Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
|
schon auffallend und schön lanzettförmig gestaltete Gefieder unseres Fischreihers verschwindet jedoch neben der Pracht des Edelreihers, die dieser namentlich in seinem Rückenschmucke zeigt, aus dem man die kostbaren Reiherbüsche verfertigt.
Wenn der Verfall eines ritterlichen Sports irgend zu bedauern ist, so ist es die Reiherbaize. Durch diese wurde der unseren Süßwasserfischereien so überaus schädliche Vogel gründlich verfolgt und seine Reihen, trotz der damals hin und wieder künstlich gehegten Reiherstände, stark gelichtet. Die Jagd auf den Reiher war aber auch wirklich ein hohes, fesselndes Vergnügen, und ich kann mir nicht versagen, diesen Artikel mit der kurzen Schilderung des bewegten Schauspiels einer Reiherbaize zu beschließen.
Für diese richtete man die Jagdfalken ab. Die Annalen der Hohenstaufen sagen uns, daß Kaiser Friedrich der Erste Jagdfalken dressirte und Friedrich der Zweite der erste Falkonier seiner Zeit gewesen und ein Werk über die Falkenbaize geschrieben hat. Schon das graue Alterthum pflegte diese Liebhaberei. Karl der Große schützte gesetzlich die Falken. Und so zog sich die Baize mit den Vögeln herüber in’s Mittelalter. Kaiser und Herren, besonders auch die hohe Geistlichkeit, betrieben diese Jagd leidenschaftlich; mehr als ihr göttliches Amt pflegten sie oft die edle Falkonierkunst. Diese bildete auch – wie die Jägerei überhaupt – die Waidmannssprache – die eigene Sprache der Falkoniere aus.
Es waren hauptsächlich drei Arten von Jagdfalken, welche außer dem in der ganzen alten Welt theils als Stand-, theils als Zugvogel verbreiteten Wanderfalken (Falco peregrinus) für die Baize gehalten und abgerichtet oder „abgetragen“ wurden. Unter den Jagdfalken begriff man den eigentlichen Jagd- oder isländischen (F. candicans s. islandicus), den Polar- oder grönländischen (F. arcticus) und den Gierfalk (F. Gyrfalco). Besonders schätzte man die beiden ersteren, welche im Alter sich fast ganz weiß verfärbten und in einem Werth standen, wie heutzutage das kostbarste Luxuspferd. Der Falke wurde bei der Baize, welche stets zu Roß betrieben wurde, bekanntlich auf der mit einem Stulpenhandschuh bewehrten Hand getragen. Der Vogel hatte die „Falkenkappe“ oder „Haube“ über dem Kopfe, unter der er nichts sehen konnte, und das „Geschühe“ an den Füßen. Das Geschühe bestand aus zwei mit Schellen versehenen Lederriemen, an denen der „Wurfriemen“ oder die „Fesseln“ befestigt waren. Mit dem so „unter die Haube gestellten Falken“, zog man zur Baize in weite Ebenen. Sobald ein Reiher sich sehen ließ, wurde der Falke „abgekappt“ oder „abgehaubt“ und entfesselt zum Hochfluge gelassen. Wenn der Reiher sich verfolgt sah, spie er den Raub aus, um, dadurch erleichtert, rascher die Höhe zu gewinnen. Der Falke suchte ihn im jähen Fluge zu übersteigen, um von der Höhe herab auf ihn zu stoßen. Jedem Stoße streckte jedoch der Reiher seinen Schnabel entgegen, und der Falke mußte vermeiden, sich an dieser gefährlichen Waffe zu spießen. Kämpfte er mit einem alten erfahrenen Reiher, so setzte es meistens hoch in den Lüften einen langen Kampf ab. Der Wettflug um die Höhe, in welchem jedoch der Falke wohl immer Sieger blieb, die kühnen Schwenkungen, die blitzartigen Stöße des Falken und die stete Abwehr des gedrängten Reihers, der endlich vor Mattigkeit dem Meistersegler der Lüfte weichen und herab zur Erde mußte oder von dem nimmer ermüdenden Falken mit den starken Fängen („Fingern“) „geschlagen“ und am Halse „gewürgt“ wurde – das Alles gewährte ein belebendes, erhebendes Schauspiel. Oft, wenn die Verfolgung des Reihers in die Ferne ging, eilten Roß und Reiter über Stock und Stein der luftigen Jagd nach und brachen, die Blicke zur Höhe gerichtet, nicht selten Glieder und Hals. Selbst die edlen Frauen betrieben die Jagd mit besonderer Leidenschaft, und der rauhbefiederte Falke saß oft auf zarter, freilich mit Stulpen verwahrter Hand der Schönen und wurde nach glücklich bestandenem Sport geliebkost wie ein Schooßhündchen. Sobald der Falke mit der Beute herniederstürzte, beeilten sich die Falkoniere, dem Vogel den Reiher abzunehmen und ihn auf die Faust unter Haube und Geschühe zu stellen, nachdem er „gespeist“ oder eine gute „Atzung“ unter dem Zurufe: „Rupf' an, Männchen!“ erhalten. Den Reiher, dem die Schmuckfedern genommen wurden, benutzte man oft, wenn er noch lebend war, für die Abrichtung junger Falken in der Falkenschule. Zuweilen legte man dem „gebaizten“ Reiher um einen seiner Ständer einen Ring mit dem Namen des Falkenbesitzers und dem Tage und Ort des Fanges und ließ ihn wieder fliegen.
Mit der Neige des achtzehnten Jahrhunderts kam die Falkenbaize in Europa aus der Mode. Aber in Indien, Persien und Arabien wird sie gegenwärtig noch eifrig betrieben. Ein Schimmer ihrer einstigen Glorie fällt aber auch noch bei uns in die Nüchternheit des Jahrhunderts herein – eben auf unseren Fischreiher.
Die rasche Einnahme der bulgarischen Festung Rustschuk sollte das Seitenstück zu jener von Nikopolis sein. Eine heftige Kanonade von dem gegenüberliegenden Giurgewo, ein Flankenangriff von der Landseite, und Achmed Eyub würde sich mit seiner auf 25,000 Mann geschützten Garnison ebenso leicht ergeben, wie Hassan Pascha mit seinen 6000 Nizams. So hatten sich die Enthusiasten in der russischen Heerführung die Sache nach dem leichten Donau-Uebergang und dem nun so theuer gebüßten Ritt über den Balkan vorgestellt. Sie wollten, daß der aus Rußland herbeigeeilte Czar persönlich diesen unausbleiblichen Erfolg genieße und daß ihm persönlich nach altem Brauch die Schlüssel der Festung auf einer silbernen Platte gereicht würden. Deshalb folgte das Hauptquartier des Kaisers – in einiger Distanz allerdings – der Armee des Kronprinzen auf deren Vormarsch gegen Rustschuk. War die Armee angesichts der Festung angelangt, war Rustschuk zu einem erfolgreichen Sturm „mürbe“, so konnte der Czar sofort herbeieilen, um dem großartigen blutigen Schauspiel beizuwohnen. In den verschiedenen Garnisonen, in den Kaffeehäusern von Bukarest und den kleinen rumänischen Provinzialstädten war die Einnahme dieses Rustschuk eine derart abgemachte Sache, daß sie wenigstens ein halb Dutzend mal als vollendete Thatsache gemeldet und besprochen wurde. Gab es doch Käuze, welche wohl ein halb Dutzend mal die russische Flagge auf den Zinnen der bulgarische Veste gesehen haben wollten und die alle Jene als Spione denuncirten, welche nichts davon bemerkt hatten. Plewna machte aber sowohl den allerdings berechtigten Hoffnungen des Generalstabs wie den Berechnungen der hochweisen Bierbank-Strategen einen Strich durch die Rechnung. Nach dem Balkan zu war man der Lösung des schwierigen Räthsels, ob man sofort und ohne fünf Minuten Aufenthalt unterwegs vorrücken sollte bis Constantinopel, oder ob doch aus Rücksicht für die europäische Diplomatie in Adrianopel Halt gemacht werden dürfte, überhoben. Da hieß es einfach: zurück! Man tröstete sich damit, daß der Zug Gurko's eben nichts Besseres und nichts Schlechteres gewesen, als einer jener zahlreichen „Raids“ im amerikanischen Secessionskriege. Rustschuk aber mußte sofort aufgegeben werden. Der Thronfolger sah sich bei Pyrgos, etwa zwanzig Kilometer von der Festung, gezwungen, seinen Vormarsch einzustellen; es erschien auch nicht mehr ganz geheuer, das Hauptquartier des Kaisers in dieser Gegend zu belassen. Außerdem hatte die Anwesenheit des Czaren bei der Rustschuker Armee keine Zweck mehr.
Unter dem ersten Eindruck der so unerwarteten Niederlage bei Plewna und als man vernahm, was für ein Schrecken in Sistowa und Simnitza geherrscht hatte, erwog man sogar sehr ernsthaft die Frage, ob es nicht gerathen wäre, das Hoflager des Czaren jenseits der Donau, nach Fratesti zu verlegen. Man hätte diesen Rückzug durch die Angabe zu maskiren versucht, daß der Czar vom rumänischen Ufer den Operationen der Belagerung folgen würde. Man mußte aber vor allen Dingen die Zustimmung des Kaisers für diese Aenderung erzielen, und das war, wie die Folge lehrte, unmöglich. Man wußte, was für einen Eindruck auf das für extreme Empfindungen so stark empfängliche Gemüth des Czaren die Nachricht einer vollständigen Niederlage seiner Truppen hervorrufen mußte. Man gab sich also in dessen Umgebung alle erdenkliche Mühe, das Unglück von Plewna als einen durchaus unverzüglichen, wenn auch bedauernswerthen Zwischenfall darzustellen, der jedoch an dem Laufe des Feldzugs nichts ändern würde; im Gegentheil, man habe jetzt Erfahrungen gesammelt, welche man sich zu Nutzen machen würde, um mit größerer Sicherheit als zuvor die vernichtenden Schläge gegen das Türkenreich zu führen. Also die ersten Posten, aber die Herren in der Umgebung des Czaren mußten sich wohl bald überzeugen, daß der Zucker-Ueberguß der bitteren Pille bald schmelzen werde, und daß es nicht möglich sein würde, die nackten Thatsachen lange zu verhüllen. Der Antrag, das Hauptquartier nach Fratesti zu verlegen, war das schlagendste Dementi, welches sie ihren eigenen Behauptungen zu ertheilen im Stande waren, denn jetzt
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_624.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)