Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1877) 654.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


und ihre Hände umfaßten die beiden Hunde, welche dem Manne folgen wollten.

Wenige Augenblicke später hatte er auch schon den Ofen geöffnet. Keine Hand wehrte es ihm; kein Zuruf hemmte ihn. Dann wurde der Ofen wieder geschlossen, der Hof verlassen; die Hunde wurden freigegeben; die Lattenthür wurde festgehakt.

Der Bauer und sein Weib regten sich nicht. Er hatte die Flinte bei Seite gestellt, sich niedergesetzt auf einen Holzblock und den Kopf mit beiden Händen gestützt; sie kniete neben ihm am Boden und hatte das thränenüberströmte Gesicht in ihrer Schürze geborgen. Jetzt hob sie das Haupt – sie horchte; sie lauschte den in der Ferne verhallenden Tritten der Beiden, die durch die stille sternenklare Nacht ihren Weg gingen.




Auch in dieser Nacht schliefen der Hofbauer und sein Weib nicht. Sie suchten nicht einmal ihr Lager auf. Sie gingen von Kammer zu Kammer und öffneten Truhen und Spinde, um zusammenzuraffen, was sie konnten die Noth Derer zu lindern, die Gott um Hülfe, um Erbarmen angerufen hatten. Es waren arme Haideleute, und sie kannten Beide. Sie dienten in ihrer frühen Jugend auf dem Hofe, dann waren sie ein Paar geworden. Es war eins der Bündnisse, von denen man in der Umgegend der Haiden zu sagen pflegte: „Noth und Elend reichen sich die Hand.“ Sie thaten Beide, was sie konnten, sich redlich zu ernähren, jedoch die Mäulchen, die nach Brod riefen, mehrten sich bei ihnen zu rasch, und ihr Unglück wurde noch größer, als sie den Verlockungen eines amerikanischen Agenten folgten. – Erst in der Ferne sahen sie ein, daß alle Vorspiegelungen Lug und Trug gewesen, und wie Gnade des Himmels erschien es ihnen, als sie nach einigen Jahren, durch Verkettung von Umständen, in die heimathliche Haide zurückkamen. Krank, arm, zerlumpt kehrten sie zwar heim – entblößt von Allem, aber dort in der Heimath halfen ihnen die Nachbarn; dort spendete namentlich der reiche Hofbauer ihnen Hülfe. Wegen eines Anerbietens, das sie ausschlugen, kamen sie später mit ihren Wohlthätern auf gespannten Fuß, und die anfängliche Spannung artete bei des Hofbauern Heftigkeit in Feindschaft aus, als er seiner ehemaligen Dienstboten Anhänglichkeit an die Haide sah, die er ihren Verderb nannte. Er verbot sogar seiner Anne-Marie, diesen törichten Leuten heimlich Hülfe zu spenden; er dachte auch, die Noth würde sie schon zu ihm zurückführen. Das geschah nicht; es geschah sogar in dem harten Winter nicht, wo Krankheit über Krankheit in den elenden Haidehütten ausbrach. Da plötzlich hörte die Hofmutter, daß ihre frühere Magd dem fünften Kinde das Leben gegeben, sehr krank sei und die Noth ihren Höhepunkt erreicht habe. – Sie wollte nun in die Haide. Eine heftige Erkältung und die Broddiebstähle auf ihrem Hofe ließen sie nicht dazu kommen Wie bitter bereute sie nun dieses Unterlassen, als sie die sogenannte „Binsen-Ilse der Haide“, die kranke Wöchnerin in der Nacht an der Pforte ihres Hofes sah – als sie einen Blick in das Elend that das die ehemals redlichsten und fleißigsten Menschen zum Diebstahl getrieben!

Auch der Hofbauer war auf’s Tiefste erschüttert. Er hätte für diese „Binsen-Ilse“ und deren Mann, trotz aller Feindschaft, die Hand ins Feuer gelegt und tausend Eide für ihre Ehrlichkeit auf’s Gewissen genommen. Und nun!? – Ruhe kam erst wieder über ihn, als er mit dem ausreichendsten Beistand und den besten Vorsätzen zur Haide fuhr: er wollte die Noth Derer für immer lindern, die am Thore seines Hauses Gott um Erbarmen gebeten hatten.

Menschenhülfe kam zu spät. Aller Erdennoth waren die Armen sammt ihren Kindern entrissen, als der Hofbauer und sein Weib die Hütte betraten. Sie fanden dort nur Leichen und ein mit dem Tode ringendes Kind.

Der Ausspruch der Aerzte lautete nach der Section des neugeborenen Kindes: „Aus Mangel an Nahrung gestorben,“ bei den andern Leichen: „Tod durch zu heißes Schwarzbrod.“ In festen Klumpen zusammengeballt fand sich’s in den Magen der Unglücklichen, die der Hunger zu der schädlichen Speise getrieben.

Das älteste, mit dem Tode ringende Kind, ein Mädchen, wurde dem Leben zurückgegeben und fand seine Heimath auf dem Hofe des reichen Bauern. Sie wurde für die alternden Leute, was die kleinen rosigen Winden in der struppigen Hecke der verunglückten Haidegrenze waren: ein Schmuck – ein Schmuck ihres Lebens und Herzens.

M. von Humbracht.




Das Germanische National-Museum in Nürnberg.

Am südlichen Ende der Stadt Nürnberg, hart an der alten Stadtmauer und eingeschlossen von dieser auf der einen, vom Kornmarkte, der Karthäuser- und Graßergasse auf den anderen Seiten, liegt die ehemalige Karthause, eine Stiftung des Nürnberger Patriziers Marquard Mendel (1380), der darin nach dem Tode seiner Frau seine Tage beschloß. Bescheiden in ihrer uranfänglichen Anlage und einfach und schmucklos, erweiterten sich die Räumlichkeiten des Klosters in den darauffolgenden Jahrhunderten in so ansehnlicher Weise, daß sie zu Beginn des sechszehnten Jahrhunderts, der Blüthezeit der Stiftung, eine Bodenfläche von zweihundert Metern in der Länge und hundertvierzig Metern in der Breite bedeckten. Zur Zeit der Reformation fand in der sonst nur von dem Memento mori der Mönche unterbrochenen Stille der Klosterhallen große Bewegung statt, und 1525 trat der damalige Prior Blasius Stöckel mit dem größten Theile seines Convents zur evangelischen Lehre über. Dadurch gelangte die Karthause in den Besitz der Stadt, welche sie später zu Wohnungen, besonders für Pfarrwittwen, einrichtete. 1784 wurde die Kirche den Katholiken zur Abhaltung ihres Gottesdienstes eingeräumt, und als für diesen Zweck später die Marienkirche überlassen wurde, kam die Karthause in den zeitweiligen Besitz der Militärverwaltung, welche die Kirche 1816 als Heumagazin, den Kreuzgang vorübergehend als Marodestall benutzte. Nothdürftig und ohne besondere Sorgfalt unterhalten, mehrten sich die Baufälle des Klosters mehr und mehr und war dasselbe auf dem besten Wege, zur Ruine zu werden. Da zog 1857 in dasselbe das vom Freiherrn von Aufseß 1852 gegründete Germanische Museum mit seinen Sammlungen ein, und dadurch wurde es nicht nur vor weiterer Zerstörung bewahrt, sondern einem Zwecke wiedergegeben, der es baulich sowohl, wie geistig zu einer Bedeutung erhob, die für alle Zeiten mit der Geschichte des deutschen Volkes innig verknüpft bleiben wird.

Den Mittelpunkt der ursprünglichen Anlage der Karthause bildete eine einschiffige Kirche, die vorne einen aus drei Seiten eines Achteckes bestehenden chorähnlichen Abschluß hat. Um dieselbe war ein großer Kreuzgang angelegt, und von diesem aus gingen die Eingänge zu den Zellen, welche hinter demselben, von einander abgeschlossen und mit Mauern umgeben, angelegt waren. Ein Speisesaal an der Südseite der Kirche und eine längs der Karthäusergasse sich hinziehende Vorrathskammer etc. vollendeten den Gebäudecomplex, den weiter ein großer Küchen- und Lustgarten umgab.

Diese Räume sind auch heute noch, wenn auch nicht mehr ganz in ihrer ursprünglicher Anlage, der architektonische Hauptbestandtheil, in dem das Germanische Museum untergebracht ist. Für die dabei nothwendigen sehr bedeutenden Reparaturen wurden die Mittel durch freiwillige Beiträge aufgebracht, und namentlich ist es der Freigebigkeit des Königs Ludwig des Ersten von Baiern zu danken, daß der große, fast in Ruinen liegende Kreuzgang wieder aufgebaut werden konnte. Die Zellen der Mönche wurden für Sammlungszwecke benützt, ebenso das Refectorium und die Halle an der Karthäusergasse; die Kirche und die zwei daran angebauten Capellen boten sich von selbst zur Aufnahme kirchlicher Altertümer dar, und endlich wurde durch eine Reihe von Ein- und Anbauten den Bedürfnissen des Museums gerecht zu werden versucht. Die größte Erweiterung geschah in der letzter Zeit durch den Wiederaufbau und Anbau des Augustinerklosters, welches abgetragen werden mußte und in welchem unter Anderem die Waffen- und Costümsammlung untergebracht worden ist. Zur Ermöglichung dieses bedeutenden Baues boten Künstler aus allen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_654.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)