Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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sich stolz rühmt, seinen todten Dichtern Denkmäler zu setzen, wohl nicht zehn Familien, die sich veranlaßt gefühlt hätten, Lorm’s Gedichte in der Buchhandlung zu kaufen.
Und Deutschland? Obgleich Gutzkow, Bodenstedt und Andere Kritiken und Abhandlungen über Lorm’s Poesien veröffentlicht haben, hat doch der geringe Absatz derselben dem Verleger die Luft benommen, ein neues Bändchen der Lorm’schen Gedichte erscheinen zu lassen.
Nicht anders ergeht es seinen Prosawerken. Was hat es genützt, daß das „Magazin für die Literatur des Auslandes“ die „Geflügelten Stunden“ in den Rang einer „Production Lessing’s“ erhob, daß Eduard von Hartmann den „Naturgenuß“ eine „Bereicherung und Ergänzung der Schopenhauer’schen Aesthetik“ genannt?! – Indeß glaube man nicht, daß es Lorm dem Philosophen, daß es Landesmann, dem in Einsamkeit fernab von der großen Welt lebenden Kranken, um Zwecke der Eitelkeit, des Ehrgeizes zu thun sei! Er möchte nur mit dem Bewußtsein sterben können, daß sein Weib und seine Kinder an seinen Werken ein Erbgut haben werden. Wenn der verdiente Absatz sich nicht endlich findet, so wird „die Nation der Denker und Dichter“ an Lorm eines der traurigsten Beispiele ihrer literarischen Apathie aufzuweisen haben.
Die liebende Sorge um die Seinen charakterisirt überhaupt Lorm’s Optimismus in seinem Familienleben: seine Gattin und seine drei Kinder, alle blühend und gesund an Leib und Seele, sind des leidenden Vaters Glück und Freude; mit unbegrenzter Hingebung hängen sie an ihm, erleichtern sie ihm seinen Zustand durch tausend kleine, liebe Aufmerksamkeiten – rastlos thätig im Wettersturme des Lebens stehend und um den Ertrag seines geistigen Daseins ringend, erwirbt er mit seiner Feder den Unterhalt für seine Familie.
Lorm selbst, sich bescheidend im Denken wie im Sein, ist von wunderbarer Anspruchslosigkeit: ein Frühlingshauch, der Duft einer Blume, der Schimmer eines grünen Blattes füllt seine Seele, „als hätt’ sie nie entbehrt“.
Alljährlich bringt er einen Sommermonat hoch oben auf dem Borsberge bei Pillnitz zu – in seinem „Natur-Schriftstall“, wie er die Arbeitsstätte seiner schriftstellerischen Thätigkeit nennt; hier umweht ihn die frische Luft der sächsischen Schweiz; hier bilden sich in geheimer innerlicher Denkarbeit neue Schöpfungen seiner Muse; hier reifen seine gedankentiefen Schriften zu fester Gestalt aus, die er dann rasch und in einem Zuge in classisch-vollendeter Formenschönheit niederschreibt.
Die Abgeschlossenheit Lorm’s von der Außenwelt hat eine um so intensivere, ununterbrochene Geistesthätigkeit zur Folge, und wie Heine von sich sagen konnte, er trage in seinem Kopfe ein zwitscherndes Nest von confiscirlichen Büchern, so birgt auch Lorm’s Stirn einen reichen Schatz inhaltsschwerer ungeschriebener und ungedruckter Schriften, denen es nur an einem Verleger gebricht, um das Licht der Welt zu erblicken.
Diese unausgesetzt thätige Geistesarbeit Lorm’s, welche einen unglaublichen Vorrath an originelle Gedanken und geistvollen Aphorismen in seinem Gedächtnisse aufspeichert, macht den Verkehr mit ihm, so umständlich er auch ist, dennoch höchst reizvoll und anregend – welche Fülle blendenden Witzes, weittragender Ideen und geistvoller Kritik bieten auch nur wenige Stunden des Zusammenseins mit diesem so eigenartig-interessanten Manne! Für Alles weiß Lorm Anekdoten, Beispiele und Wortspiele, die er zwar immer irgendwo gelesen oder gehört haben will, die aber stets auf seinem eigenen Boden gewachsen sind.
Geistvoll und poetisch wie Alles, was Lorm spricht, ist auch die Art liebenswürdiger Galanterie, mit der er, „das Fragment eines Menschen“, die Herzen der Damen sich zu gewinnen weiß. Vom Borsberge herab nach Pillnitz führen zwei Wege: ein kürzerer, dessen Steilheit ihn für den fast erblindeten Dichter ungangbar macht, während der längere, sanfter absteigende seine gewohnte Straße ist. Als nun einmal die Kürze der Zeit Lorm nöthigte, mit einer befreundeten Familie den steilen Pfad herabzugehen und derselbe ihm aus irgend welchen Gründen weniger beschwerlich vorkam, erzählte er der vor ihm herschreitenden Dame Folgendes: Er habe ein Märchen gelesen von einem mühbeladenen Erdenpilger, dessen Elend die Gottheit endlich gerührt hätte. Diese habe ihm einen Engel herabgesendet, der nun vor ihm herschreite und ihm die Pfade ebne, sodaß er die Qual seines Weges gar nicht mehr spüre. – Das ist echt Lorm’sche Galanterie. – Doch genug davon!
Diese Zeilen, dem ergreifenden menschlich-schönen Bilde des deutschen Dichters, Denkers und Dulders Hieronymus Lorm gewidmet, werden, wie in alle Länder der brausenden Welt, so auch in das stille Arbeitszimmer des weltabgeschiedenen Dichters dringen; eine liebe Hand wird ihm dann das treue Abbild seiner selbst in der altgewohnten Zeichensprache übermitteln und ihm dadurch die Kunde, die frohe Botschaft bringen, daß es draußen in der großen Welt doch Derer noch genug giebt, die seiner in Verehrung und Liebe gedenken.
Es liegt in den Lebensäußerungen der höherorganisirten Thiere eine solche Fülle von thatsächlichen Beweisen für ein selbstbewußtes, überlegtes Handeln, daß wir bei klarem Blick und ehrlichem Eingeständniß hier die Abspiegelung der menschlichen Geistesthätigkeit im Kleinen anerkennen müssen. Hier ist kein Räderwerk, welches sich um die Triebfeder eines für die Maschine denkenden Lenkers dreht; hier ist kein Puppenspiel, wo im Hintergrunde der Kastenmann die Figuren an unsichtbaren Fäden hält und bewegt. Die Freiheit des Willens und das Vermögen der Selbstbestimmung ist im Thiere dasselbe, wie im Menschen, nur sind diese Gaben enger begrenzt und eingeschränkt durch die Unvollkommenheit des Organismus, durch den Mangel des Haupt-Offenbarungs- und Bildungsfactors, der Sprache. Deshalb gehört allerdings Uebung und scharfe Beobachtung dazu, und das Seelenleben der Thiere in seinem tieferen Wesen zu verstehen und die Zeichen seines Daseins und Waltens in den feinsten Darstellungen wahrzunehmen.
Sprechende Beweise für das ausgebildete Seelenleben der Thiere stellen sich vorzüglich in den Kämpfen derselben dar. Wir beginnen mit dem Kampf um den Besitz des Lebensgefährten zum Zweck der Fortpflanzung und des Familienlebens. Welch eine Verschiedenheit des Werbens und Zusammenlebens giebt sich in diesem Kampfe kund! Wie läßt hier die Natur Mannigfaltigkeit zu, wie giebt sie Spielraum zur Entfaltung der charakteristischen Eigenartigkeit!
Unter der Gewalt des Fortpflanzungstriebes treten plötzlich die Züge des wilden Wesens der Raubthiere und Raubvögel zurück, und es beginnt das Geberdenspiel der Minne. Wesen, Haltung, Bewegung, Gang, Lauf und Sprung oder Flug sind gleichsam geadelt. Stolz und Anmuth zugleich, Feuer und sanfte Milde, Ungestüm im Begehren neben Unterwürfigkeit vor dem Urheber der fesselnden Zauberwirkungen, Verschmelzung und Steigerung der Gaben und Kräfte, mit denen die Natur das Thier ausgestattet hat, Affect im verklärenden und verschönernden Lichte, welches der beherrschende Verjüngungstrieb ausströmt – ein solches Bild wunderbarer Umwandlung stellt sich dem Auge dar. Und diese Bändigung unter eine Macht, dieser Sieg einer gleichsam zweiten Natur im Thiere, diese Bemühungen, zu gefallen und diese Huldigungen – sind sie nicht Zeugen eines unleugbaren Kampflebens im Innern? Selbst die Stimme wird dem mächtigsten aller Triebe unterthan. Vom Schrei des Brunfthirsches hallen Waldesschlucht und Felsthal wieder, und gilt derselbe auch unzähligemal in bebender Eifersucht dem tödtlich gehaßten Nebenbuhler, wir erkennen darin nicht minder den Ausbruch einer treibenden Empfindung überhaupt, die sich in Jauchzen, klinge es auch noch so rauh und das musikalische Ohr beleidigend, Luft
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_588.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2019)