Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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skeletirt: von verschiedenen Erdflöhen (Haltica), von der Afterraupe der Rapsblattwespe (Althalia spinarum), von Weißlingsraupen (Pieris brassicae, rapae, napi), von Erdraupen (Agrotis exclamationis, segetum), von Blattlausen (Aphis brassicae). Es sind dies die gefährlichsten Rapsfeinde. Alle diese gefährlichen Feinde im Verein mit den minder gefährlichen sind bis jetzt nicht im Stande gewesen, den Rapsbau fraglich zu machen, wie viel weniger wird der Kartoffelkäfer allein den Kartoffelbau in Frage stellen können! Bei alledem erkennen wir die Bemühungen seitens der Regierung, um den Käfer von unserem Vaterlande fern zu halten, sehr an. Er ist gewiß kein erfreulicher und willkommener Gast, ob es aber möglich ist, ihn von Deutschland fern zu halten, scheint uns sehr problematisch; es giebt zu viel verschiedene Wege zur Einschleppung. Dafür aber den Kartoffelbauern und Kartoffelessern zum Trost, daß sie nach unserer festen Ueberzeugung, auch wenn der überschätzte Feind zu uns kommen sollte, nach wie vor Kartoffeln bauen und essen werden.
Leipzig, den 9. Juli.
Die Ereignisse drängen sich bereits von dem steilen Donauufer bis hinaus an den steinernen Damm des Balkans zusammen: der Stein des Verhängnisses ist in’s Rollen gekommen. Jetzt, da nach der langen Pause über Bulgariens Fluren das Hurrahgeschrei des Siegers, das Stöhnen der Verwundeten, die Tedeums-Gesänge der befreiten Bulgaren und schließlich das Gekrächze der nach reichlicher Beute ausfliegenden Raben und Geier den Ton der Weltgeschichte angiebt, jetzt erscheint das Ich kleinlich. Darum, geneigter Leser, wirst Du fortan in diesen Streifzügen nicht mehr dem Verfasser mit seinen kleinen Abenteuern und Zufällen, sondern dem Gange der Ereignisse folgen.
Nehmen wir dieselben von dem Augenblicke auf, wo die Russen auf bulgarischem Boden standen – nicht in der Sackgasse der unfruchtbaren und selbst strategisch minder wichtigen Dobrudscha, sondern auf den Saatfeldern, auf den üppigen Weiden und in den gesegneten Obst- und Weingärten Donau-Bulgariens. Nicht ohne einiges bange Vorgefühl mochten wohl die Heerführer der russischen Armee den Vormarsch jenseits des breiten Rubikon angetreten haben, namentlich wenn ihnen das Beispiel der russischen Brüder in Asien vorschwebte, die sich auch mit frohem Muthe in das Innere Armeniens gewagt hatten und nun daraus vertrieben wurden. Diese erschreckenden parallellaufenden Bilder zeigten sich aber weder dem Soldaten, noch den hochadeligen Sturmböcken, die sich um die Ehre beworben hatten, an der Spitze des Vortrabes von Tscherkessen und Kosaken den Türken den Säbel in die Flanke zu setzen. Diese kannten nur eine Losung: Vorwärts, und der erste dieser Sturmböcke (die Hoheit, die für bilderreiche Ausdrücke eine besondere Vorliebe besitzt, wird mir wohl den Ausdruck nicht übelnehmen) war der Großfürst Nicolaus selber. In Plojesti, wo ihn die Pläne eines vorsichtigen Generalstabschefs, des zaudernden Nepokoitschsky, mit gebundenen Händen festhielten, war er verstimmt, mißmuthig und voller Ungeduld. Seitdem man aber im russischen Hauptquartiere ausrufen durfte: „Es giebt keine Donau mehr“, fühlte sich der Großfürst eigentlich nicht mehr als Höchstcommandirender; er überließ die ganze strategische Führung des weiteren Feldzuges seinem erprobten Amanuensis; als echter Reitergeneral schwang er sich auf das gute Kosakenpferd, und während die Welt die Köpfe zusammensteckte und mit dem Zeigefinger auf der Nase nachgrübelte, wohin seine Hoheit wohl das Hauptquartier verlegt haben möchte, war Nicolai Nicolajewitsch einer der ersten Russen, die über den Balkan gelangten und die jetzt in erster Linie Adrianopel, in zweiter Constantinopel bedrohen. Es war ein kühnes Wagstück, das in der Mißachtung jeglicher Gefahr seines Gleichen sucht, denn es zeigt uns einen Feldherrn, der sich in die Mausefalle hineinwagt, die der Feind hermetisch zuklappen konnte, da er mit einer frischen zahlreichen Armee und ungeheuren Festungen im Rücken steht.
Der verführerische Gedanke, über den Balkan zu fliegen, wurde dem Großfürsten durch eine bulgarische Deputation eingegeben, die er auf dem Vorrücken gegen Tirnowa in einem Dorfe fand. Die Leute erzählten, daß nach der soeben erfolgten Einnahme von Tirnowa ein Trupp von christlichen Einwohnern dieser Stadt auf die vor den herannahenden Russen fliehenden Muselmänner Jagd gemacht hatte, und daß sie im Eifer der Verfolgung bis an das „eiserne Thor“, einen der bedeutendsten Gebirgspässe, gelangt wären. Die Türken waren bereits jenseits des Passes und hatten sich nach verschiedenen Richtungen zerstreut, aber die nachfolgenden Bulgaren versicherten, daß weder Befestigung noch militärische Streitkräfte zum Schutze des Passes vorhanden waren. Mehrere Generäle, welche in diesem Momente um den Großfürsten versammelt waren, gaben ihre Empfindungen über die Meldung durch unverhohlenes Achselzucken zu erkennen; sie bezweifelten, daß die Ab- und Zugänge einer solchen ungeheueren natürlichen Festung, wie der Balkan, nicht aufs Strengste bewacht, verschanzt, kurz unnahbar gemacht sein sollten. Aber Großfürst Nicolai vertraut auf den Stern Rußlands, und in seiner souveränen Verachtung des Türken ist er der Ueberzeugung, daß derselbe im Stande sei, die allergrößten Dummheiten zu begehen. Großfürst Nicolai nahm die Sache um so ernster, als die Bulgaren, welche die Mittheilung gemacht hatten, sich selber als Führer – und zugleich als Geiseln erboten, was vorsichtshalber angenommen wurde. Indessen hatten die Russen richtig, nach dreimaliger falscher Meldung, die alte Czarenstadt Tirnowa besetzt, und zwar unter höchst charakteristischen Umständen. Als die in gehöriger Anzahl auf bulgarischem Boden stehende russische Heeresmacht sich fächerartig über das Land ausbreitete, galt der erste Vormarsch dem Orte Tirnowa, ungefähr fünfzig bis sechszig Kilometer vom Donauufer entfernt. Es gingen allerhand Gerüchte. Hier, erzählte man sich, wären bald zwanzig- bis dreißigtausend Türken in einer furchtbaren Stellung verschanzt, hier wären unnahbare, mit schweren Belagerungsgeschützen besetzte Walle, eine wahre Festung, eine wirksame Wegsperre zum Gebirge, ein bequemer Ausgangspunkt für einen Angriff gegen die in den Gauen herumspazierenden und herumreitenden Detachements des Feindes. O, man sprach von Tirnowa eine Zeit lang im Hauptquartier zu Simnitza mit einem gar gewaltigen Respect. Man ahnte damals nicht, daß man so bald von dem „Rosengarten“ in lyrischer Andacht erzählen würde, statt eine rauhe Festungsstadt mit trotzigem steinernem Antlitz und hunderten von hervorblitzenden Stahlängelchen beschreiben zu müssen. Den Zauber dieser Verwandlung aber bewirkten die Säbel der Dragoner und die Lanzen der Kosaken des General Sorusk. Sie sollten sich einfach die Stadt etwas mehr in der Nähe anschauen und darüber Meldung bringen. Die Türken wünschten jedoch keine nähere Bekanntschaft und zahlten schleunigst Fersengeld. General Sorusk hätte nach dem Hauptquartier gehorsamst berichten können: „Eure Hoheit haben mich beauftragt, mich in Tirnowa umzuschauen. Es ist geschehen, und die Stadt gefällt mir und meinen Jungens vom Don so sehr, daß wir gleich hier bleiben.“ Die Nachricht dieses raschen, unverhofften und unblutigen Erfolges tröpfelte rieselnden Balsam auf die garstig klaffende Wunde der mörderischen Niederlagen in Asien.
Während der Kaiser durch die Mittheilungen aus Alexandropol sich ziemlich mißgestimmt fühlte und die bangen Sorgen, die er vor Anfang des Krieges empfunden haben soll, neuerdings verspürte, fanden sowohl der Großfürst Thronfolger als der Generalissimus in diesen Hiobsposten nur einen Sporn für eine desto raschere und desto energischer vorwärts stürmende Thätigkeit auf dem europäischen Kriegsschauplatze. Rasch war die Armee gebildet, der die schwierige Aufgabe zufiel, Rustschuk von der Landseite zu umzingeln, während die schweren Geschütze von Slobosia und Giurgewo dagegen losdonnerten. Der Czarewitsch brach mit dieser neuen Armee so rasch auf, daß das lächerliche Gerücht entstand, er wäre verschwunden, ja von den Türken gefangen![1] Großfürst Nicolajewitsch ruhte aber nicht eher, bis er
- ↑ Die Ursache dieses angeblichen Verschwindens suchte man jedoch nicht in der oben angegebenen Thatsache allein, sondern durch die gesammte Presse lief die Nachricht, die Unzufriedenheit des Czarewitsch über den langsamen Gang der Kriegführung habe selbst zu „Scenen“ zwischen ihm und seinem kaiserlichen Vater geführt, und sie seien der Anlaß zu seinem plötzlichen Verschwinden gewesen. D. Red.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_525.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2019)