Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
|
Deiner Wege!“ setzte sie leicht hinzu, „oder wenn Du noch gern in der warmen Stube bist, so setz’ Dich hin und erzähl’ mir was. – Wie war das, was Du von dem jungen Himmelmooser Bauern gesagt hast? Ich hab’s nicht recht verstanden.“
„Was wird’s sein,“ erwiderte er, „als daß es ihn auf dem Hof nicht leidet. Drum will er fort und will sein Mädel auch mitnehmen, die doch an Allem schuld ist. Ja. ja! Kannst es halt nicht lassen, Alte,“ fuhr er auflachend fort. „Wenn Du auch nimmer auf dem Hof bist, kannst es doch nicht lassen, Dich nach dem Buben zu erkundigen, der doch einmal Dein Herzkäferl gewesen ist.“
„Das ist lang vorbei,“ sagte Judika und bückte sich auf die Arbeit nieder. „Seit ich weiß, was er für ein gottloser Mensch ist, will ich nichts mehr von ihm wissen. Dem ungeachtet wär’ ich vielleicht geblieben, bis es entschieden gewesen wäre, was ihm geschieht, aber Du kannst Dir wohl denken, was mich vertrieben hat.“
„Was denn? Das kann ich mir nicht denken,“ erwiderte Fazi in einer Weise, die deutlich erkennen ließ, daß er sehr wohl daran dachte. „Wirst doch nicht etwa das dumme Zeug meinen –“
„Was für dummes Zeug?“
„Daß der alte Himmelmooser die ewige Ruh’ nicht finden kann und umgehen muß.“
„Nennst Du das dummes Zeug?“ fragte Judika, indem sie ihre Augen durchdringend auf Fazi heftete, sodaß er die seinen davor niederschlug. „Du glaubst also nicht an solche Sachen?“
„Nein,“ erwiderte er mit einem Lachen, das noch lauter, aber sehr gezwungen klang. „Solche Sachen giebt’ s nit.“
„So, dann bist Du besser daran als ich; mich hat die Waitz vom Himmelmoos vertrieben,“ war Judika’s Antwort; „solche Sachen giebt’s wohl; ich kann davon erzählen.“
„Was?“ fragte der Bursche, den, so keck und ungläubig er sich stellte, ein Schauder überrieselte. „Hättest Du vielleicht gar etwas gesehen?“
„Das hab’ ich,“ begann Judika, ihn nicht aus den Augen lassend. „Das ist es auch gewesen, was mich vom Himmelmoos verjagt hat. Es ist mich hart genug angekommen, fortzugehen, und hat mich doch nichts genützt.“
„Nichts genützt? Wie denn das?“
Judika zog wieder den Docht in die Höhe und sah in der Stube herum, als ob sie sich selbst fürchte. „Weil’s mich überall verfolgt,“ sagte sie leise, „weil’s mir auch hierher nachgegangen ist.“
„Hierher?“ rief Fazi emporspringend, sie aber zog ihn nieder und flüsterte fort: „Es sind noch keine acht Tage, daß ich Nachts nicht hab’ schlafen können; mir ist ganz eigen zu Muthe gewesen und hat mich an’s Fenster getrieben, ohne daß ich selbst gewußt hab’ warum. Da hab’ ich in die stockfinstre Nacht hinausgeschaut, und auf einmal hab’ ich vom Bruch her einen Schein gesehen – so einen gelben und blauen Schein, als wie wenn der Schwefel brennt, und in dem Schein mitten drinnen eine Gestalt, die ich nur zu gut gekannt habe … Der Alte hat plötzlich in allen seinen Sünden aus der Welt fortgemußt in die Ewigkeit; er kann nicht hinein in die ewige Seligkeit und wird im Fegfeuer sitzen müssen …“
Fazi schüttelte sich. „Das Alles hat Euch geträumt,“ stieß er mühsam hervor.
„Ich bin wach gewesen, wie jetzt,“ sagte Judika wieder, „und seitdem hab’ ich keine Nacht Ruh’ g’habt; denn in jeder Nacht seh’ ich in Gedanken den Schein wieder; ich sehe die Gestalt, das blasse, klägliche Gesicht, gerade so, wie er als Todter auf der Bank gelegen ist. Nachher hebt er die Händ’ auf, als wenn er bitten thät, und sagt mit einer Stimme, die Einem durch Mark und Bein geht: …“
„Hör’ Sie auf!“ rief Fazi, dem die Zähne aneinander schlugen. „Bei den Dummheiten kommt Einem wider Willen das Gruseln an.“
„O, mich gruselt auch, so oft ich daran denke,“ fuhr die unerbittliche Erzählerin fort. „Den ganzen Tag bring’ ich das Gesicht nicht aus dem Sinn und die Stimm’ nicht aus den Ohren, wie er die Händ’ aufhebt und bittet und ruft: ’Hilf, Judika, hilf!’“
„Ihr seid eine alte Närrin, und ich bin auch ein Narr, daß ich Euch zuhöre,“ rief Fazi und sprang auf, aber an allen Gliedern bebend, sodaß er nach der Tischplatte langen mußte – dennoch vermochte er sich nicht zu halten und knickte hart an der Bank in die Kniee zusammen, denn von draußen klang laut und angstvoll der Ruf: „Hilf, Judika, hilf!“
General Lewinski hatte uns mit der größten Bereitwilligkeit die Fermans ertheilt, die uns die Straße nach Bulgarien eröffnen sollten. Nach einem ausgiebigen, von einem englischen Collegen gespendeten Frühstück ging es von unserm Landhäuschen aus den schmalen Pfad hinunter, welcher zur Donau führt. Die Staubmassen, welche jeder Reiter aufwirbelte, wurden erst nach einer Viertelstunde durchsichtiger, dann hellte sich die Landschaft auf, wir waren auf einem weiten Flecken grüner Erde, welchen der Strom von drei Seiten anspülte. Wir schritten nun gerade aus auf das Ufer und – Bulgarien zu, welches so vor uns lag, als könnte man mit der Hand danach greifen. Eine trügerische Nähe, denn wir waren noch über dreiundeinhalb Kilometer von dem Gestade entfernt. Auf der Halbinsel selbst sah es aus wie in einem Lager. Hier ruhten die Truppen, ehe sie über die Donau setzten. Die unvermeidlichen Kosaken machen sich auch hier breit, und sie sehen auch um etliche Grad ungemüthlicher aus, als in den Straßen von Bukarest.
Endlich stehen wir am Strande des capriciösen und herrlichen Stromes. Auf demselben geht es ziemlich lebhaft zu, hinüber und herüber rudern Kähne mit Soldaten und Material beladen und zwischen den Kähnen dampft majestätisch ein Steamer, er bringt das Rohmaterial für die eben zu vollendende Pontonbrücke. An der ersten Brücke waren wir ohne Schwierigkeiten passirt, an der zweiten jedoch, wo Tags zuvor einige Pontons durch den Sturm weggerissen wurden und dadurch eine Lücke entstanden war, mußten wir die Pferde zurücklassen, deren Transport umständlich gewesen wäre. Dafür beorderte der hier commandirende General Richter einen jungen Aspiranten, der die Mission hatte, uns bis zur zweiten Brücke zu geleiten und dort ein Boot zu requiriren, auf welchem wir uns einschifften und, von zwölf Matrosen en pleine parade gerudert, das Ufer Bulgariens erreichten.
Welch ein herrliches, üppiges Land, das Bulgarien, in der That wohl werth, einem freien, glücklichen Volke als Heim zu dienen! Selbst die Felsen, an deren Fuße das Boot anlegte, sind mit hohem, duftendem Grase, mit Blumen und herrlichen Bäumen bedeckt. Soweit das Auge schweift, beherrscht es die nämliche üppige Flora, denselben Luxus der Vegetation. Welch eine Sünde, in diesem Eden – als solches präsentirt sich Bulgarien – frevelhafte Massenmorde auszuführen, wie im vorigen Jahre, oder Krieg zu führen, wie heuer! Man hat einige Mühe, sich in die Situation, welche die Politik dem Landstriche geschaffen, hineinzuleben und sich die Scene vorzustellen, die sich vor vier Tagen bei Morgengrauen hier abspielte, denn wir sind just an jener Stelle, wo der Kampf zwischen den landenden Russen und den Türken wüthete. Da oben auf dem von Bäumen beschatteten Plateau knieten die türkischen Tirailleure und sandten den Ankömmlingen Tausende von eisernen Grüßen entgegen. Jeder Tirailleur fand da hinter dem Gebüsche, hinter den einzelnen Bäumen eine bequeme Brustwehr, die russischen Angreifer dagegen segelten auf offenem Strome dem feuer- und verderbenspeienden Ufer entgegen. Ein wenig abseits von der Tirailleurstelle, auf dem höchsten Plateau, war eine Batterie aufgefahren; deren Kugeln waren es, die einige schwere russische Pontons mit Kanonen, Pferden und Mannschaft den Donaunixen im unermeßlichen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_512.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)