Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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aus der andern trat ein hoher Mantel-Kamin von blaugrüner Fayence, an welchem sich gut träumen ließ. Madame Venloo liebte es zu träumen – dies sagten ihre Augen und ihre Zimmer.
Ein Clavier hatte dieses Boudoir nicht aufzuweisen. Madame Venloo spielte nicht Clavier. Eine Frau der damaligen Zeit konnte gebildet sein, ohne Clavier zu spielen. (Ich kenne mehrere Männer, welche die Männer der damaligen Zeit unendlich, ja mit Ingrimm beneiden.)
Madame Venloo spielte ein anderes Instrument, ein Instrument voll süßer Poesie: die spanische Mandoline, welche über einem Divan an der Wand hing, von einem purpurfarbigen Bande gehalten, das über dem Perlmuttergriff zu einer bauschigen Schleife geschlungen war. Weder Gemälde noch Kupferstiche, so sehr in der Mode damals, schmückten diese Zimmer. „Wenn ich ein Bild sehen will,“ sagte Madame Venloo, „so gehe ich in eine Bildergalerie; mir scheint, man sollte Kunstwerke nicht beständig vor sich haben; man gewöhnt sich so an sie, daß man sie zuletzt gar nicht mehr ansieht.“
In diesem Raume saßen Madame Venloo und ich und lauschten Henry’s Geigenspiel, das aus einer dämmerigen Ecke, welche sein Lieblingsplatz war, geheimnißvoll erklang. Gar bald bemerkte ich, daß mein schwarzer Stern seinen Doppelstern in Henry gefunden hatte. Der Strahl ihres Auges ruhte nicht nur unverwandt auf seinem Angesicht, das, wenn er spielte, wunderschön ward, er wurde magisch – er wuchs in sein Angesicht hinein. Und ihre Züge, ihre Haltung! Sie saß wie in sich geknickt, ihre Arme ruhten ausgestreckt auf den Armen des Sessels und an ihren herabhängenden Händen spreizten sich ihre Finger ein wenig wie unter einer ekstatischen Spannung. Ja, sie horchte nicht nur mit dem Ohr, sie horchte auch mit den Augen und mit dem Munde. Wenn er dann geendet hatte, so sprach sie lange kein einziges Wort. Zuweilen rief sie die blonde Marion; diese setzte sich dann mit ihrem Klöppelkissen zu uns und warf die Spulen mit unfaßlicher Geschwindigkeit und Sicherheit herüber und hinüber. Manchmal saß Caspar bei uns und sprach über die Kunst des Edelsteinschleifens; oder er knetete aus weichem Brod allerhand Thiere und Menschenköpfe. Zuweilen – und das waren die süßesten Stunden – nahm Madame Venloo die Mandoline von der Wand und begleitete sich darauf zum Gesange alter spanischer Romanzen. Das Wort „Gesang“ ist eigentlich hier nicht richtig, denn sie sang mit weniger als halber Stimme, aber dieser schüchterne Hauch einer Stimme war so angenehm, so sympathisch, so ausdrucksvoll, daß Henry’s Bemerkung, ihre Stimme sei eine „Offenbarung“, vollständig richtig war. Die spanische Mandoline, die kleine, welche nur mittlere und tiefe Saiten hat, besitzt einen weichen, dunkeln Ton voll süßester Melancholie, ähnlich dem der Viole d'amour. Wenn man eine oder zwei nebeneinander liegende Saiten längere Zeit leise und sehr schnell anschlägt, so entsteht ein eigenthümlicher Laut, welcher an das träumerische „ronron“ der Katze erinnert. Die Begleitung jeder Strophe einer Romanze fängt mit diesem sanften „ronron“ an, und es bleibt dem Geist und der Empfindung des Sängers überlassen, es nach dem Inhalt der Strophe zu verstärken und durch volle und gebrochene Accorde zu unterbrechen. Madame Venloo verstand es, der Begleitung reiche und charakteristische Nüancen zu geben. Beim Klang ihrer Stimme und der Mandoline vergaß man Ort und Zeit; man war nicht mehr in Brüssel oder Gent, man war in Sevilla und sah die Blüthe spanischer Ritterschaft auf geharnischten Rossen durch die Straßen ziehen; man stand im Mondschein vor einem Thurme zu Cordova und lauschte den Liebesklagen einer gefangenen Zuleima und sah am Gitter ihren weißen Schleier flattern; man stand im Löwenhofe der Alhambra, wo die Wasser plätschern, und hörte Schwerter klingen und sah im Auge der Maurin Blut und Thränen funkeln; man lehnte an einer Säule der Kathedrale zu Burgos und sah Donna Inez mit niedergeschlagenen Augen vor der großen Muttergottes knieen und die Achatkugeln ihres Rosenkranzes über die weißen Finger gleiten.
Nach solchen Abendstunden hatte ich mit meinem Herzen jedes Mal einen neuen Kampf zu bestehen. „Was kann ich dafür, daß du graue Haare hast?“ sagte es zu mir.
Henry überraschte mich eines Tages durch die Frage: „Hast Du Marion schon genau angesehen? Thue es! Sie gefällt mir nicht; sie hat einen lauernden Blick und einen alten Zug in ihrem jungen Gesicht, der ein Zeichen von wenig Güte ist.“
Es war mir nie eingefallen, Marion besonders anzusehen, allein ich hatte, wenn sie zugegen war, stets ein leises Unbehagen empfunden. Jetzt, nach Henry’s Bemerkung, fing ich an sie zu beabachten. Hundertmal sah sie während des Klöppelns von unten herauf nach Madame Venloo und nach Henry hinüber, schnell und unbemerkbar für Jeden, der sie nicht aufmerksam beobachtete. Ich begann absichtlich ein Gespräch mit ihr und fand, daß ihr hellblaues Auge einen kalten, harten Glanz hatte, ähnlich einem Eistropfen.
„Glauben Sie,“ sagte ich zu Madame Venloo, „daß Marion einen guten Charakter habe?“
„Nein, das glaube ich nicht,“ antwortete sie unbefangen. „Allein sie ist noch sehr jung; ich ziehe sie durch Güte vielleicht an mich heran. Sie ist sehr begabt, sehr lernbegierig, aber ziemlich gemüthlos. Indessen hoffe ich dennoch –“
„Ihr ein Herz zu geben? Das können Sie nicht,“ rief Henry.
„Sie nehmen es sehr ernsthaft,“ sagte Madame Venloo lächelnd.
„Wenn Sie wüßten, wie mir ihre Gegenwart das Gemüth einengt!“ klagte Henry.
„O – ist es möglich? Dann werde ich sie nur selten, nur ganz selten herauf rufen.“
Henry überließ sich seinem Herzen mit einer Unvorsichtigkeit, die mich beunruhigte. Ein Kind hätte errathen, daß er brannte; wie hätte Madame Venloo es nicht errathen sollen? Wenn wir bei ihr eintraten, strahlte sein Gesicht, und er hielt ihr, ganz gegen die Sitte, seine Hand hin, bis sie sie endlich ergriff, denn sie zögerte jedes Mal. Dann beugte er sich über diese weiße Hand, seine Lippen berührten sie kaum, aber länger, als es üblich ist. Und jedes Mal wandte sie sich dann erröthend zu mir und sagte: „Wie geht es Ihnen?“ Sie dachte offenbar nichts dabei, sie, die sonst nie eine alltägliche, gedankenlose Frage that. Dieses „Wie geht es Ihnen?“ war ein höflicher Hülferuf in ihrer Verlegenheit. Henry sprach ein wenig spanisch; wenn er nun im Gespräche einem Worte oder einem Satze besondern Nachdruck geben wollte, so gebrauchte er spanische Worte; er warf ihr diese Worte wie glühende Blumensträuße zu, und ich sah, daß ihr Duft sie berauschte. Zugleich aber bemerkte ich auch, daß die „große Traurigkeit in ihrem Gemüth“ mit Spanien im Zusammenhange stand. Sie selbst sprach nie von Spanien, und, wenn Henry es that, so wurde sie einsilbig und es trat ein Schatten auf ihre Stirn.
Ich fühlte, daß hier ein Geheimniß lag; ich war überzeugt, daß sie den Tod ihres Mannes nicht betrauerte.
Wenn wir sie verließen, verlor Henry, der sonst so gewandt war, alle Haltung. Es war, als wenn eine bleiche, kalte Finsterniß ihn jäh überfiele, wenn ich das Zeichen zum Aufbruche gab; seine Hände zitterten; die Sprache versagte ihm; er sagte Madame Venloo nur mit den Augen Adieu und ging wie ein Mensch, der Alles verloren hat, neben mir die Treppe hinab.
In Berlin entwickelte sich allmählich – in den letzten zwei Jahrzehnten – ein vielgestaltiges, vielköpfiges Künstlerleben, das kein Senat, kein akademischer Zopf in Fesseln schlug. Es ist bezeichnend, daß das künstlerische Leben der preußischen Hauptstadt seine Vielseitigkeit gerade zu einer Zeit gewonnen hat, wo die Kunst-Akademie ein Scheinleben fristete und demnach von keinem Einflusse auf die Entwickelung des Kunstlebens war. Die Akademie hat sich zwar seit zwei Jahren eine andere, Achtung fordernde Stellung erworben, aber der Zeitraum von zwei Jahren ist noch zu kurz, um – trotz der Lehrthätigkeit eines A. von Werner, Gussow, Hertel, Knille, F. Meyerheim, Thumann – von Einfluß auf die Bildung von Schülern zu sein.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_518.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)