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Seite:Die Gartenlaube (1877) 552.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Aus einem deutschen Kleinstaat.[1]
Von Karl Volckhausen.
II.

Die Umgebung der Externsteine ist einer der schönsten Punkte des lippischen Waldes. Was die menschliche Hand dort gethan hat, um die Anmuth der Scenerie zu heben, ist nicht gerade viel, aber verdienstlich, anerkennenswerther noch, daß dasjenige, was die Natur aus eignen Mitteln schuf, mit mehr Respect behandelt worden ist als anderwärts. Die Axt des Holzhauers, deren Spuren der lippische Wald leider gar zu viele aufweist, ist hier doch ein wenig maßvoller gehandhabt worden. Gleich am Saume des Waldes, den man vom Städtchen Horn aus auf der nach Paderborn führenden Chaussee in fünfzehn bis zwanzig Minuten erreicht, blickt man zur Rechten in einen Hain mächtiger alter Eichen, der sich mählich hinabsenkt in eine Schlucht. Ein geheimnißvolles Halbdunkel und eine tiefe nur vom Kreischen des Hähers und dem Klopfen des Spechts unterbrochene Stille herrscht unter diesen Baumkronen. Vorüber dann an einer grünen Matte links und einem Wirthshause von wunderlicher Architectur rechts gelangt man an die größten der Felsen. Gleich riesigen Pförtnern stehen sie vor der Thalschlucht, welche von Höhen rechts und von Höhen links eingefaßt wird und welche den Durchblick gestattet auf die im Hintergrunde sich aufthürmenden, malerisch geschichteten Waldmassen. Was die Felsen selber betrifft, so erscheint es wie ein barocker Einfall der Mutter Natur, daß sie von den Gliedern der selbigen Unterwelt ein paar hinauswachsen ließ über ihre Cameraden um mit Baum und Busch und Haidekraut und Moos, den licht- und luftliebenden Kindern der Oberwelt, zu fraternisiren. Denn, wenn jene Steinblöcke in ihrer allernächsten Umgebung auch noch einige Genossen haben – im übrigen Walde tritt das felsige Knochengerüst selten anders als in Steinbrüchen zu Tage. Wer etwa von Paderborn oder Detmold her stundenlang den Wald durchwandert hat, ohne auf irgend Etwas den Externsteinen Gleichartiges zu stoßen, und nun sich plötzlich diesen grauen Riesen gegenübersieht, der schaut sie vielleicht ebenso verwundert an, wie der berauschte Student in des verflossenen und verstorbenen und hoffentlich nunmehr seligen preußischen Cultusministers Liede den Mond. Die Sohle des Thales, vor dem die Externsteine – der Bürger von Horn nennt sie schlechtweg die „Steine“ – Wacht halten, ist von einem kleinen Bache durchflossen. Ein Damm hält ihn auf, zwingt ihn so, einen kleinen See oder, wenn das bescheidener klingt, einen großen Teich zu bilden, und unmittelbar an den Felsen rauscht das überschüssige Wasser über das Wehr hinab. Eine Wanderung um diesen kleinen See auf den wohlgepflegten Pfaden, die Schatten gewähren ohne doch der Ausblicke zu ermangeln, ist ein idyllischer Genuß. Zumal am Morgen oder Abend eines sonnigen Herbsttages, wo die Blätter bereits angefangen haben sich zu gilben oder zu bräunen und wo man sicher ist, nicht wie an den Sommertagen auf Schwärme von Touristen zu stoßen. Ein paar Schwäne ziehen auf dem See stumm ihre Kreise, im Hintergrunde steigt aus dem einsamen Forsthause ein Rauchwölkchen empor, eine wilde Taube gurrt, aus weiter Ferne ertönt auch wohl der Ruf des brünstigen Hirsches – sonst ist Alles still und athmet Frieden und Ruhe. Zuverlässigere Zeugen des Zaubers, den diese Gegend in sich trägt, als ich sind die Künstler, welche dieselbe vielfach durchstreifen. Allsommerlich kommt seit mehreren Jahren eine Anzahl Düsseldorfer Maler hierher, um die an Motiven überreiche Landschaft auszubeuten. So trafen auch wir eines Nachmittags, als wir den See umwandert hatten, am Forsthause den Maler Kröner, dessen Jagdscenen sich des wohlverdienten besten Rufes erfreuen. Er hält sich jährlich Monate lang in Horn auf und hat von meinem jagdliebenden Freunde Hausmann, der das Revier der Stadt Horn in Pacht hat, einen Theil dieses Reviers übernommen.

Auf unseren Wanderungen in der Nähe der „Steine“ war mir von besonderem Interesse eine Bergwand, die sich gleichfalls zu dem kleinen See hinabsenkt. Auf weitetem Umwege durch ein am Waldrande gelegenes kleines Dörfchen führte mich mein ortskundiger Begleiter dahin. Die Wand ist zum Theil mit Eichen bestanden. Es sind uralte, graue Häupter, über die schon manches Jahrhundert hinweggerauscht sein mag. Sie sind gar nicht so hoch und mächtig, aber jeder einzelne Baum hat seine ausgeprägte charaktervolle Individualität. Der steinige Grund und der rauhe Nordwest hat ihnen das Leben schwer gemacht. Man sieht ihnen den Kampf um’s Dasein an. Im Wetter gehärtet stehen sie da als Vorbilder westphälischen Trotzes und altcheruskischer Kraft. Das gewaltige Wurzelgeflecht, das ihren Stamm umlagert, konnte nicht Raum finden in dem felsigen Boden, und umklammert denselben dafür um so krampfiger und fester, nur spärlich von der dünnen mit Moos und Flechten bewachsenen Kruste überdeckt. Der Stamm ist kurz und gedrungen und trägt ein keineswegs reiches, aber wunderbar knorriges, wild phantastisches Geäst. Hier und da hat der Sturm einen Wipfel gebrochen, der Wetterstrahl eine Krone gestreift, aber die gierige Hand der lippischen Domänenverwaltung ist an diesen Zeugen der Vergangenheit – sei es aus Respect, sei es in der Erkenntniß, daß sich so gar viel Capital nicht daraus schlagen ließe – schonend vorübergegangen. Hoffen wir, daß sie dies auch ferner thue.

Einen tieferen Blick in den lippischen Wald that ich am Tage, als ich Horn verließ. Ich hatte den Wunsch geäußert, das Hermanns-Denkmal noch zu besuchen, und Hausmann bot mir seine Begleitung an. Morgens zu guter Stunde ward das Rößlein angeschirrt, und in raschem Trabe brachte es uns durch die Feldmark von Horn zum Dörfchen Berlebeck. Hier ist es, wo die Sommergäste des lippischen Waldes vorzugsweise ihr Standquartier aufschlagen. Und sie haben guten Grund dazu. Das langgestreckte Thal mit seinem krystallklaren Bache im Grunde, mit den zwischen Gärten und Baumgruppen zerstreuten Häusern und Gehöften ladet zum Verweilen ein. Ueberdies sind der anmuthigen Punkte genug in der Nähe – Bergkuppen mit weiter Aussicht, schattige Wege an den Hängen und in den Schluchten, auch die Trümmer einer alten Burg (der Falkenburg) fehlen nicht.

Wir fuhren zunächst an dem Bache hinauf, um dessen Quelle zu sehen. In einem von ein paar Buchen beschatteten kühlen Grunde, dicht unter den Wurzeln der Bäume, sprudelt das Wasser kräftig hervor. Die Buchen sind uralte, mächtige Stämme, mit starkem, fast eichenartig knorrigem Gezweige. Mit dem Bedauern, daß von dem Hochwalde, der einst diese Schluchten bedeckte, nur so spärliche Reste übrig gelassen, sieht man von ihnen hinweg auf das junge, niedrige Gestrüpp der Hänge und Hügel umher.

In dem Dorfkruge zu Berlebeck gab Hausmann den Wagen ab mit der Anweisung, ihn in’s benachbarte Dorf Heiligenkirchen zu bringen. Dann stiegen wir aufwärts, zwischen Gehöften und Feldern, die sich malerisch an den Bergwänden hinausziehen, hindurch, und gelangten bald an den Rand des Waldes. Wir standen vor einer Gitterpforte. „Was ist denn das?“ fragte ich, die Hand an das Thor legend, den Freund. „Ist hier mitten in den Bergen ein Hirschpark etablirt?“

„Man hört’s,“ erwiderte er, „daß Du lange nicht in der Heimath warst. Der ganze Wald ist Hirschpark; er hat als fürstliches Gehege schon lange die Ehre, umgittert zu sein. Solch ein Zaun, wie Du ihn hier siehst, läuft um den gesammten Stock des Waldes, nur die Vorberge, die Ausläufer mit ihren kleineren isolirten Gehölzen sind uneingefriedigt geblieben.“

„Und warum das?“ fragte ich weiter.

„Zum Theil, um das Wild zu schützen vor den Wilddieben und vor den jagdberechtigten Grundbesitzern am Waldrande, zum Theil aber auch, damit die fürstliche Domänencasse keine Wildschäden zahlen muß für die Verwüstungen, welche die Hirsche auf den angrenzenden Feldern anrichten.“

„Meinst Du denn, daß der Gewinn dem Aufwande, welchen Anlage und Erhaltung dieses Gitters verursacht, entspricht? Wenn man auch das Material zu diesen dicken Pfählen in Fülle selbst besitzt, so hat man doch die schweren, dichtgespannten Eisendrähte und die Arbeit nicht umsonst.“

  1. S. Nr. 17, Jahrg. 1877.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_552.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)