Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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„Am Wachterl“. (Mit Abbildung S. 574 und 575.) Die Straße von Berchtesgaden über Ramsau nach Reichenhall führt hinter Ramsau über einen Sattel, auf welchem das Wirthshaus steht, das unsere Abbildung zeigt. Dieser bis zu einer Höhe von 2805 Fuß über dem Meer aufsteigende Paß verbindet die beiden hohen Nachbarn, den Lattenberg und den Reiter-Steinberg, deren imponirende Felskolosse weit hinauf zur rechten Zeit mit frischem duftigem Wald geschmückt sind. Weil in der Nähe des Sattels der Schwarzbach entspringt, der eiligst die Höhen hinunter in die Saalach stürzt, und über den Sattel mit hydraulischer Kraft die Soole vom Berchtesgadener Salzberg geleitet wird, um von da in die Reichenhaller Sudhäuser zu laufen, so ist wohl für diese Soolleitungen eine Tafel aufgestellt mit der Aufschrift: „Schwarzbach-Wacht“. Das Volk macht in seiner Weise kurzen Proceß, indem es sich an das letzte Wort der Tafel hält und das Wirthshaus schlechtweg „am Wachterl“ nennt. –
Ein solches Wirthshaus auf der Straßenhöhe ist ein Platz, an welchem Niemand ohne Anhalt vorbeikommt und wo der Herrgott Heerschau halten könnte über die unterschiedlichsten Sorten seiner Menschenkinder. „Denn,“ um mit Tell zu reden:
„Hier geht
Der sorgenvolle Kaufmann und der leicht
Geschürzte Pilger, – der andächt’ge Mönch,
Der düstre Räuber und der heitre Spielmann,
Der Säumer mit dem schwerbeladnen Roß,
Der ferne herkommt von der Menschen Ländern,
Denn jede Straße führt an’s End’ der Welt.
Sie ziehen Alle ihres Weges fort“ –
Doch hier bleibt Jeder eine Weile hängen.
Letztern Vers konnte Tell nicht anfügen, weil er nur in einer Hohlgasse, nicht vor einem Wirthshause stand, als er jene Worte sprach. Unser Bild zeigt uns allerdings etwas andere Gesellschaft, als die düster-gefärbte der Dichtung. Kann auch ein so heiteres, herrliches Land, wie es ab und auf vom Sattel das Auge begrüßt, viel Anderes da herauf senden, als was unser Künstler, der Münchener Professor L. Braun in einer guten Stunde am Wachterl angetroffen und verewigt hat? Wir haben darin keine Composition, wir haben die Abspiegelung der Wirklichkeit vor uns, wie sie jeder „Saison“-Tag auf dem reizenden Plätzchen bietet, denn wer von Berchtesgaden nach Reichenhall geht, kommt nicht aus einem Alpenparadiese heraus, in welchem Ramsau aller Künstler liebster Hockwinkel ist.
Von den Abstechern, die von der Straße ablocken, sind die Wimmbach-Klamm und der Hintersee, der seine großartige Bildergalerie 2510 Fuß über dem Meere aufgestellt hat, die besuchtesten. Von da an, wo man die Straße wieder betritt, steigt sie sanft zum Sattel empor; aber da heißt es: das Umsehen nicht vergessen! Wie schön vor uns die Gegend uns anlacht, so mächtig schaut hinter uns der Watzmann herüber und erwartet die ihm gebührende Beachtung.
Nordwärts geht es steiler vom Sattel zur Tiefe hinunter; auch bekommt dort der Wanderer tiefes Waldesdunkel, eine kühne Brücke und einen rauschenden Wasserfall zur Beigabe, bis er bei Jettenberg ankommt und, nachdem er im Forsthaus sich kräftig gelabt, von da in ganz anders gearteter Landschaft dem nur noch zwei Stunden entfernten Reichenhall zustrebt.
Wer aber ein forschendes Auge und sinniges Gemüth besitzt, der hält es stundenlang am Wachterl aus und blättert in dem Bilderbuch, das der Reisenden-Strom da vor ihm Blatt um Blatt aufschlägt. Denn Post und Wagen, Reitpferd und Schustersrappen sind unaufhörlich in Bewegung, um vom Baume der Menschheit immer frische Blätter und Blüthen da vorbei zu treiben, und wer sich auf der Leute Zungen und Sitten versteht, kann da manchen Schatz aus dem Volksherzen heben, den er daheim niemals gefunden hätte. Gott gesegne es Allen am Wachterl!
Eine Hôtel-Unsitte! „Ueberziehen Sie mir doch die Steppdecke, wie es sich gehört, mit einem ordentlichen Bettüberzuge, statt nur ein Laken darum zu schlagen, welches bei der geringsten Bewegung sich herunterschiebt und veranlaßt, daß man die bloße Decke auf dem Körper hat, nachdem sich jede Nacht damit ein Anderer in gleicher Weise zugedeckt hat!“
„Wir haben keine Bettüberzüge,“ erwidert das von mir angeredete Zimmermädchen, „auch wird so Etwas nie verlangt.“
„Nun, so verlange ich dies wenigstens, denn es ist eine Ferkelei sich so zudecken zu sollen! Wenn Sie keine weißen Bezüge für Fremdenbetten haben, so ist vielleicht ein gestreifter grober Bezug von Gesindebetten da! Nur rein und sauber will ich es haben! Für die bloße Umlegung eines Lakens danke ich und verlange für mein Geld eine vollkommene Lagerstätte!“
Diese Unterhaltungen haben sich auf meinen vielen Reisen und in den besten und größten Hôtels (in Deutschland namentlich am Rhein, Westfalen, Süddeutschland etc.) zwischen mir und den Hôteldomestiken so oft wiederholt, und trotzdem ist seit den vielen inzwischen vergangenen Jahren noch nicht die geringste Abhülfe dafür geschafft, daß ich doch endlich an den bessern Geschmack und den Sinn für Reinlichkeit und Sauberkeit aller Reisenden appelliren muß, um zu ermöglichen, daß man auch einmal gegen diese Unsitte energisch Front mache!
Nachdem man auf dem besten Wege ist, der Trinkgelderbettelei der Hôtelbediensteten ein Ende zu schaffen, wäre es wirklich an der Zeit, auch für die Beseitigung der oben gerügten Unsitte mit aller Kraft einzutreten. Viele Hôtelwirthe, die durch guten und oft kaum verdienten Zuspruch der Fremden ein hübsches Vermögen erworben haben, glaubten den Ansprüchen der Zeit zu genügen, wenn sie ihre bescheidneren Gasthäuser zu den elegantesten Hôtels mit herrlichen Speisesälen, Marmortreppen etc. umbauen ließen, und während man durch derlei äußeren Glanz die Gäste in größerer Zahl heranzulocken sich bestrebte, waren die letzteren in den meisten Fällen einfältig genug, sich davon blenden zu lassen und nebenher die alten Unsitten und Gebräuche mit in den Kauf zu nehmen.
Ich habe in den besuchtesten und elegantesten Hôtels, neben den geschmackvollsten Conversations- und Speisesälen, nicht nur Zimmer mit rauchenden Oefen, gewisse Orte unsauber, vor allen Dingen aber gefunden, daß man dem Fremden nicht einmal eine ordnungsmäßig überzogene Steppdecke oder für den Winter, anstatt des lächerlichen Plumeaus, ein anständiges gutes Deckbett geben konnte! Sollte man es glauben, daß hiergegen kaum Einer der vielen Reisenden seine Stimme erhoben hat, und daß meine vereinzelten Einwendungen nur staunende Mienen hervorgerufen haben?
Man denke sich einmal recht in die sehr unerquickliche Situation hinein, fast jede Nacht auf der Reise in einem andern fremden Bette schlafen zu müssen, in welchem vorher wer weiß welch gesunder oder kranker Mensch gelegen hat! Nun ist wenigstens Unterbett und Kopfkissen mit geschlossenem reinem Ueberzuge bedeckt, an Stelle eines ebensolchen Deckbettes oder einer Decke erhält man aber die oben beschriebene Decke mit dem umgelegten Laken! Verkennen ohnehin die meisten Gastwirthe oder Hôteliers schon den eigentlichen Zweck ihres Geschäfts, daß sie dem Reisenden den Aufenthalt angenehm machen und ihn die Entbehrung häuslicher Bequemlichkeit vergessen lassen sollen, so sollten sie doch wenigstens so viel guten Geschmack besitzen, daß sie ihren Gästen nicht zumuthen, unter inficirten wollenen Decken schlafen zu müssen.
Das Hôtelwohnen ist nur dann angenehm, wenn dem Fremden saubere Zimmer und Betten, gute Speisen und Getränke bei anständiger Bedienung und alle sonstigen Bequemlichkeiten in damit harmonirender Weise geboten werden, wenigstens ähnlich den soliden Verhältnissen, in denen sich ja doch wohl die Mehrzahl der Reisenden daheim in der eigenen Familie bewegt. Nicht prunkhafte Säle und reichhaltige „Menus“, nicht betreßte Portiers oder Marmortreppen – alles nur für die kleinste Zahl der vielen Touristen ein gewohnter Luxus – vermögen die Behaglichkeit bei den meisten Reisenden zu erzeugen und die gerügten Unsitten zu verdecken.
Vielleicht trägt gegenwärtiger kleiner Hinweis dazu bei, die Reisenden aufzumuntern, sich für ihr theures Geld in den Hôtels nicht Alles bieten zu lassen.
Allen liebenden Vätern zur Warnung. „Sehr geehrter Herr!“ schreibt ein betrübter Vater, „mein Junge sollte Landwirth werden; da er mir aber fortwährend die Ohren volljammerte, es wäre sein moralischer Tod, wenn er nicht studiren könne, so ließ ich ihn in Leipzig seit Michaelis 1876 studiren. Kürzlich führte mich eine Besuchsreise durch Leipzig. Ich gehe mit meinem Sohne spazieren und frage ihn, was das für ein Haus sei. Was antwortet der Schlingel? Er wisse es nicht, seine Studien ließen ihm keine Zeit, in den Straßen herumzulaufen, um sich jede Kneipe anzusehen. Ein Vorübergehender erklärte mir bereitwilligst, daß es die Universität sei. Tableau! Starr blicke ich meinen Jungen an. ‚So,‘ sagt er, ‚das ist die Universität? Von dieser Seite sieht sie so aus? Das wußte ich noch nicht. Ich bin immer von der andern Seite gekommen!‘ Was sagen Sie dazu? Er hat in den dreiviertel Jahren nicht ein einziges Colleg besucht. Natürlich nahm ich ihn sofort von Leipzig weg. Das Stückchen war mir doch zu stark. – Aber das Beste kommt noch. Gestern finde ich auf seinem Arbeitstisch ein Gedicht, in dem der Junge die ganze Geschichte erzählt und sich offenbar noch über mich lustig macht. Sind das die Resultate heutiger Bildung?“
Aufruf. Die Schleswig-Holstein'schen Herren Officiere, Aerzte und Militär-Beamten aus den Jahren 1848 bis 1851 werden ersucht, über ihren dermaligen Stand und Aufenthalt und ihre Laufbahn seit der Auflösung der Armee und Marine, am 31. März 1851, eine kurze Notiz an die Redaction der „Gartenlaube“ – Leipzig – portofrei einsenden zu wollen. Sehr dankbar würde man auch für Angaben über die verstorbenen Cameraden, deren letzte Stellung und Wohnstätte sein.
Der Herausgeber der Ranglisten pro 1848 bis 1851 beabsichtigt aus diesem Material eine Zusammenstellung als Brochüre am 24. März nächsten Jahres, dem Tage der Errichtung der Armee und Marine vor dreißig Jahren, erscheinen zu lassen.
Englische Proceßkosten. Ende Juli wurde eine Ausgabeübersicht des Tichborne-Processes veröffentlicht. Die ganzen Unkosten der Verwaltung und Ausgaben beliefen sich auf 60,074 Pfund Sterling, 19 Schillinge, 4 Pence. Von diesen betrugen die Sporteln der Advocaten 23,676 Pfund, 17 Schillinge; die der Zeugen, Agenten etc. 18,712 Pfund, 6 Schillinge, 1 Penny; die der Papierhändler und Drucker der Justiz 10,268 Pfund, 5 Schillinge, 11 Pence; die der Stenographen 3637 Pfund, 10 Schillinge, 4 Pence; und die der Jury 3780 Pfund. Das Pfund Sterling zu 20 Mark berechnet, beträgt die Summe nach unserem Gelde 1,201,499 Mark.
Eine Mutter von fünf Kindern, die Frau eines armen deutschen Lehrers, welcher bei einem sehr geringen Einkommen seine zahlreiche Familie kaum ernähren kann, bittet um ihrer Kinder willen um eine abgelegte Nähmaschine. Die Redaction der „Gartenlaube“ wird etwaige Anerbieten gern entgegennehmen.
Herrn d’Abrest in Sistowa. Ihr letzter Kriegsartikel: „Am Tage von Plewna“ traf nach Schluß der Nummer hier ein und kann erst in acht Tagen zur Aufnahme kommen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_578.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)