leiden; die ganze Nachbarschaft ist in Gefahr, wenn es zum Aeußersten kommt. Setzen wir den Fall, daß die Kerle aus dem Hinterhalte heraus Ihnen eine Kugel vor Ihren widerspenstigen Kopf schießen – was dann?“
„Dann werde ich ein paar Jahre später dem Schicksal unterlegen sein, das mich schon bei Königgrätz oder Gravelotte hätte ereilen können. Für einen preußischen Soldaten ist eine Kugel kein unbekanntes Schreckbild mehr.“
„Und Sie wollen sie wirklich riskiren, auch wenn Sie durch ein wenig Nachgiebigkeit Alles in’s richtige Geleise bringen könnten?“
„Das ist’s ja eben. Ich kann mich nicht davon überzeugen, daß meine Nachgiebigkeit dies bewerkstelligen würde. Im Gegentheil: sie würde die Krisis nur hinausschieben, nicht beseitigen.“
„Von zwei Uebeln wählt ein gescheidter Mann das kleinere. Bezwingen Sie Ihren stolzen Trotzkopf, treiben Sie durch Ihre Hartnäckigkeit die Sache nicht bis auf die Spitze – seien Sie ein guter Junge! Eine kleine Zulage würde sich auch noch erschwingen lassen – kommen Sie der aufgeregten Menge durch ein solches Anerbieten entgegen! Sie werden sehen, wie beschwichtigend dies auf die Aufsässigen wirken wird.“
„Es wäre Schwäche, ‚beschwichtigen‘ zu wollen, wo man ‚durchgreifen‘ muß. Ich habe Ihnen schon gesagt, Herr Kayser, daß ich meine Lage wohl überdacht habe. Ich zahle so hohe Löhne, wie sie ein Fabrikant in dieser ungünstigen Zeit und bei dem Drucke, der auf allen Geschäften ruht, nur irgend zahlen kann. Kein Billigdenkender wird mehr von mir verlangen. Arbeite ich nicht selbst hart, und was habe ich dafür? Ich sage Ihnen, es ist gewiß Keiner unter allen meinen Arbeitern, der einen so sorgenschweren Kopf hat, wie ich. Blicken Sie um sich in meinem Hause! Ueberall wird Ihnen der ernste, nüchterne, an Arbeit und Selbstbeschränkung gewöhnte Geist meiner Heimath entgegentreten. Erlauben wir – meine Schwester und ich – uns irgend einen Luxus? Nur durch strenge Beschränkung unserer eigenen Bedürfnisse bin ich im Stande, meinen Verpflichtungen gegen Andere – auch gegen Sie, Herr Nachbar – nachzukommen. Wenn ich aber weiß, was ich Anderen zu leisten habe, so weiß ich auch, was ich mir selbst schuldig bin. Und ich erkläre Ihnen, daß ich nicht eine Viertelstunde von der festgesetzten Arbeitszeit herunterzugehen oder um einen Pfennig die Löhne zu erhöhen gedenke.“
„Sie dürfen mir nicht mehr sagen, daß Sie wissen, was Sie sich selbst schuldig sind. Ihr Selbstbewußtsein steht Ihnen auf Ihrer eigensinnigen, eisernen preußischen Stirn geschrieben. Sie kranken nicht an einem Mangel an Selbstgefühl.“
„Kein rechter Mann, der nicht weiß, was er werth ist.“
„Oho, lieber Freund, darüber kann man sich auch täuschen. Aber ich bin nicht gekommen, Ihnen Demuthslehren zu geben – es wären dies in den Wind gesprochene Worte. Ich bin gekommen, Ihnen einen Vorschlag zu machen, auf den Sie eingehen werden, wenn Sie in Wahrheit der gescheidte Bursche sind, für den ich Sie bisher gehalten. Sehen Sie, junger Freund, unser Interesse an dem Fortbestehen und Gedeihen der Fabrik ist ein gleiches: von mir steckt eben so viel Geld darin, wie von Ihnen und Ihrer Schwester. Es liegt auf der Hand, daß wir alle Drei gewinnen, wenn die Arbeiten ruhig und ununterbrochen vorwärts gehen, was voraussichtlich nicht geschehen würde, wenn Sie rücksichtslos Ihrem Eisenkopfe folgten. Nun will ich es aber auf der andern Seite auch nicht leugnen, daß Sie Recht, völlig Recht haben in dem, was Sie von Ihrem eigenen Verhalten und Ihren Bemühungen sagten. Ich weiß Ihre Energie und Ihre Arbeitslust wohl zu schätzen. Ich erkenne es an, daß ich mein Eigenthum an keinen sichereren, reelleren Mann hätte verkaufen können, und weil ich das weiß, bedauere ich es auch doppelt, daß die ungünstigen Zeitverhältnisse Ihnen Schwierigkeiten bereiten, die wir Beide beim Abschlusse des Kaufes nicht vorhersehen konnten. Lassen Sie mich schnell zur Sache kommen! Sowohl als gewissenhafter Geschäftsmann, wie auch als Ihr aufrichtiger
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_661.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)