Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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No. 33. | 1877. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Es war an einem Aprilmorgen des Jahres 1477, als die Bewohner der Reichsstadt Aachen mit der Nachricht überrascht wurden, auf der Frankenburg, unweit der Stadt, sei der künftige Erbe des heiligen römischen Reichs, Maximilian, Sohn Kaiser Friedrich's des Dritten angekommen.
Wohl wußte man, daß der Prinz schon seit einem Monat sein Hoflager von Wien nach Köln verlegt hatte, und, wie überall, so wollte die öffentliche Meinung auch in Aachen von hochpolitischen Zwecken wissen, die ihn näher an die Westgrenze des Reiches geführt hätten. Waren doch Aller Augen zu jener Zeit nach Gent gerichtet, wo Maria, die junge, von Krieg und Aufruhr zugleich bedrängte Herrin von Burgund und Niederland, in ihrer Hofburg noch immer wie eine Gefangene gehalten sein sollte, obgleich sie dem Aufstande der niederländischen Städte durch Bewilligung aller Freiheiten längst die Spitze abgebrochen und gegen den gleichzeitigen Einfall der Franzosen in Burgund den Schutz und die alte Treue ihrer Staaten angerufen hatte. – Freilich, wer Maria in seiner Gewalt hielt, dem war Macht gegeben, durch ihre Hand über die Zukunft der reichen und blühenden Lande vom Jura bis zur Nordsee zu bestimmen, ja durch ein so mächtiges, wenn auch nur unter dem Herzogstitel vereinigtes Reich den Schwerpunkt des europäischen Gleichgewichts zu verrücken. Fast jeder der tonangebenden Höfe hatte deshalb schon für einen seiner Prinzen um sie geworben, und Ludwig der Elfte von Frankreich mochte seinen Raubzug in Burgund noch so sehr mit dem Vorgeben beschönigen, er wolle sich nur des heimgefallenen Mannlehens versichern: Niemand täuschte sich über seine Absicht Maria's Hand für den Dauphin zu erzwingen, denn mehr als Alles zeugte gegen ihn das damals allgemeine Sprüchwort: „Wer führt die Braut heim?“
Kein Wunder, daß unter solchen Umständen das plötzliche Auftauchen Maximilian's in Köln sofort die Deutung hervorgerufen hatte, auch er möge seine frühere Bewerbung wieder aufgenommen haben. Denn es war noch Allen sehr wohl im Gedächtniß, wie vor wenigen Jahren Kaiser Friedrich und Herzog Karl der Kühne, Maria's Vater, zur Verlobung ihrer eben erwachsenen Kinder in Trier zusammengekommen waren, aber auch, wie der ränkevolle elfte Ludwig es verstanden, das glühende Verlangen Karl's nach dem Königstitel dem Kaiser in verdächtigem Lichte darstellen zu lassen, wie dann das Mißtrauen des Einen den Jähzorn des Andern hervorgerufen, der in seiner Würde verletzte Kaiser plötzlich Trier verlassen und Karl von Stund' an einen Haß auf die deutsche Verbindung, wenn auch nicht auf Maximilian persönlich, geworfen hatte. Ja, kurze Zeit nachher, im Kölner Bischofsstreite, war man schon Zeuge gewesen, wie das burgundische Heer vor Köln dem kaiserlichen feindlich gegenüberstand und wie nur durch Vermittlung des päpstlichen Legaten eine leidliche Aussöhnung herbeigeführt wurde. Aber seit Maria's kriegerischer Vater am 5. Januar bei Nancy gegen Schweizer und Lothringer das Leben verloren hatte, zweifelten die guten Aachener keinen Augenblick, daß, wenn die junge Herzogin nicht in fremder Gewalt wäre, kein Anderer, als der ritterliche Max ihr Erwählter sein würde; waren doch Beide Geschwisterenkel, und wollte man doch wissen, daß sie seit ihrer ersten Verlobung treu an einander hingen.
Als sich daher jetzt die Kunde verbreitete, der Prinz sei auf der Frankenburg, eine Viertelstunde Weges von der Stadt, also fast Angesichts der burgundischen Grenze eingetroffen, da war es Allen klar, daß es sich um wichtige Ereignisse, vielleicht um Krieg oder Frieden, handele, und die Nachbarn riefen sich die außerordentliche Neuigkeit aus den Fenstern oder vor den Thüren zu, je nachdem der graue Aprilmorgen den Einen mehr und den Andern weniger lange in den Federn zurückgehalten hatte.
„He, Gevatter,“ hörte sich aus einem Fensterchen am
- ↑ Mit dieser historischen Erzählung glauben wir unseren Lesern eine Gabe von ungewöhnlicher Bedeutung darzubieten. Nicht nur der Gegenstand, die blühende Jugendgestalt des ritterlichen Lieblingskaisers der Deutschen im tapferen Ringen um die schöne Maria von Burgund, ist von fesselnder Kraft. Die Dichterarbeit selbst, die uns den Kampf um die Braut im glänzenden historischen Rahmen zeigt und in deren Anschauen wir kaum wissen, ob wir die tiefen geschichtlichen Studien oder die lebensfrische, farbenprächtige Darstellung mehr bewundern sollen – sie bestimmt uns, im voraus dieses Urtheil über die vorliegende Erzählung auszusprechen. Der Verfasser, Gustav Freiherr von Meyern-Hohenberg in Constanz, hat in unserer Literatur bereits einen klangvollen Namen als ausgezeichneter Lyriker und Dramendichter und hat selbst längere Zeit dem Coburg-Gothaischen Hoftheater als Intendant vorgestanden. Die so vielen unserer Dichter abgehende genaue Kenntniß des Lebens „am Hofe“ kam ihm auch bei diesem „Zeitbild“ sichtlich zu Gute. Ein freundlicher Zufall ist es, daß wir mit der Veröffentlichung desselben zugleich das vierhundertjährige Jubiläum der Hochzeitsfreude von Max-Teuerdank und Maria-Ehrenreich feiern. D. Red.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_547.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)