Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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eingestürzte Gewölbe, die einer Ewigkeit getrotzt haben würden, wäre ihnen die frevelnde Hand der Mineurs fern geblieben.
Unser Cicerone erklärte uns, daß dies die untere Festung mit den Officierswohnungen, der Apotheke, dem Baumagazin, der Kellerei, Bäckerei und den Casernen gewesen, das Interesse für alle diese kleinen antiquarischen Notizen wurde bei uns aber durch den bittern Groll zurückgedrängt, der Angesichts dieses französischen Vandalismus in uns aufstieg.
„Wahrhaftig!“ rief der Rath, „all diese klaffenden Wunden, die ich erst in dieser Woche in der Pfalz und in Württemberg gesehen und die uns alle die freche fränkische Faust schlug, sie sind bei weitem noch nicht durch die Abrechnung von 1870 bis 1871 gesühnt!“
Ueber verschiedene Brücken, die über tief gähnende Abgründe führten, und auf steilen Wegen stiegen wir nun zur oberen Festung hinauf, wo sich das ebenfalls nur noch in seinen äußeren Mauern erhaltene Gouvernementsgebäude, die sehr verfallene große Kirche mit Thurm, einige Pulverthürme und die sogenannte fürstliche Burg mit vielen noch ziemlich wohl erhaltenen Gemächern und unheimlich aus der Tiefe heraufgähnenden Kellergewölben unseren Blicken darboten. Der Dechant trat in eines dieser Gewölbe und sang mit schöner voller Tenorstimme in das Dunkel die Maulbronner Fuge:
„All voll, keiner leer, Wein her!“
„Wein her! rief das dumpfe Echo, und das klang, als verlangten die Geister der Gewölbe klagend nach ihrem Tribut.
Ueber das feine Gesicht des Raths flog ein melancholisches Lächeln.
„Iz rinnit nich ein tropfe mêr,
Der wîn ist vortgehupfit ...
Ou wû, min grôzaz vaz stât lêr,
Sie hâ’nt mirz ûz gesupfit!“
citirte er.
Hinter der fürstlichen Burg zeigte uns der Cicerone die kaum noch sichtbaren von Buschwerk überwucherten Ueberreste eines Thurmes.
„Dees ischt der Ekkehardthurm, in dem der Ekkehard saß, bis ihn die Praxedis befreite,“ sagte er dabei.
„Ah! Von hier aus also flog der Ekkehard wieder hinaus in die goldene Freiheit!“ Wie mit einem Zauberschlage befanden wir uns wieder Alle in dem bunten Gedränge des herzoglichen Hofes. War es nicht, als lugte der Kämmerer Spazzo, der lustige Rath, aus jenem Fenster, schritt dort nicht der bärbeißige Moengall mit seiner Keule über den Burghof, und von dem Altane da, nickte uns da nicht die immer heitere, schöne Griechin zu? In diesem Augenblicke raschelt’s im Buschwerk; Audifax und Hadumoth, die beiden leibeigenen Kinder müssen es sein, die hier neugierig lauschen. – Doch nein, der Fuß unseres Graubart war’s, der weiter schritt, denn noch galt es einen Rundgang um die obersten, äußeren Festungswerke zu machen, bei dem wir nun noch einmal das berauschend schöne Panorama genossen, um dann wieder hinab zu Thal zu steigen.
Unten in unserem Wirthshause „Zur Krone“ fanden wir bereits den Tisch gedeckt, wir brauchten uns also nur nieder zu setzen, um ein vorzügliches Mittagsbrod einzunehmen, das nach der herrlichen Morgenwanderung auch trefflich mundete. Gleich nach dem Dessert fuhr auch bereits der Wagen vor, denn mit dem Ein-Uhr-Zuge wollten wir nun nach der alten Concilsstadt. Ehe wir schieden, präsentirte uns der Wirth aber noch das Fremdenbuch, und der Rath, dem wieder der Meersburger außerordentlich gemundet, ergriff mit einem gewissen Amtseifer die Feder. In flotter, abgeschliffener Schrift schrieb er Namen und Stand und dann den Scheffel’schen Vers:
„Da bracht’ man ihm das Stammbuch dar
Zum Eintrag, eh’ er scheide.
Und zittrig schrieb er: Kund soll sein,
Daß ich hie eingeritten,
Und lob’ das Haus ‚Zum Krönelein‘
Als Haus von guten Sitten:
Der Willkumm hat nur so gemund’t,
Daß ich das Bett kaum finden kunnt’,
Holliro, nicht nur der Stiefel,
’S ging Alles um!“
Der Dechant lächelte, als er die Zeilen las. „Die Sach’ hat ihre Richtigkeit,“ sagte er und setzte dabei in feiner Perlschrift seinen Namen darunter.
Unterdessen knallte der Rosselenker draußen schon ungeduldig, schnell stiegen wir ein und rollten davon; auch im Bahnzuge saßen wir bald, und sausend ging es Thal ab. Da plötzlich, bei einer Biegung des Schienenweges, zeigte sich uns der gewaltige Felsblock noch einmal auf einige Minuten im herrlichsten Mittagssonnenschein; freundlich nickte ich hinüber wie zu einem lieben Freunde, und der Rath improvisirte elegisch:
„Leb' wohl, du alter Recke!
Den letzten Gruß ich dir send’!
Und besucht dich ’mal wieder der Scheffel,
So mach’ ihm mein Compliment!“
Noch einen letzten Traum verleihe mir,
Wenn du mir nahen wirst, o Todes-Engel,
Und deine Fackel senkest, um mich mild
Hinweg zu führen aus dem engen Leben!
Noch einen letzten Traum! O spieg’le mir
Das Glück der Jugend wieder, wo als Knabe
Ich einsam, sinnend strich durch Wald und Flur,
Aus Baum und Blüthe, Berg und Thal und Fels.
Aus Bach und Quelle sog die ersten Klänge
Der Poesie, der hehren, göttlichen,
Wo die poet’schen Regungen ich nährte
Am Busen des nun schon verblichenen
Einst hochbegabten, lieben, einz’gen Freundes.
Gieb mir im Traum das reine Glück der Liebe,
Gieb mir zurück die engelgute Gattin,
Die gleichgesinnte, unvergeßliche,
Die du mir nahmst vom liebewarmen Herzen:
O laß’, ich bitte, ihren seelenvollen,
Ergreifenden Gesang mich wieder hören.
Und mit dem letzten Ton, dem letzten Traum,
Im Widerschein des früh’ren höchsten Glücks
Auf Erden mag verglimmen deine Fackel.
Von seiner Hülle löse meinen Geist;
In Freiheit führe ihn hinauf, hinauf,
Hinauf dem ew’gen Geister-Aether zu,
Wo Freund und Gattin längst schon meiner harren!
Alle bedeutenden deutschen Zeitungen haben mehr oder minder ausführliche Berichte über die verschiedenen Festlichkeiten gebracht, welche Hamburg zu Ehren seiner hohen Gäste im Monat April dieses Jahres veranstaltete, ingleichen über die einzelnen Besuche, welche der Kronprinz und seine Gemahlin den sehenswerthesten öffentlichen Anlagen und Instituten Hamburgs abstatteten, als da sind das Festdiner in der Kunsthalle, die achthundert eingeladene Herren und Damen Hamburgs zählende Festsoireé Tags darauf, die Besichtigung des Kaiser-Quais, die Elbfahrt, der Besuch der Börse, die sogenanne Sielfahrt, die Festvorstellungen im Stadttheater etc. Die heutige Nummer der „Gartenlaube“ bringt nun nachträglich noch ein Bild, welches vorzugsweise ein bleibendes Interesse beanspruchen dürfte, einmal weil es eine unterirdische Fahrt des Kronprinzen darstellt, wie derselbe sie wohl noch nie gemacht hat, und sodann weil in dem dazu gehörigen Texte ein reichhaltiges, belehrendes Material zur Lösung wichtiger sanitätischer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_540.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2019)