Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
|
ganze Gesellschaften von Heiligen und Allegorien, und zwar vom Dachraum bis zum Erdgeschoß reichend, angebracht, auch die Erkerfenster sind in einigen prächtigen Exemplaren vertreten. Der Fremde wendet sich meistens zum „Gasthause zur Post“, wo man sich getrost niederlassen kann, um einige Wochen mitten im Walde und in den Bergen hinzubringen. An Ausflugsorten fehlt es dort wahrlich nicht; in nächster Nähe befinden sich die interessantesten Punkte; so ist z. B. der Spaziergang in das Lainthal ein müheloses Unternehmen, das allein werth wäre, zu diesem Ziele Tagesreisen zu machen. In einer wildschönen Schlucht führt ein schmaler, besonders hergerichteter Weg im Zickzack hart an den Felswänden hinauf, während dicht neben demselben ein majestätischer Wasserfall seine schäumenden Fluthen in die Tiefe schleudert. Blickt man gegen Mittenwald hinab, so fesselt den Blick vor Allem der riesige Karwendel mit seinen vielen kahlen Felsengipfeln, die sammt den übrigen sterilen Bergspitzen zum blauen Himmel aufragen, wie die von der Zeit gebleichten Gebeine Ymirs, des vorweltlichen Riesen, aus dessen Körper Odin die Welt gebildet hat; erst bei der unteren Hälfte beginnt ein dichter Waldwuchs; seine Füße umrauscht die junge Isar, und dicht an den Ufern derselben bemerkt man die winzigen Häuser von Mittenwald, die von oben gesehen wie wirklicher Nürnberger Tand erscheinen; rings herum liegen üppige Wiesen und Felder – ein Bild von so reicher Wechselwirkung, daß man nicht müde wird, alle Seiten desselben zu bewundern.
Das Leben in Mittenwald selbst hat nichts Cur-, Bade- oder Saisongemäßes. Es giebt dort keine künstlich hergestellten Promenaden, keine Curmusik, Conversations- und Spielsäle, aber Alles trägt dort den Stempel der Natürlichkeit, sodaß man sich schon in den ersten Stunden heimisch fühlt. Die beigefügte Illustration – einen Sonntag-Vormittag auf der Kegelbahn des Postgartens darstellend – kennzeichnet das ungebundene Leben in Mittenwald in trefflicher Weise. Ohne sich um die im Garten weilenden Fremden zu kümmern, liegen die in dem Orte so zahlreich vertretenen Jagdgehülfen dem höchsten aller Sommervergnügungen, dem Kegelschieben, ob, und wie groß das Interesse an diesem harmlosen Spiele ist, zeigen die Mienen der Betheiligten, die mit Spannung den Resultaten jedes Wurfes entgegensehen. Der Spieler, welcher eben geschoben hat, war etwas unglücklich; die Kugel rollt vom Brette ab, und unwillkürlich sucht er mit einer gewaltigen Verrenkung seines Körpers nachzuhelfen, obschon es längst zu spät ist. Die Anderen sehen theils spöttisch, theils mit stoischer Ruhe auf die „g’feilte Kug’l“, während ein im Vordergrunde sitzender Gast aus der Stadt, der in dem fidelen Kreise günstige Aufnahme gefunden hat, beschäftigt ist, die Tiefen seines Maßkruges zu ergründen.
Diese Vormittagskneiperei belegt man mit dem Namen „Eilf-Uhrmesse“, einestheils weil sie nur am Sonntage, nach Schluß der kirchlichen Feierlichkeit, stattfinden kann, anderntheils aber, weil es für manchen leichtfertigen Hallodri die einzige Veranlassung ist, sich in den Sonntagsstaat zu werfen und unter der Maske der Andacht einen Ausgang von längerer Dauer zu rechtfertigen. Der Kegelbub ist zufälliger Weise auch Ministrant und hat daher am Sonntage gewiß alle Hände voll zu thun, um seine Pflichten zu erfüllen. Der Fremde aber fühlt sich durch das ungenirte Benehmen der fröhlichen Zecher nicht beengt, sondern eher angezogen, denn man hat es hier mit jener Natürlichkeit zu thun, die durch eine hervorragende Gutmüthigkeit zur wirklichen Gemüthlichkeit wird, wie man sie an dem Gebirgsvolke so sehr schätzt.
Vom deutschen Feuerwehrtag zu Stuttgart.[1]
Obgleich Stuttgart erst vor zwei Jahren an den deutschen Schützen herzliche Gastfreundschaft geübt, war von den Bewohnern dieser Stadt doch auch jetzt Alles geschehen, was dem Feste der deutschen Feuerwehrmänner zum fröhlichen Gelingen und zur Verschönerung gereichen konnte.
Die Festgeber hatte ihre Straßen und Häuser in einer Weise geschmückt, welche in den Herzen der einziehenden Gäste gleich beim ersten Anblick die rechte Feststimmung entzündete. Ueberall wurde der Festgast mit kräftigem Händedruck willkommen geheißen.
Sonnabend, der erste Festtag, war für den Empfang bestimmt. Im Laufe des Tages rückten die einzelnen, entfernter wohnenden deutschen Landsmannschaften ein, im Bahnhof von dem Festcomité und einer zahllosen Menschenmenge mit stürmischen Hochrufen und rauschenden Musikklängen empfangen. Bei der geselligen Vereinigung und Begrüßung, die am Abend in dem glänzend erleuchteten Stadtgarten stattfand, haftete das Auge mit Verwunderung auf der wandelnden Musterkarte von Feuerwehr-Uniformen.
Die deutschen Feuerwehren bekunden einen sehr lobenswerthen Drang nach Einigung und Uebereinstimmung ihrer wesentlichen Einrichtungen, aber in ihrer Bekleidung bieten sie noch ein recht merkwürdiges Bild von Zerrissenheit und drastischer Buntscheckigkeit dar. Ich muß gestehen, mancher Feuerwehrmann ließ in seinem äeußeren Aufputz eher alles Andere als seinen ernsten Beruf erkennen. Die blanken Stahlhelme mit den weißen, rothen und schwarzen Federbüschen, die zierlich gestickten Rockkragen, die Vereinigung von vier, fünf und sechs Farben an dem Uniformsrock, die Schleppsäbel und Stoßdegen, alles das sind nach meinem Dafürhalten für einen Feuerwehrmann recht überflüssige Dinge, und der leitende Ausschuß des deutschen Feuerwehrverbandes könnte sich ein Verdienst erwerben, wenn er auch nach dieser Richtung hin Wandel schaffte.
Am Sonntag schien die Feststadt über Nacht ein großes Heerlager geworden zu sein; so zahlreich waren von allen Seiten die Fremden zugeströmt. Rauschende Musikklänge verkündeten das Herannahen des Festzuges. Voraus marschirte, um den nöthigen Platz zu machen, die berittene Stadtgarde mit der Fahne der Stadt. Darauf folgten die Festgäste aus Oesterreich-Ungarn und der Schweiz. Die Feuerwehrleute aus dem deutsche Reiche schritten, nach dem Alphabet geordnet, einher, sodaß die Anhaltiner den mächtig langen Zug eröffneten und die Württemberger ihn schlossen. Zu allerletzt kam die in ihrer vollen Stärke vertretene Stuttgarter Feuerwehr, welche ihre Requisiten mit sich führte. Fast fünf Viertelstunden hatte das Defiliren des Zuges gedauert. Die Zahl seiner Theilnehmer wurde auf zwölftausend veranschlagt.
Das Ende des Zuges bildete der Aufmarsch in Schlangenwindungen auf dem alterthümlichen Marktplatz. Den fremden Feuerwehrleuten sollte nunmehr ein lehrreiches Bild von der Leistungsfähigkeit und dem Organismus der Stuttgarter Feuerwehr dargeboten werden. Die Uebung, welche sie vorführte, war in großem Stile entworfen. Es wurde angenommen, daß das Hauptgebäude des altehrwürdigen Rathhauses in Brand geraten sei und durch das erste Bataillon, in dessen Bezirk es liegt, gelöscht werden solle. Da jedoch die Weiterverbreitung des Feuers auf das Nebengebäude drohte, so erfolgte die Alarmirung des zweiten Bataillons, welches auch bald zur Unterstützung eintraf. Es war ein nicht nur für den Fachmann ungemein fesselndes Schauspiel, die dreizehnhundert Mann der Stuttgarter freiwilligen Feuerwehr in voller Thätigkeit zu sehen, gerade als ob es gelte, die Stadt vor einer großen Gefahr zu bewahren. Man konnte an dem ganzen Exercitium klar und deutlich ersehen, daß hier tüchtige und strenge Anleitung, Lust und Liebe zur Sache und stramme Disciplin sich vereinigt hatten, um derartige organisatorische Resultate hervorbringen zu können. Der Angriff auf den fingirten Herd des Feuers wurde mit einer Schnelligkeit und Sicherheit unternommen, daß im Ernstfalle der günstige Erfolg sich wohl hätte verbürgen lassen. Nach wenigen Minuten hatte das gesammte Steigerpersonal die in Betracht kommenden Gebäude bis zu den Firsten erklommen; aus allen Fenstern und sonstigen Oeffnungen wurden bewegliche Gegenstände vor der Zerstörung gerettet, und mehr als ein Dutzend Wasserstrahle deuteten den Widerstand an, welchen eine wirkliche Feuersbrunst gefunden haben würde. Namentlich die beiden Dampfspritzen warfen bis zu einer ganz bedeutenden Höhe solche Wassermengen aus, daß jeder Zweifel an ihrer Nützlichkeit für größere Städte als beseitigt betrachtet werden mußte. Die stürmischen Hochrufe, welche nach beendeter Uebung aus den Reihen der auswärtigen Feuerwehrmänner und des zuschauenden Publicums erschollen, hatte die Stuttgarter Feuerwehr durchaus verdient.
Am Sonntag Nachmittag traten die Delegirten der Feuerwehren im Königsbau zu dem eigentlichen Feuerwehrtag zusammen. Nachdem der Oberbürgermeister von Stuttgart, Dr. von Hack, die Versammlung im Namen der Stadt, und Oberbaurath Professor von Tritschler dieselbe im Namen der Stuttgarter Feuerwehr auf das Herzlichste begrüßt hatten, drückten ein schweizerischer und ein ungarischer Feuerwehrmann, die Herren Langsdorff aus Winterthur und Rösch aus Oedenburg, ihren deutschen Cameraden in feuriger Rede ihre Sympathien aus. Aus den Verhandlungen selbst, die von dem Vorsitzenden des Ausschusses, Oberinspector Jung aus München, mit lobenswerther Energie geleitet wurden, will ich Folgendes hervorheben.
Leider stellen sich viele Feuerversicherungs-Gesellschaften den Feuerwehren nicht so freundlich gegenüber, wie es von rechtswegen sein sollte. Im Gegentheil, es sind nicht wenige Fälle bekannt, in denen sehr gut rentirende Gesellschaften jede materielle Unterstützung der Feuerwehren verweigern. Vor Kurzem erst hat eine deutsche Feuerversicherungs-Gesellschaft ihrem Bevollmächtigten eine Jahrestantieme von über fünfzigtausend Mark und ihren vier Directoren, die das Directorialamt nur als angenehmes Nebengeschäft betreiben, zusammen eine gleich hohe Summe, den Actionären aber eine fabelhaft hohe Dividende bewilligen können, ich habe jedoch niemals gehört, daß diese Gesellschaft von sich aus daran gedacht hat, irgend einer Feuerwehr die geringste Zuwendung zu machen. Um nun für die Zukunft das Interesse der Feuerwehren nach dieser Richtung hin etwas zur Geltung zu bringen, hat deren Ausschuß das deutsche Reichskanzleramt in einer Petition ersucht, bei Erlaß eines Reichsversicherungsgesetzes die Unterstützung der Feuerwehren durch die Versicherungs-Gesellschaften mit in’s Auge zu fassen.
- ↑ Wegen mangelnden Raums im Hauptblatte bringen wir die nachfolgende auf das Nothwendigste reducirte Schlußabtheilung der Schilderungen vom „Deutschen Feuerwehrtag in Stuttgart“ an dieser Stelle zum Abdruck.Die Redaction.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_640.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)