Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Häuschen der Telegraphenstation, als er benachrichtigt wurde, man werde auf Giurgewo schießen und es wäre rathsam, Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. „Pah,“ erwiderte der gemüthliche Oesterreicher, „die Kruzi-Türken werden doch nicht auf eine wehrlose Stadt schießen?“ Der Commentar zu dieser kriegsrechtlichen Vermuthung ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatten die russischen Batterien zu „schreien“ begonnen, wie sich eine Frau neben mir ausdrückte, die in Bulgarien das Deutsche entweder verlernt oder erlernt hatte, als eine erste Kugel gerade unter dem äußeren Balcon des Telegraphenamtes platzte. Fast das ganze Gitter wurde weggefegt. Das war aber blos eine Art Ankündigung, denn fünf Minuten später kamen hintereinander nicht weniger als sieben Bomben geflogen, welche in dem ganzen Amte die größte Confusion anrichteten. Nun wurde es immer lebendiger. Die Türken hatten offenbar das Telegraphenamt als Kugelfang auserkoren, denn in einer Stunde rauschten hundertundvier Bomben um dasselbe. Glücklicher Weise platzten die meisten nicht, aber trotzdem ist das ganze Gebäude jetzt unbrauchbar und wird das nächste Budget in den rumänischen Kammern einen ziemlich starken Posten für den Wiederaufbau der Telegraphenstation Giurgewo aufnehmen müssen. Der Telegraphist und ein ihm beigegebener russischer College blieben fünf Stunden lang mitten im schrecklichsten Eisenregen gefangen; der Russe war ganz außer sich über die Gleichgültigkeit und die Gemüthsruhe des Deutschen. Namentlich konnte er nicht begreifen, wie man in einem solchen Momente zu rauchen wagte. „Ja sehen's,“ erwiderte der Oesterreicher, „wann ich schon caput werden muß, so soll's wenigstens mit der Cigarr' im Maul geschehen.“ Aber es ging Keiner caput, denn es steckt ja in jeder Bombe ein Fünkchen Humanität. Sie vergreift sich an Dingen, läßt aber die Menschen ungeschoren. Die nämliche Ansicht theilten offenbar zwei englische Berichterstatter, die mitten im intensivsten Bombardement am Gitter des Telegraphenbureaus erschienen und mit der nämlichen Kaltblütigkeit eine Depesche aufgeben wollten, als hätten sie von Brighton nach London über die Geburt eines Seehundes im Aquarium der ersteren Stadt telegraphiren wollen.
„Ich war ganz ‚paff‘,“ meinte der Telegraphist, als er dies erzählte, „und mußte die Herren fragen, wie sie überhaupt hierhergelangt waren. Sie zuckten die Achseln und schienen es durchaus nicht begreifen zu wollen, daß ich die Telegramme nicht expediren konnte.“
Vorläufig wurde Post und Telegraphie in der Privatwohnung des Beamten untergebracht – bis auf Weiteres. Je mehr der Abend herannahte, desto heftiger wurde auch die Kanonade. Die Türken waren am Anfange etwas nachlässig, aber sie animirten sich rasch. Nur – soviel es möglich war, überhaupt Beobachtungen anzustellen – ein wenig hatten sie sich der Stadt erbarmt. Dafür zielten sie mit Beharrlichkeit auf die oben erwähnte große Dampfmühle, das Eigenthum eines der reichsten, wenn nicht des reichsten Grundbesitzers der Umgebung, des ebenfalls schon genannten Herrn Bololesco, der sich vom Bauer zum dreifachen Millionär emporgeschwungen. Kaum dauerte das Bombardement eine Stunde, als eine starke Rauchsäule über die Mühle emporschlug. Die Leute zischelten wohl hier und da einander zu: „Feuer in Rustschuk!“, aber die Tiefe, aus der sich die Rauchsäule erhob, deutete darauf hin, daß der Feind diesmal nicht zu Schaden gekommen war. Die ungeheuren Mehlvorräthe, welche neben der Mühle aufgespeichert lagen, lieferten dem Brande nur zu rasch eine ausgiebige Nahrung; der röthliche Widerschein war bei Sonnenuntergang so gewaltig, daß die Anhöhe von Rustschuk uns wie in Tagesbeleuchtung erschien. Ein kleiner Hügel, auf dem sich das löbliche Publicum versammelt hatte, bot einen ausgezeichneten Beobachtungspunkt. Mein erster Blick schweifte hinüber, oberhalb des Bahnhofes, um zu entdecken, ob das kleine Wirthshaus noch dastehe, wo ich vor acht Monaten an einem Novembertage vierundzwanzig vergnügte Stunden zugebracht. Ja, es steht noch da, von seinem Garten umgeben mit der herrlichen Aussicht auf das ganze Donaugebiet. Aber daneben bemerkt man etwas Verdächtiges, wie die Schlünde einiger Kanonen. Diese Nachbarschaft konnte für das Häuschen verderblich werden, und ich zweifle, ob der Dragoman des Wirthes, der „Schani“, der Gatte der schönen Spaniolin, der ehemalige Polizei Agent, den Gästen, wenn es solche giebt, mit der nämlichen Seelenruhe den sammetnen Bulgarenwein kredenzt und mit der Genialität, die ich damals an ihm bewunderte, die Einkehrenden um kolossale Bakhschisch zu prellen versteht. Doch werden wir nicht bald persönlich dem Herrn Schani einen Besuch abzustatten in der Lage sein? Das wissen die Götter und der Chef des russischen Generalstabes, der aber eine hermetische Verschlossenheit an den Tag legt, die wohl mit den Wertheim'schen Cassen concurriren könnte. Wir hören nur gerüchtweise (von einem Zeitungsblatte ist hier keine Rede), daß die Donau bereits bei Braila überschritten wurde und es nicht lange dauern kann, bis sie auch hier überbrückt werden wird; so oft wir um die geringste Auskunft nachsuchen, erhalten wir Antworten, die nur darauf berechnet sind, uns unsere Indiscretion fühlen zu lassen. Man scheint nicht die geringste Ahnung zu haben, daß Kriegscorrespondenten sich auf die Beine gemacht haben und ihren Zeitungen – manchmal – ein Heidengeld kosten, eben um etwas in Erfahrung zu bringen.
Die Krankenpflegerin. In allen Phasen der Geschichte erblicken wir die Frau als die Repräsentantin eines höhern Wissens, einer Divinationsgabe, die ihr vom Himmel gleichsam als Mitgabe für ihr Erdenleben verliehen worden. Wir begegnen ihr bald als Sibylle, bald als Vesta, den Priestern zur Hand oder beim Opferdienst auf dem heiligen Dreifuß die Orakel verkündend. Erst die christliche Kirche hat sie dieser Höhe entkleidet, sie in enge Hallen gebannt und ausgeschlossen aus dem großen Verband der menschlichen Gesellschaft und des Familienlebens.
Das harte Urtheil der ihr innewohnenden Sündhaftigkeit bezahlte sie mit Thaten des Mitleids; sie heilte Kranke, suchte im Walde heilende Kräuter und bereitete Genesung bringenden Trank. Ihre Natur trieb sie dazu Aerztin zu werden. Da, wo sie half, glaubte man an sie; allein sie konnte nicht Allen Heilung bringen, und wo ihre Mittel fehlschlugen, da klagte man sie der Giftmischerei an, brachte sie vor den Richterstuhl – verbrannte sie als Hexe.
Wir besitzen von dem berühmten Michelet zwei schöne Bücher, „La femme“ und „La sorcière“, in denen er das Schicksal begabter Frauen durch alte Zeitalter verfolgt. Es ist eine anregende Lectüre, namentlich für Frauen, und sollte mehr von ihnen gekannt sein, als es der Fall ist. – Das Bedürfniß der Frau zu heilen, zu pflegen, hat in allen christlichen Ländern einen Wirkungskreis gesucht, in engen Grenzen auch einen solchen gefunden. Die katholische Kirche hat die barmherzigen Schwestern eingeführt; in Belgien pflegen die Beguinen, der Protestantismus hat die Diakonissinnen geschaffen. Diese Schwesterschaften fordern ein Verzichten auf die Freuden der Welt und liefern dabei nur dienende Hände. Sie sind vortrefflich in ihrer Art und in ihren Hülfeleistungen ein Segen; allein ihr Können ist ein beschränktes, weil es von keinem Wissen unterstützt wird. Die Freiheit des Handelns ist ihnen benommen; sie sind das blinde Werkzeug einer höhern Intelligenz.
Die Genfer Convention vom 22. August 1864, ein internationaler Hülfsverein zur Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Soldaten forderte die Ausbildung von Krankenwärterinnen als eine Hauptobliegenheit unserer Zeit; denn ohne geeignete Pflege und Wartung ist keine Möglichkeit der Heilung. Der große vaterländische Frauenverein, an dessen Spitze Ihre Majestät die Kaiserin Augusta trat, machte es sich zur Aufgabe, Anstalten zur Ausbildung dieser Pflegerinnen zu gründen. Baden ging darin mit rühmlichem Beispiele voran.
Jedes Mädchen und jede Frau von zwanzig bis vierzig Jahren, gleichviel welcher Religion sie angehört, kann in den Dienst des vaterländischen Vereins treten, wird auf dessen Kosten ausgebildet und dann in der Krankenpflege verwendet. Diese dienenden Schwestern gehen aus der Classe der Dienenden hervor; ihre Lage ändert sich nur insofern, als die Arbeit für sie eine andere geworden ist und sie einen höheren Grad der Gesittung erlangen durch die ihrem Gemüthe angediehene Pflege. Es steht ihnen dabei frei, ihr Verhältniß zu dem Vereine jederzeit zu lösen, sich zu verheirathen, auf eigene Hand zu verpflegen. Sie sind frei, und kein Gelübde bindet sie. In den Hospitälern, wo sie Verwendung finden, steht eine Oberin an der Spitze, die über sie die Aufsicht führt. Diese Oberin ist eine gebildete Dame, welche die Krankenpflege gründlich gelernt hat. Sie speist mit den dienenden Schwesten, wohnt aber für sich, empfängt in ihren Zimmern, gebietet unter der Anweisung der Aerzte, was für die Kranken geschehen soll.
Jeden Morgen erscheinen diese Herren im Hospital und machen die Runde durch die Säle. Die Oberin begrüßt sie im Conferenzzimmer, berichtet, was sich zugetragen, und nimmt fernere Instructionen entgegen. Ihr Amt ist ein sehr verantwortliches, aber auch ein sehr schönes; denn sie ist gleichsam das Licht dieses großen Hauses; sie ist der Sonnenschein für den armen Kranken, der nach einem tröstenden Worte verlangt, der sich an ihrem Zuspruche aufrichtet.
Der Wirkungskreis einer solchen Oberin ist der größte und schönste,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_480.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)