Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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hörten, in wilder Flucht per Esel, per Wagen, per Karren, und selbst zu Fuß hinausstürmten. Die türkischen Behörden hatten ihren Untergebenen weißgemacht, daß der Kaiser von Rußland sämmtliche nicht christlichen Unterthanen des Gebietes dem Feuer und Schwerte preisgegeben. Daher die wilde Flucht unter Zurücklassung der Habe. Als die Osmanen Reißaus nahmen, waren sie nur darauf bedacht, eins mitzuschleppen, die Pferde, welche ihnen bei der Flucht dienlich sein konnten. In dieser Beziehung aber gingen sie ohne Rücksicht vor, und auch unserem Cicerone wurden zwei hübsche Braune „requirirt“, über deren Verlust er sich gar nicht zu trösten wußte. Auch gruselte es ihm, wenn er daran dachte, wie die „Kruzitürken“ auf seinem Pachthofe wirthschaften würden!
In der Bulgarenstadt war es lebendig. Die christlichen Bewohner haben hier ein ehrenwerthes, spießbürgerliches Aussehen; die Notabilitäten erfreuen sich der Angströhre auf dem Kopfe, die kleineren Leute haben dem Türken die Commodität des Fez abgeguckt – aber um „Freund Ruß“ nicht zu beleidigen, ist über den rothen Fez ein weißes Tuch angebracht und auf diesem prangt ein schwarzes Kreuz. Die Dirnlein von Sistowa sind drall, gesund und kernig. Sie stehen an den Brunnen und ihre Zungen platschen um die Wette mit dem eisfrischen Wasser, welches in ihre Krüge rinnt. Andere Sistowaer Gesichter lugen wieder aus den Hausthüren hervor und sehen nach den auf und nieder sprengenden russischen Officieren.
Doch da giebt's was zu sehen, von der Donau her erschallen laute Hurrahs, die Bulgaren winken einander zu und Alles rennt nach der Straße, die über holperige Stege zu dem Strome führt. Alles steht spannungsvoll da mit gaffendem Munde und weit geöffneten Augen. „Der Kaiser, der Kaiser!“ ruft geschäftig der Cicerone. „Kommen Sie, meine Herren, kommen Sie!“ Schon zeigten sich die Fellmützen der Tscherkessen von der Escorte, und hinter diesen keuchte der von zwei Pferden gezogene Wagen den Berg hinauf. Es war ein sehr einfacher, offener Reisewagen mit vier Sitzen. Der Kaiser, Großfürst Nicolaus und zwei junge Prinzen des kaiserlichen Hauses waren die Insassen desselben, alle vier in Campagne-Uniform mit weißer Tellermütze und sehr bestaubt. Der Kaiser sah sehr heiter aus und grüßte die herbeiströmenden Bulgaren mit beständigem Lächeln. Alexander der Zweite schien mir offenbar gesünder und bei besserem Humor, als damals, wo ich ihn in Petersburg bei der Rückkehr von Kischinew gesehen.
Neben dem Wagen, der in langsamem Schritt die Straße entlang fuhr, schritten einzelne Officiere der bulgarischen Legion (grüne Uniform mit der Pelzmütze und dem Kreuze darauf) mit gezücktem Säbel; auch ein Pope war unter ihnen; er hatte eben dem Czaren Salz und Brod gereicht. Der kleine kaiserliche Zug verschwand bald wie eine Vision hinter der Krümmung, die zum türkischen Stadttheil führt; wir dagegen eilten dem Donaustrande zu. Da winkte schon von ferne die Fahne mit dem an allen Donauhäfen sichtbaren K. K. D. D. G. (k. k. Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft.) Im Schatten der riesigen Flagge schaukeln sich etliche Barkassen, heute herrenlose Schiffe, deren sich die Türken bei Beginn der Feindseligkeiten bemächtigten und die nun verlassen dastehen. Einer von uns machte den Vorschlag, eine der Barkassen wegzuschleppen und dieselbe als „Reporterschiff“ für die Recognoscirung der Donaugelände zu verwenden. Aber da müßte man zuerst ein journalistisches Matrosencorps zusammen trommeln und sich nebenbei auch gegen Torpedos und ähnliche Unannehmlichkeiten assecuriren. Kaum findet man es werth, in dem vollkommen glänzend eingerichteten Gasthause der k. k. Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft darüber einige faule Witze zu reißen. Der verrätherische türkische Wein, zu dessen Genuß uns die Hitze und das scharf gewürzte „Rostbratl“ anspornen, löst bald alle Zungen, und es zeigt sich nun, daß Jeder so ziemlich seinen Kriegsplan fertig hat. Mit Hülfe des rothen Saftes ist der eine schon in einer Woche über den Balkan hinweg in Adrianopel eingeflogen, der andere garantirt den Einzug in Constantinopel binnen zehn Tagen. Da es aber rasch Nacht zu werden beginnt, müssen wir Balkan und Constantinopel-Besetzung im Stiche lassen und uns nach unseren Quartieren in Simnitza rückwärts concentriren.
Der ganze Horizont flackert in einem Flammenmeere, denn überall auf den Bergen wie in der Ebene sind Wachtfeuer angezündet, bis auf den höchsten Gipfel des Vorgebirges des Balkan. Auf der Insel finden wir das Kosakenlager in freudiger Erregung. Um ein ungeheures Wachtfeuer braten am Spieße ganze Hammel und zwei Fässer Wein sind angestochen. Ein Chor von dreißig Mann singt einzelne Sätze eines altrussischen Liedes, welche Sätze jedesmal mit dem aus dreihundert Kehlen dringenden Refrain enden: „Hurrah, hurrah, für unseren Czaren!“ Der Czar, den die Leute besingen, hat aber auch fünf davon mit der Tapferkeitsmedaille eigenhändig decorirt für ihre Haltung bei dem Donauübergang. Außerdem wurde der Sotnia eine Extra-Löhnung und Weinvertheilung zuerkannt. Daher die Freude. Unter den singenden Kosaken hatte sich der eine den Kopf in einen safrangelben Stiefel gesteckt, der andere befestigte ein reichgesticktes Damast-Läppchen auf seine Fellmütze, abseits lagen allerlei Kleinigkeiten türkischen Ursprungs, die für etliche Kopeken zu haben waren. So Mancher konnte da ein ganz billiges Andenken an Sistowa nach Hause bringen. Wir waren indessen versorgt; in den Trümmern der türkischen Wohnstätten hatten wir eine ganze Bibliothek an Gebetbüchern, Korans etc. aufgegabelt. Dies bildete unsern Beuteantheil.
(Mit Abbildung S. 511.)
„Da reich’ ich dir, das weißt auch du,
Dein letztes Futter, gute Muh!
Aus Noth mußt du nun von uns gehn,
Nie werden wir uns wiedersehn.“
Das Kindchen spricht es. Tiefbewegt
Die Hand auf's Thier die Mutter legt:
„Du hast uns Alle lang’ genährt,
Warst mir gleich einem Menschen werth –
Ich schloß in mein Gebet dich ein;
War’s Sünde, mag mir’s Gott verzeihn.
Wie um ein Kind drückt mir’s das Herz;
Es ist ein Leid und ist ein Schmerz.
Ich hab geweint auch um ein Kind,
Weiß, welche Thränen bitter sind.“
Der Händler feilscht, der Bauer zagt.
„Es soll! So sei es Gott geklagt.
Die letzte Kuh! Schlagt ein! Es soll!
Das Haus wird leer, das Unglück voll.“
Sie weinen all’; nur Einer lacht,
Der hat ein gut Geschäft gemacht.
An die alten Thomaner in aller Welt! – In Leipzig hat sich ein Comité gebildet, welches von vielen alten und jungen Thomanern gewählt und beauftragt ist, den Auszug aus dem alten Schulgebäude und den Einzug in das neue zu einer würdigen und möglichst gemeinsamen Feier recht vieler der Tausende von Zöglingen der altehrwürdigen Schola Thomana zu gestalten. Zweierlei soll mit dem Feste verbunden werden: erstens die Herstellung eines Verzeichnisses der sämmtlichen Thomaner mit der Angabe, „was aus ihnen geworden ist“, – als Festgabe für die Gegenwart –, und zweitens die Stiftung eines Stipendiums für tüchtige und bedürftige Thomasschüler mit, wenn möglich, einer oder mehreren Freistellen für Externe, – als Festgabe für die Zukunft. Ihre Adressen mit dermaligen Standes- und Berufsangaben schicken die alten Thomaner an die Herren: Pastor Prof. Dr. Fricke, Rector Prof. Dr. Lipsius oder Rechtscandidat Dr. jur. Gentzsch, die Beiträge zur Stiftung aber an Prof. Dr. Heym, Zimmerstraße 6, in Leipzig.
D. Ch. in R. .Die in dem Koppenfels’schen Artikel über Gorillajagden (Nr. 25[WS 1] unseres Blattes) erwähnten Objecte, welche der Reisende mit nach Europa gebracht, befinden sich zum allergrößten Theile im Dresdener Museum, und zwar das Seite 419 erwähnte Gorilla-Männchen als ausgestopfter Balg und als Skelet, von dem Seite 420 erwähnten Gorilla-Männchen der Schädel und die defecte Haut; ferner die Seite 420 erwähnten zwei Chimpansen, ein altes Männchen und ein junges, beide als ausgestopfte Bälge und Skelete. Es bildeten die Objecte eine ausgezeichnete Bereicherung der an anthropomorphen Affen schon reichen Sammlung. Außerdem erhielt das Museum von Herrn von Koppenfels noch eine größere Reihe vortrefflich präparirter und conservirter Säugethiere, Vögel, Amphibien, Insecten etc.
Fr. in W. Nicht geeignet.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Nr. 28
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_514.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)