Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Ueber das Bier wird manches ungerechte Urtheil gefällt; ehrliche Brauer werden oft mit Unrecht verdächtigt. Wenn aber diesen das Bewußtsein ihrer Ehrenhaftigkeit kein hinlänglicher Trost ist, so mögen sie sich bei den zahlreichen Schmierern und Chemikern unter ihren Collegen bedanken, und dann bleibt noch immer ein Theil von Schuld, den sie sich gefälligst selbst gutschreiben mögen: denn gesetzt, die Mehrzahl unter den Brauern hätte ein reines Gewissen, warum sieht denn diese Mehrzahl dem unverantwortlichen Treiben der Fälscher, das doch offener vor ihnen liegt, als vor dem Laien, mit geduldigem Schweigen zu?
Doch zur Vermeidung aller Mißverständnisse will ich zunächst erklären, was ich im Sinne der Trinker unter Bierschmiererei und Bierverfälschung verstehe. Obwohl ich nämlich jeden wahren Fortschritt mit Begeisterung begrüße, so muß ich doch gestehen, daß ich in der Bierfrage auf dem alten oder, wie die Bier-Chemiker sagen würden, „veralteten und unwirthschaftlichen Standpunkt“ stehen geblieben bin, als reines Bier nur dasjenige Getränk anzuerkennen, das ausschließlich aus Hopfen, Malz, Wasser und Hefe gebraut ist, nicht das mit Malzsurrogaten (Kartoffelzucker, Biercouleur, Glycerin, Stärkesyrup etc.) geschmierte oder gar durch Hopfensurrogate (Quassia, Kokelskörner, Colchicum [Herbstzeitlose] und dergleichen) verfälschte Getränk. Wer der Meinung ist, „daß es absurd ist zu verlangen, daß außer Hopfen, Malz und Wasser keine anderen Stoffe in den Brauereien benutzt werden sollten“, der hat natürlich auch keinen Grund etwas gegen die Bierverfälschung einzuwenden. Ich glaube aber, daß noch sehr Viele ebenso absurd sein werden, wie ich, auf reines Malz- und Hopfenbier zu bestehen, wenigstens so lange die Brauer die Anwendung von Surrogaten noch immer mit Entrüstung leugnen. Das letztere thun sie natürlich nur, um „dem lächerlichen Vorurtheil der Trinker gegen die Surrogate keine Nahrung zu geben“. Sie sagen ferner: „Wenn das Bier gut schmeckt und gut bekommt, so ist es unserer Ansicht nach vollständig gleichgültig, aus welchen Substanzen es bereitet worden ist.“ Ja, „wenn“!
Der Mann, der das „wenn“ und das „aber“ erdacht, Hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht.
Die Ehrenmänner, welche aus werthloseren und schlimmeren Dingen als Häckerling täglich Gold machen, wissen recht wohl, daß ihre Flüssigkeiten nicht gut bekommen können, wenigstens den Trinkern nicht. Es giebt Brauer, die selbst grundsätzlich nie einen Tropfen ihres eigenen Fabrikats trinken, und deren Absatzgebiet erst jenseits eines Rayons von zehn Meilen beginnt. Vielleicht antworten solche Leute auch auf die Gewissensfrage, ob ihr Bier gut bekommt, ähnlich wie der bekannte Zahnkettenfabrikant Goldberger, der auf die Frage eines Freundes, ob seine Wunderketten wirklich hülfen, schmunzelnd erwidert haben soll: „Mir haben sie geholfen.“ Wenn nun aber fernerhin alles Ernstes beklagt wird, „daß es zur Zeit leider noch kein Surrogat für Hopfen giebt“, so bin ich in der Lage, dem also Klagenden diesen Kummer durch die feste Versicherung von der Seele zu nehmen, daß wir bereits die glückliche Auffindung und massenhafte Verwendung einer ganzen Anzahl der lieblichsten Hopfensurrogate zu beklagen haben. Doch davon später! Ich werde die allerdings dringenden Verdachtsgründe, welche mir bezüglich der Hopfensurrogate zu Gesicht gekommen sind, hernach ohne alle Theilnahme besprechen.
Unter dem 5. Mai 1876 wird von sehr gut unterrichteter Seite, nämlich von der Redaction der „Allgemeinen Zeitschrift für Bierbrauerei und Malzfabrikation“ in Wien, die Anwendung von Kartoffelzucker, Kartoffelsyrup, Zuckercouleur, Glycerin etc. auf das Eifrigste vertheidigt und empfohlen. Auf Brauschulen wird das Brauverfahren mit solchen Surrogaten offen gelehrt und die Anwendung derselben hat eine ganz gewaltige Ausdehnung gewonnen. Glaubt man nun plötzlich das mißtrauisch gewordene Publicum mit Erklärungen, offenen Briefen, Entgegnungen etc. dupiren zu können? Da liegt z. B. ein solcher Abwehrartikel vor mir, der gerade den entgegengesetzten Eindruck auf mich gemacht hat, als er auf den Leser zu machen bestimmt ist.
Der Artikel steht in Nr. 145 des sechszehnten Jahrgangs der „Allgemeinen Hopfenzeitung“, und es wird in demselben von dem Präsidium des deutschen Brauerbundes in die Welt hinausposaunt, daß der Verein in seiner letzten Versammlung (in Frankfurt am 31. Juli vorigen Jahres) in der bündigsten Weise erklärt habe, man müsse „jede Beimischung von anderen Stoffen, als Hopfen, Hefe, Wasser, Malz und stärkemehlhaltigen Substanzen, als theilweisen Ersatz für letzteres, als unstatthaft, ungesetzlich und verwerflich verachten“. Wie ich aus Gründen des guten Geschmacks die Verantwortung für den Stil dieses Zitats ablehnen muß, so möchte ich noch weniger die Gewähr für den Inhalt derselben auf mich nehmen. Die Anwendung von Glycerin zur Bierbereitung wird in derselben Erklärung „als durchaus strafbar und verwerflich“ bezeichnet. Das läßt sich hören, denkt der Leser. Ja, und diesen tugendhaften Beschluß haben die Herren von der Gesellschaft sogar unterschrieben – also, nun sind wir ja sicher.
Leider hat die Sache einen ganz bedenklichen Haken, und das läßt die Erklärung in einem sehr verdächtigem Lichte erscheinen. Dieselbe wurde nämlich, wahrscheinlich nur in der höchst collegialischen Stimmung, die ja aus einer Brauerversammlung nur zu erklärlich ist, auch von Vertretern derjenigen Preßorgane unterschrieben, welche der Schmiererei mit Kartoffelzucker, Glycerin etc. noch kurz vorher das Wort geredet hatten. In der vorhin angezogenen Erklärung wird ferner das lästige „Zeitungsgeschrei“, das sich auf Prospecte chemischer Fabriken stützt, mit folgenden Worten zurückgewiesen: „Daß jene Berliner Firma (Rödel und Vetter ist gemeint) angeblich ihre Malzsurrogate anpreist, beweist wahrlich noch nicht, daß sie Abnehmer findet; umgekehrt dürfte aus den Anpreisungen zu schließen sein, daß ihr der Absatz ihrer Artikel schwer fällt.“ Man lese diese Stelle mit Andacht, denn jedes Wort derselben ist reines Gold; man beachte namentlich auch das „angeblich“, denn das ist überaus bezeichnend. Auf mich wirkt sie, wie der bekannte Gerbstoff des Tannins auf das Bier wirkt, nämlich klärend. Zunächst ist ja erwiesen, daß das verehrliche Präsidium des deutschen Brauerbundes, welches sich so äußern kann, seine gerechte Sache in gutem Glauben verfochten hat. Eine Berliner Firma hat „angeblich“ Malzsurrogate angepriesen. Wer so schreibt, dem ist offenbar keiner der Prospecte zu Gesicht gekommen, die von zahlreichen chemischen Fabriken hundertweise in die Welt gesandt wurden, offenbar keins von den tausenden von Inseraten, welche in Fachjournalen und politischen Zeitungen die bedenklichsten Mittel anpreisen.
Und doch kündigen in derselben Zeitungsnummer, auf deren erster Seite die eben besprochene Erklärung steht, in dem Organ des badischen Brauerbundes selbst, mehrere chemische Fabriken ihre Malzsurrogate und betrügerische Rezepte an. Das massenhafte Inseriren soll ferner ein Beweis für die Schwierigkeiten sein, welche sich dem Absatze jener zahlreichen Fabriken chemischer Brausurrogate entgegenstellen. Das nenne ich überzeugend. Man braucht gar nicht Geschäftsmann zu sein, um zu wissen, daß nur ein sehr rentables Geschäft die so kostbaren Reclamen zu tragen im Stande ist, und daß somit der angeführte Umstand das Gegentheil beweist. Der Verfasser dieser kostbaren Erklärung muß auf Leser gerechnet haben, deren Urtheilskraft durch anhaltenden Genuß echter „Dividendenjauche“, wie der Volkswitz das Erzeugniß der chemischen Bierfabriken benannt hat, bereits stark mitgenommen worden ist.
Schon die Prospecte der Fabriken von Malzsurrogaten sind lehrreich, sehr lehrreich. Viele derselben tragen an der Stirn – und darin liegt wahrlich eine bittere Ironie, eine ganze Satire auf unsere Zustände – ein halbes Dutzend Preismedaillen von Weltausstellungen. Darunter werden dann folgende Artikel ausgeboten: Trauben- oder Brauzucker (d. h. Kartoffelzucker aus gesunden und faulen Erdäpfeln gewonnen), von dem sechszig Kilo ein Quantum von hundertfünfzig Kilo Malz ersetzen, von dem zwanzig Pfund gleich einem Zentner Gerstenmalz sind und welches daneben das Bier „vollmundiger, süffiger, süßer, haltbarer“ macht; ferner die „stark und blank machende“ Biercouleur, die Bierbrillantine als „vorzüglichstes Mittel, jungen Bieren in einigen Tagen einen außergewöhnlichen Glanz zu verleihen,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_600.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)