Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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daß ich Ernst machen kann. Wird eine schöne Scene gewesen sein – Krämpfe – Eau de Cologne – Hausarzt – Thränen – Geschrei von Tante Excellenz und Geheul von Cousine Präsidentin, aber zuletzt giebt chère maman nach, küßt das Teufelsmädel und schickt sie so schnell wie möglich hierher, damit ich mich nicht todtschießen lasse. Will auch nicht mehr, aber dafür will ich heimziehen, kolossale Hochzeit machen und mein Mädel wird eine Staatsgräfin werden – glauben Sie nicht?“
„Ohne Zweifel,“ versetzte ich lächelnd. „Und das Gedicht?“
„Wahrhaftig! Hätte fast vergessen!“ Der Graf holte ein Blatt Papier herbei. „Wollte meine Braut gestern zu den Kranken im Spitale gehen. Bat sie, hier zu bleiben, aber Teufelsmädchen lachte mich aus, daß ihr die Thränen in den Augen standen, und ging. Ich aber dichtete:
Liebe Magda es ist schändlich.
Daß Du schon von hinnen gehst;
Meine Sehnsucht ist unendlich,
Aber Du, Du widerstehst.
Nie hätt' ich geglaubt, o Magda,
Das Dein Herz so schlecht es meint –
Und jetzt lachst Du! Gott, wer lacht da? –
Magda lacht da, bis sie weint.“
Der Graf hatte mit höchstem Pathos gelesen.
„He, schöne Verse?“ sagte er jetzt mit innigem Behagen an seiner poetischen Leistung. „Magda – lacht da – wie das klingt! Aber versichere: schauderöse Arbeit, mein Freund; will lieber Batterie stürmen und denke, ich werde mein Lebenlang keine Verse mehr machen.“
Wir hatten beinahe eine Stunde Aufenthalt in Fratesti. So heißt die Station vor dem Donauhafen Giurgewo. Auf dem zweiten Geleise stand ein Zug, aus einem Hofwaggon und mehreren Lastwagen bestehend, und als unser Train einfuhr, betrachtete denselben ein rumänischer Officier, der ganz gemächlich seine Cigarre rauchte. In dem Zwielichte der Dämmerung erkannte ich Fürst Carol; derselbe kam eben von Giurgewo und hatte daselbst dem zweiten Bombardement beigewohnt. Er war sogar in durchaus nicht geringer Gefahr, da eine Bombe ungefähr zwanzig Schritte von ihm im Augenblicke geplatzt war, als er das Lazareth betreten wollte, worin man einige Civilverwundete untergebracht hatte. Wie gesagt, wir mußten eine gute Stunde warten, und da in diesem Augenblicke in ziemlich weiter Entfernung im türkischen Gebirge ein Wetter losgebrochen war, so hielten selbstverständlich die mit einer reichhaltigen Phantasie ausgerüsteten Passagiere die in regelmäßigen Pausen aufeinander leuchtenden Blitze für ebenso viele Kanonenschüsse. Die Pfiffigsten, welche ja immer das Gras wachsen hören, versicherten sogar, daß sie die russischen und türkischen Schüsse unterscheiden könnten. Schließlich mußten sie sich aber doch auf die Aussage des Telegraphenbeamten hin beruhigen, der versicherte, er hätte soeben telegraphirt und die Antwort erhalten, seit zwei Stunden sei kein einziger Schuß gefallen. Es hatte also wohl Kanonade gegeben, aber für diesen Tag kamen wir entschieden zu spät.
Lautlos, ohne einen einzigen Pfiff glitt der Zug endlich zwischen einem Spalier Soldaten in den Bahnhof ein. Der Begleiter des Trains, ein Mann in vollständiger Civilkleidung, sperrte mit einem Sicherheitsschlüssel die hermetisch versperrten Wagen auf; wir waren angelangt, durften aber vorläufig nicht weiter, als in das Revisionsbureau des am Bahnhofe commandirenden Obersten. Derselbe recognoscirte unsere Photographien, erbat sich die Visitenkarten und reichte uns zum Schlusse die Hand. Jetzt durften wir uns frei bewegen, das heißt in der Stadt auf eigene Gefahr die Nachtlager aufsuchen – wie sie eben bei der Hand waren. Wir wanderten die breite Straße, welche durch ganz Giurgewo bis an das Donau-Ufer führt. Tiefes Geheimniß lagerte auf der sonst ziemlich rührigen Hafenstadt; sämmtliche Häuser, mit der einzigen Ausnahme einer kleinen jüdischen Branntweinbude, waren verschlossen, die Läden verhängt; kein Licht flackerte auch nur hinter einer einzelnen Fensterscheibe. Der schalkhafte Mond glitzerte auf die blanken Zinkkuppeln der Kirchen, deren Giurgewo drei aufzuweisen hat. Bald zeigte uns der eigenthümliche Geselle die Spuren türkischer Liebenswürdigkeit.
Wir bekamen dieses Schauspiel am besten zu genießen, als wir beim ersten Hôtel von Giurgewo anlangten, um daselbst ein Nachtlager zu erbeuten. Wie es da aussah! An der eleganten Veranda, die durch eine stattliche Glasgalerie geschützt wurde, war keine Scheibe mehr ganz. An der Wand oberhalb des Eingangsthores gähnten zwei Löcher, so groß, daß man mit Kürbissen hätte hineinwürfeln können. Der Dachstuhl war auch an zwei oder drei Orten abgebrochen, und dem Hôtel gegenüber war eine kleine mit Stroh überdachte Hütte zu einem Scheiterhaufen zusammengeschossen worden. Aufrichtig gesagt, heimelte mich der Gedanke, in diesem zu sehr exponirten Hôtel den Türken als Zielscheibe zu dienen, sehr wenig an. Mein Beschluß war, vorläufig auf den Bahnhof zu retiriren. Es ging daher zurück an Kosaken vorüber, die auf ihren nervigen Pferden gespensterartig durch die Straßen huschten.
Das kleine Restaurationslocal des Bahnhofs war von russischen Officieren voll, welche, das Glas in der Hand, Ersatz suchten für den fehlenden Schlaf. Darunter zeichnete sich, meiner Wenigkeit gegenüber, ein alter, sehr treuherzig aussehender Major durch seine besondere Freundlichkeit aus. Derselbe, früher vom commandirenden Oberst beauftragt, uns den Weg nach der Stadt zu zeigen, hatte den ersten der sich verbeugenden Kriegs-Correspondenten mit kräftiger Faust beim Arm gefaßt und auf diese höchst bezeichnende Weise an die Luft spedirt. Die Uebrigen folgten nach. Als er mich wiedersah, wollte der gemüthliche Alte durchaus mit mir ein russisches Gespräch anknüpfen, leider war es mir aber nicht möglich Antwort zu stehn, worüber der würdige Mann sich äußerst zu grämen schien, bis wir uns durch das Anstoßen der Gläser wenigstens theilweise verständigten. Die Nacht war unter Geplauder und Gesundheittrinken mit den verschiedensten Vertretern der russischen Heeresmacht bald verstrichen. Mit den ersten Morgenstrahlen stellte sich aber in dem erwähnten Local eine Invasion ein, wie man sich dieselbe nicht ärgerlicher und lästiger vorstellen kann. Aus allen Winkeln und Ecken, aus den Fensternischen und Thürangeln entwickelten sich zahllose Schwärme von Fliegen, die weder dem Mund, noch den Augen, noch der Nase Ruhe ließen. Es war nichts anderes zu thun, als vor diesen Myriaden kleiner Peiniger die Flucht zu ergreifen. Aber wohin? Wir bestiegen den Dachstuhl des Bahnhofsgebäudes; von hier aus überblickt man die gesammte herrliche Umgebung viel besser als von dem Feuerthurm, welcher nach türkischer Sitte (Giurgewo war noch 1828 türkische Festung) den Mittelpunkt der Stadt einnimmt. Unmittelbar zu unseren Füßen dehnt sich auf einer verhältnißmäßig sehr großen Fläche die Stadt aus. Die meisten Häuser sind von gefälliger Bauart, reinlich, und tauchen aus dem üppigsten Grün empor. In der Mitte dieser niederen Cottagehäuser ragen die Kuppeln der Kirchthürme empor, das größte und stattlichste Haus aber ist die Schule, ebenfalls von den türkischen Bomben stark mitgenommen; daneben befinden sich die Präfectur, wo heute kein Präfect ist (die ganze Verwaltung hockt in Comana, dreißig Kilometer von hier), das Telegraphenamt und zwei oder drei Privatvillen. Ein langer weißer Streifen zeigt den Lauf der Donau. In der Mitte derselben steht eine mit starkem Gebüsch bedeckte Insel, auf welcher die Russen ebenfalls eine Batterie errichtet haben. Etwa zwanzig bis dreißig Maste ragen aus dem Wasser über die Häuser empor; es sind die Barkassen, die sich bei Beginn des Krieges in den Hafen von Giurgewo geflüchtet haben. Dicht an dem Hafen arbeitet die großartige Dampfmühle des reichsten Besitzers der Umgebung, eines Herrn oder Dom Bololesco, bei der beträchtliche Vorräthe aufgespeichert sind.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_477.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)