Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Reihe die Glückwunschreden der Sprecher sämmtlicher Deputationen. Nach dieser Feier begann ein Festzug, welcher in seiner ganzen Ausdehnung eine volle Wegstunde einnahm und mit Kanonendonner und Glockengeläute eingeleitet wurde. Der Weg des Zuges führte über den Markt, wo von Festjungfrauen jede Fahne mit einem Lorbeerkranz geschmückt wurde, und dann in die große Hauptkirche. Das königliche Paar sammt den Ehrengästen nahm in der Mitte derselben Platz; Händel's „Messias“ ertönte, und dann hielt der derzeitige Rector der Hochschule, Professor Weizsäcker, die Festrede. Mendelssohn’s „Gloria patri“ schloß die kirchliche Feier.
Der Nachmittag war der festlichen Geselligkeit gewidmet, um drei Uhr fand in der Aula die Vorstellung der auswärtigen Deputirten vor dem Königspaar, um vier Uhr das Festmahl in der Turnhalle statt, Alles mit den üblichen Ansprachen und Tosten. Im Museum erfreute die akademische Liedertafel zahlreiche Gäste mit musikalischem Genuß. Der Abend vereinigte die Festgenossen beim großen Commers im Rathhause, bei welchem der König das erste Hoch auf die gesammte Studentenschaft ausbrachte. Die Stadt selbst war prachtvoll beleuchtet, am herrlichsten der Platz um Uhland’s Bildsäule.
Am Freitag, den zehnten August, war abermals die Aula der Schauplatz einer akademischen Feier: der Ehrenpromotionen der sieben Facultäten, denn Tübingen hat für die Staats- und für die Naturwissenschaften besondere Facultäten errichtet, und die Theologie theilt sich in die evangelische und die katholische Facultät. Der derzeitige Kanzler, Staatsrath von Rümelin, leitete die Feierlichkeit ein. Nach derselben begann der eigentliche akademische Festzug, welcher in drei Gruppen das erste Jahrhundert der Universität darstellte. Die erste Gruppe zeigte den Schauplatz selbst, das pfalzgräfliche Palatium Hohentübingen; die zweite führte alle bei der Gründung betheiligten Persönlichkeiten vor, und die dritte die Hochschule selbst mit ihren ersten Mitgliedern vom Rector und Kanzler bis zu den Pedellen. Auch ein Hochzeitszug fehlte dabei nicht; ähnlich wie in Ulm stellte auch hier das Volk sich selbst dar in seinen Trachten und als Costümgestalten. Aus dem Festzuge erwuchs das eigentliche Volksfest der Feier. Neben demselben ging das Königsfestmahl in Bebenhausen für etwa tausend Gäste von Statten. Am Abend wurde an verschiedenen Orten mancher Salamander gerieben.
Am 11. August schien das Wetter den Schluß der öffentlichen Festlichkeiten gesetzt zu haben; es regnete. Dennoch setzten die unerschrockenen Festleute die vorgenommenen Ausflüge durch. Die größte Schaar erstieg den Hohenzollern, und dort endlich wurde, wie der Festberichter der „Allg. Ztg.“ gesteht, „eine von Manchen schmerzlich empfundene Lücke ausgefüllt“, indem der Münchener Professor Bursian ein Hoch auf dem deutschen Kaiser ausbrachte. So endete das Fest patriotisch und tactvoll.
Unsere Illustration ist genügend durch die Unterschriften der einzelnen Bilder erklärt. Zwei merkwürdige Gebäude aus alter Zeit sind das restaurirte Rathhaus mit der Portraitfigur des Hochschulstifters und das sogenannte Stift, jene weltberühmte Anstalt, aus welcher eine Reihe der ausgezeichnetsten Männer Würtembergs hervorgegangen ist. Das Tübinger Schloß, die „Veste Hochtübingen“, ist jetzt eine Burg der Wissenschaft und gehört auch in vielen baulichen Theilen zu den Zierden Tübingens. Was unsere Ueberschrift anbelangt, so ist Tübingen von alten und neuen Poeten als „Herd des Lichts“ oder „Licht der Schwaben“ gepriesen worden und trägt diese Bezeichnung mit Ehren.
Eine Probe mindestens tausendjährigen Weines. Bei der vielbesprochenen Weinprobe, der sich die Reichsboten im letzten Winter zu Nutz und Frommen unseres Vaterlandes unterzogen haben, fehlte in der stattlichen Reihe berühmter und minder berühmter Marken auch nicht der unbezahlbare „Rosenwein“ des Bremer Rathskellers. Diejenigen, welche diesen duftigen Trank, der vortrefflich als Taschentuchparfüm zu brauchen sein soll, aus Versehen gekostet haben, versichern, daß seine Säure sogar diejenige eines berühmten norddeutschen Gewächses übertrifft, von dem Einige versichern, daß sein Saft Löcher in die innere Fußbekleidung fresse, Andere hingegen, daß er vorhandene Löcher zusammenziehe. Neben dem Fläschchen des berühmten, ehrwürdigen Nasses lag auf jedem Tische des Probesaals ein zierlich gedrucktes Täfelchen mit einer Berechnung des Tropfenwerthes jenes Rosenweins. Da nämlich im Jahre 1624, als jenes Faß gefüllt wurde, das Stück zu acht Ohm 300 Thaler kostete, so würde heute nach der Zinseszinsenrechnung der Tropfen auf 1,932,366 Mark berechnet werden müssen. So ehrwürdig und unbezahlbar dieser Rosenwein nun auch sein mag, dennoch wird er tief in den Schatten gedrängt durch ein Fläschchen Wein, welches man kürzlich zu Aliscamps bei Arles in Frankreich aus der Erde gegraben hat, das weit über tausend Jahre, ja wahrscheinlich über fünfzehnhundert Jahre zählt und dessen Inhalt gleichwohl sich trinkbarer erwies, als der Stolz Bremens. Dieses Weinfläschchen entstammt nämlich einem römischen Grabe, und ist nach alter Sitte dem Todten zur Wegzehrung in's unbekannte Land mitgegeben worden, wie man noch hier und da die Todten mit Lebensmitteln und Kleingeld versieht, einer Anschauung gemäß, die bis in die allerältesten Zeiten zurückreicht, sofern man schon in vorhistorischen Gräbern neben den menschlichen Skeleten die Reste von Bärenschinken und ähnlichen Delicatessen findet. Die Ampullen oder Weinfläschchen, die man in römischen Gräbern sehr häufig gefunden hat, haben ein gewisses Aufsehen dadurch erregt, daß man ihren eingetrockneten, häufig rothbraunen Inhalt früher für „Märtyrerblut“ gehalten und hier und da wohl auch als Reliquie verehrt hat.
In dem in Rede stehenden Fläschchen, welches ein Herr Augier angekauft und der Gläsersammlung des Museum Borelly verehrt hat, war das vermeintliche „Märtyrerblut“ nun unverändert erhalten, weil man nämlich die Vorsicht gebraucht hatte, es am Halse zuzuschmelzen, ohne Zweifel in der Voraussetzung, daß die Geister sich auch an geistigen Getränken in zugeschmolzenen Flaschen stärken können, wenn sie nur wollen. Da sie aber die Gabe, und wie wir sogleich sehen werden, mit gutem Grunde, verschmäht haben, ist das neunzehnte Jahrhundert in die Lage gekommen, auch einmal fünfzehnhundertjährigen Wein probiren und analysiren zu können, was bis jetzt noch nicht dagewesen ist. Daß übrigens der Käufer nicht mit einem Kunstweine neueren Datums angeführt worden sein kann, bewies hinlänglich der Zustand des Glases, welches sich durch die lange Einwirkung der Feuchtigkeit von innen wie von außen stark „entglast“, erwies, sodaß es sich nach der Entleerung nicht von Neuem zuschmelzen ließ, sondern in der Löthrohrflamme zerblätterte, wie es eben nur sehr altes Glas thut. Der berühmte französische Chemiker Berthelot hat diesen uralten Wein analysirt und der Pariser Akademie im Mai dieses Jahres darüber Bericht erstattet. Die gelbliche Flüssigkeit enthielt die gewöhnlichen Bestandtheile eines schwachen Weines, zeigte eine geringe Blume und enthielt deutliche Spuren von Essig, woraus unter den obwaltenden Verhältnissen geschlossen werden muß, daß man den Manen nicht gerade etwas Excellentes anzubieten für nöthig befunden hat. Trotzalledem ist die Hinterlassenschaft einzig in ihrer Art, und Liebhaber von Rechnungs-Aufgaben mögen nach dem Exempel des Rosenweins berechnen, wie hoch der Tropfen dieses, wenn auch angesäuerten Märthyrerbluts unter der Voraussetzung, daß es wenigstens zwölfhundert Jahre alt ist, zu rechnen wäre.
Die Todtenliste der Gartenlaube ist wieder um einen Namen reicher geworden, der vorzüglich den älteren Lesern unseres Blattes lieb und werth ist. Am 11. August dieses Jahres starb auf seiner Villa zu Kötzschenbroda bei Dresden Karl August Reinhardt im Alter von neunundfünfzig Jahren. Als Landschaftsmaler und Caricaturenzeichner, als Romanschriftsteller und Humorist unausgesetzt thätig, gehörte er zu jenen Künstlernaturen, welche, obgleich mit reicher Erfindungsgabe und einem leichtflüssigen Productionstalente ausgestattet, von der Noth des Lebens gedrängt, nicht immer jene Fülle und Tiefe der Kraft bewähren, die durch rastlose innerliche Arbeit bildet und hebt, was die Natur freiwillig gewährt hat. Nichtsdestoweniger hat Reinhardt durch die Frische seines Witzes, die Schärfe seiner Satire vielfach belebend und klärend gewirkt und auch auf dem Gebiete schöngeistigen Schaffens und objectiver Schilderung aus Zeit und Leben manches Achtungswerthe geleistet, wovon unter anderem die fünfziger Jahrgänge unseres Blattes Zeugniß ablegen. Ein ehrendes Andenken in ihm bei uns und gewiß auch bei Vielen unter unseren Lesern gesichert, besonders aber werden alle Freunde des einst so viel verbreiteten „Dorfbarbiers“ das Andenken an den unverwüstlichen Humor Reinhardt's mit einem dankbaren Lächeln freundlicher Erinnerung ehren.
Zur gefälligen Notiznahme. Da wir mehr und mehr, namentlich aber nach Eingang des nicht zum Abdruck gelangten Artikels „Die Schlacht von Plewna“, zu der Ueberzeugung gekommen sind, daß unsere Herren Kriegs-Correspondenten im Hauptquartier nicht in der Lage sind, mit derjenigen rücksichtslosen Objectivität und Ueberzeugungstreue zu schreiben, welche im Interesse der Wahrheit und des politischen Selbstgefühls gefordert werden muß, so haben wir dieselben beauftragt, nur in solchen günstigen Fällen uns zu berichten, wo freie und ungezwungene Bewegung der Schilderung und des Urtheils ausnahmsweise möglich ist. Wenn also unsere Kriegsartikel von jetzt ab seltener erscheinen, aber – wir hoffen es zuversichtlich – um so authentischer und sachlicher ausfallen werden, so glauben wir damit nur dem Interesse unserer Leser zu dienen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_610.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)