Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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No. 35. | 1877. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Kopfschüttelnd ging der Alte davon. Nachdenklich blieb Max stehen. Die Nachricht des Rothbärtigen, daß ein Waffenstillstand verhandelt und eine französische Gesandtschaft in Gent erwartet werde, beunruhigte ihn. Wohl wußte er, daß die französische Partei in Gent mit den Kanzlern an der Spitze schon einmal nahe daran gewesen war, den Frieden mit Ludwig dem Elften und die Verlobung Maria's mit dem Dauphin durchzusetzen, aber auch, daß dies damals den Kanzlern in Gent den Kopf gekostet hatte. Inzwischen hatten freilich die französischen Heere reißende Fortschritte gemacht; sie hatten Burgund erobert, waren in Hennegau, ja schon in Flandern eingedrungen, sodaß das Genter Volk eingeschüchtert sein konnte. Und wie wenig auf Maria's Standhaftigkeit zu rechnen sei, bewiesen jene früheren Verhandlungen, die doch nicht ohne ihre, ob auch erzwungene Einwilligung hatten stattfinden können. „Wenn sie jetzt der Noth weichen, dem veränderten Volkswillen sich fügen müßte!“ sagte er sich, bei dem bloßen Gedanken erbebend. Aber doch sollte noch der Herzog von Cleve der Leiter des Volkes sein, der natürliche Feind der Franzosen. Dieser kleine Reichsfürst, der wegen einiger Besitzungen in Brabant am benachbarten burgundischen Hofe seinen Aufenthalt genommen, hatte bei den zerfahrenen Zuständen in Abwesenheit des Staatenheeres schnell mit Hülfe des Pöbels eine Art Herrschaft in Gent gewonnen und war der französischen Partei bisher überlegen. Allein wenn er selber Maria für seinen eigenen Sohn begehren sollte? Der Ruf sagte von ihm, er verstecke hinter äußerer Biederkeit eine ungewöhnliche Schlauheit und rücksichtslose Energie, sein Sohn aber, Prinz Adolf von Cleve, spiele zwar bei Hofe eine Art lächerliche Figur, sei jedoch ein tapferer junger Haudegen und beim Volke wohlgelitten.
„Es wird harte Kämpfe in Gent geben,“ seufzte Maximilian, „und ich nicht dort! Die arme, arme Maria! Schon über einen Monat, daß sie mich flehentlich gerufen. O, daß mein Vater meinen Bitten nachgegeben und mir das kleinste Banner, nur des Ansehens halber, bewilligt hätte! Aber ach, diese Reichsstände! Wenn sie schon für die nothdürftigste Sicherung der Ostgrenze mit Geld und Heeresgefolge kargen, was ist dann von ihnen für die Erwerbung neuer Länder zu hoffen, und wären es die blühendsten! Eine Gesandtschaft, eine glänzende Gesandtschaft, das ist das Einzige, womit man meiner Werbung bei den prunksüchtigen Brabantern und Flanderern Nachdruck verschaffen will. Und so muß ich seit einem Monat unthätig hier hinter der Grenze harren, mit strengstem Verbot, das Geringste voreilig zu unternehmen, wie ein Popanz mit glänzenden Flittern und Titeln – das Sinnbild der ohnmächtigen Majestät des Reiches! Himmel, gieb mir ein Tausendtheil der Ritter, die mir einst folgen werden, ja, gieb mir ein halbes Tausend bewaffnete Knechte, und bei meinem Schutzpatron, das Verbot des Kaisers und der Gehorsam des Sohnes werden mir leichter wiegen, als Ehre und Ritterpflicht!“
Ingrimmig schwang er sich auf sein Pferd, das mit den übrigen von den Reitknechten bereit gehalten wurde, und kaum daß die Gefährten von den Beutestücken zurückkamen, so winkte er dem Rothbärtigen; dieser bestieg seinen Klepper, und ohne den Anderen Zeit zu einem Worte zu lassen, sprengte der feurige Jüngling, geführt von seinem Verderber, bergabwärts der burgundischen Grenze zu.
So mochten sie schweigend eine Stunde geritten sein, durch ödes, mageres Weideland, das hier und da von Zwerggehölz unterbrochen wurde, als sich in kurzer Entfernung vor ihnen ein staffelförmig ansteigender Hochwald erhob, der im Zickzack eine schluchtartige Vertiefung umfaßte.
„In jener Schlucht liegen die Sauen, mon Seigneur!“ sagte der Rothbärtige, die Zügel anhaltend.
„Und wo ist die Reichsgrenze?“ fragte Maximilian.
„Hier vor uns ist sie, zwischen den Erlen der Bach, der sich links der Botrange zuwendet. Rechts läuft die Grenze mit dem Walde fast bis gegen Eupen, und wann Ihr heimreitet, Herr, braucht Ihr nur dem Saume zu folgen, um die Heerstraße zu gewinnen.“
„Und wie gedenkt Ihr uns aufzustellen?“
„Gerade hinein in die Schlucht müssen wir. Die Thiere liegen im engen Kessel, den wir absperren. Sie können uns nicht entkommen; seht nur die frischen Fährten, Herr!“
„Also vorwärts!“ rief Maximilian, nachdem er sich mit einem Blicke überzeugt hatte, daß auch Gefolge und Troß in der Nähe waren, spornte sein Pferd, erreichte den verhängnißvollen Bach und setzte mit einem Sprunge hinüber.
„Jetzt habe ich ihn,“ jubelte still für sich der Rothbärtige hinter ihm drein. „Im Kessel liegen die Cleveschen. Nur durch ein Wunder kann er entrinnen. Ma foi, heute bin ich ein Königsmacher. König Ludwig wird den kleinen Clever wie eine
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_579.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)