Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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wie es z. B. in der großen Fabrik zu Liesing, unweit Wien, befolgt wird, ist im Allgemeinen folgendes. Guter und frischer Rindstalg wird in Eiswagen nach der Fabrik befördert, die blutigen Theile und gelben Stücke von den reinweißen gesondert und nur die letzteren benutzt. Man schmelzt das Fett, seihet es durch Leinwand und läßt es langsam erkalten. Die bei fünfzig bis sechszig Grad flüssig bleibenden Theile, werden von den bereits erstarrten Antheilen abgegossen oder durch Abschleudern (in der Centrifuge) getrennt und dienen allein zur Kunstbutterbereitung. Das ausgeschiedene härtere Fett, welches etwa zweiundvierzig Procent beträgt, wandert in die Kerzenfabriken. Die weichen Talgtheile werden nun sehr sorgsam, wenn nöthig unter Zuhülfenahme von Chemikalien, mit Wasser gewaschen und schließlich unter Zusatz von etwas Milch mit oder ohne Salz, „verbuttert“. Verschiedene Werthabstufungen können dann noch erzeugt werden, indem man mehr oder weniger wirkliche Kuhbutter hinzusetzt, aber auch das reine Talgpräparat ist dem äußern Ansehen nach kaum von echter Butter zu unterscheiden, namentlich wenn in der Farbe noch etwas nachgeholfen wird. Es ist wahr, daß diese Ochsenbutter schließlich keinen gesundheitsschädlichen Charakter besitzt und im Nährwerthe der Kuhbutter vielleicht nicht nachsteht, aber das Gefühl, mit den Talglichter verzehrenden Kosaken auf dieselbe Stufe gestellt zu werden, ist kein besonders anmuthendes. Das Schlimmste ist, daß der Nachweis, ob sich Ochsenbutter in der Kuhbutter befindet, nicht leicht zu sein scheint; das Einfachste dürfte noch sein, eine Probe der fraglichen Butter auf ein Stück Leinenzeug zu streichen, dasselbe anzuzünden und den Geruch nach dem Ausblasen zu prüfen, vor Allem aber zuzusehen, von wem man die Butter kauft.
„Des Knaben Wunderhorn“ in neuer Ausgabe. Wer die Lieder des Volkes studirt, der studirt die Seele des Volkes. Wer sie sammelt, der liefert uns einen schätzenswerthen Beitrag zur Psychologie des Volkes. Das Arnim-Brentano’sche Sammelwerk „Des Knaben Wunderhorn“ ist seit den Jahren seines Erscheinens (1806 bis 1808) eine Zierde unserer volksthümlichen Literatur und hat zur Wiederbelebung des damals nur zu sehr geschwundenen Nationalbewußtseins das Seine beigetragen. Heute stehen wir wieder auf der Höhe nationaler Größe, und damit ist auch der Zeitpunkt gekommen, wo es uns ziemt mit Dank der Veteranen zu gedenken, welche dem Ruhm, in welchem wir uns heute sonnen, schon vor Jahrzehnten Licht und Luft verschafften zu gedeihlichem Wachsthum. Ein solcher Veteran, ein Vorkämpfer des Geistes ist auch „Des Knaben Wunderhorn“, und mit aufrichtiger Freude begrüßen wir daher die neue Ausgabe des trefflichen Sammelwerkes, welche Professor Anton Birlinger in Bonn und Professor Wilhelm Crecelius in Elberfeld soeben mit dem bei Heinrich Killinger in Wiesbaden und Leipzig erschienenen zweiten Bande zum Abschluß gebracht haben. Das mit Originalzeichnungen von H. Merté geschmückte Prachtwerk, welches uns eine zeitgemäße wissenschaftliche Umarbeitung der alten Ausgabe bietet, muß als ein dankenswerthes Geschenk der Kritik und der Sprachforschung an die deutsche Nation bezeichnet und daher einer allgemeinen Beachtung warm empfohlen werden.
Telegraphische Concerte. Das Sprache und Musik vermittelnde Reis-Bell’sche Telephon, von welchem in Nr. 13 Seite 220 dieses Jahrgangs die Rede war, ist inzwischen in Amerika zu einem Gegenstande der allgemeinsten Aufmerksamkeit geworden. Am zweiten April fand in der großen Steinwayhalle zu New-York das erste telegraphische Concert statt, dessen Virtuosen zu Philadelphia am Claviere saßen. Es hatte einen eigenen mysteriösen Reiz, die Melodien aus Martha und andern bekannten Opern, so wie sie in zehn Meilen Entfernung vorgetragen wurden, wie auf Geisterflügeln herbeigetragen, mitanhören zu können, als ob die Musik etwas gedämpft aus dem Nachbarsaale erklinge. Es ist kaum zu bezweifeln, daß man diese ätherischen Genüsse bald auch den Bewohnern anderer Großstädte bieten wird. Ein Virtuose, der sich darauf legte, könnte sich mittelst dieser elektrischen Echos gleichsam vervielfältigen, seine Leistungen nach allen Richtungen der Windrose versenden und an zehn oder mehr Orten zugleich Lorbeeren einernten.
Ein Redner würde desgleichen, was bisher nicht einmal dem Fürsten von Liechtenstein möglich war, zum ganzen Lande sprechen können, denn Professor Bell hat gezeigt, daß er von Boston nach Salem Jemandem etwas in’s Ohr flüstern konnte, ja in Salem sogar noch verständlich war, wenn die Ströme den weiten Umweg über North-Conway nehmen mußten. Man denke sich die Wirkung eines päpstlichen Fluches, der auf diese Weise direct nach St. Petersburg und Varzin geleitet würde! Das wäre Donner und Blitz auf einen Schlag. Und welche Erleichterung für die Wahlreden, die nur an einem Orte gehalten zu werden brauchten und ein Echo im ganzen Kreise fänden, soweit das Drahtnetz seine Nervenfäden aussendet! Der Redner wäre dann den Einwendungen und Unterbrechungen, Lorbeerkränzen und faulen Aepfeln gleich unerreichbar.
Beethoven-Reliquien. Die fünfzigste Wiederkehr von Beethoven’s Todestage hat die Erinnerungen an die Persönlichkeit des großen Tonsetzers auf’s Neue belebt. So dürfte denn den Beethoven-Freunden die Gelegenheit, einige werthvolle Erinnerungsstücke des Meisters zu erwerben, gerade jetzt nicht unwillkommen sein. Der Redaction der „Gartenlaube“ ist kund geworden, daß aus Beethoven’s Nachlasse noch höchst interessante Reliquien vorhanden, welche die Verehrer des im Herzen so Vieler fortlebenden Todten unter Umständen käuflich an sich bringen können. Diese Reliquien bestehen aus zwei eingebundenen Heften eigenhändiger Briefe und Schriftstücke Beethoven’s, aus verschiedenen musikalischen Skizzen, einer Standuhr (Stutzuhr), einem Stock, Leuchter, Briefbeschwerer, einer Brille etc. Die Echtheit derselben wird documentirt und außer allem Zweifel gestellt. Zur Zeit befinden sich diese Gegenstände in den Händen einer alten Dame, welche in ihrer Jugend oft Gelegenheit hatte, Beethoven zu begegnen und die sich dieses um der Erinnerungen willen so theuren Besitzthums zu entäußern genöthigt ist, um so Mittel zu gewinnen, die Leiden des Alters sich zu erleichtern. Die Redaction dieses Blattes teilt Näheres gern mit.
C. Emmerich in Crefeld. In der streitigen Angelegenheit, wer der Componist des Czarliedes sei, ist das „Sonntagsblatt“ Nr. 8 vom 25. Februar 1877 schlecht berichtet. Ich habe, als intimer Freund Lortzing’s, vollkommene Kenntniß der Oper „Czar und Zimmermann“ von dem Momente an, wo die Idee entstand, bis zur vollkommenen Gestaltung derselben. Ich habe mit Lortzing das Hermann’sche Schauspiel „Der Bürgermeister von Sardam“ gelesen, welches zu Anfang unseres Jahrhunderts erschien und dem französischen Schauspiele „Pierre le Grand“ nachgebildet war.
Lortzing fand es passend für eine Oper, und er schritt zur Anfertigung des Textbuches, wo er in seiner wenig heitern Laune sich nur als ganz einfacher „Värschmacher“ betrachtet wissen wollte. Er sagte mir einmal: „Bei dieser Arbeit muß man mehr Schneider als Dichter sein. Hier diese Pièce darf nicht zu lang, diese nicht zu kurz sein; genug, man muß sich auf den Zuschnitt verstehen.“
Nach seiner Aussage hatte er früher Opern componirt, die aber nie zur Aufführung gelangt, wie sich dies aus dem Stammbuche eines seiner Collegen aus dem Jahre 1835 ergab. Er hatte sich hier als „Schauspieler, Sänger und Componist von sechs unaufgeführten Opern“ unterzeichnet. Erst am 20. Februar 1837 kam die komische Oper „Die beiden Schützen“ von ihm auf der Leipziger Bühne zur Aufführung. Der treffliche Erfolg ermuthigte ihn, und scharf ging es nun an „Czar und Zimmermann“, welche Oper schon am 22. December 1837 zum ersten Male ebenfalls zu Leipzig in Scene ging. Das musikalisch Beste aus seinen frühern nicht aufgeführten Opern verwendete er hier vielfach. In seiner neuern Oper war er auf ein Lied für den Czar bedacht, und da erinnerte er sich einer Liedescomposition, die er einmal in einem frühern Engagement bei Gelegenheit einer Festfeier in der Freimaurerloge zu Münster geschaffen hatte.
Er suchte das Ding aus bestäubten Notenheften hervor; ein passender Text wurde untergelegt, aber nicht von Herloßsohn, wie das „Sonntagsblatt“ ebenfalls fälschlich berichtet.
Der damalige Capellmeister Ferdinand Stegmayer, mit Lortzing innig befreundet, stand Letzterm während des Componirens mit Rath und That zur Seite. Er war bekannt als trefflicher Liedercomponist, und sein Wort hatte immer Geltung. Als die ersten Proben zu der Oper stattfanden, bemerkte Stegmayer in seiner österreichisch-gemüthlichen Weise, daß dieses sentimentale Lied nicht nur in Contrast mit dem störrischen, rauhen Charakter des Czaren stehe, sondern auch die Handlung aufhalte.
Es wurde gestrichen, wie ich dies in meinem „Humoristischen Musik- und Theaterkalender auf das Jahr 1855“, (Leipzig) Seite 69, des Längerem ausgeführt und später in der „Gartenlaube“ (1867) gelegentlich der Biographie Abt’s in Kürze angedeutet habe.
Jedenfalls beruht die Stegmayer zugeschriebene Autorschaft auf einem Irrthum. Man verwechselt das obige Lied mit der von ihm herrührenden Einlage in der Oper „Die Falschmünzer“. Als ich mit ihm 1852 daselbst über den großen Erfolg des Czarliedes sprach, entgegnete er mir: „Wo irrt man sich mehr als in der Kunst!“ welcher Ansicht der mitanwesende Saphir vollkommen beistimmte.
Dresden, am 3. Juni 1877.
A. M. in Sch. Robert Giseke befand sich damals in Coburg, wohin er 1861 von dem damaligen herzoglichen Cabinetschef Gustav von Meyern als Redacteur der officiellen „Coburgischen Zeitung“ berufen worden war. Schon 1862 nahm er zeitweiligen Urlaub und löste fernerhin sein Verhältniß zu dem genannten Blatte ganz.
W. W. Auf die Anfrage in Bezug auf Blindenliteratur folgende Antwort: In Unzialen sind bis jetzt von Rösner im Verlage der Steglitzer Anstalt erschien: Fibel für den ersten Leseunterricht. – Lesebuch für Blinde, zwei Theile. – Luther’s Katechismus. – Die Bibel für Blinde. Druck und Verlag der Bibelgesellschaft in Stuttgart; auch in einzelnen Theilen zu beziehen aus dem Depot der englischen Bibelgesellschaft in Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 33. Die Herstellung weiterer Werke wird in der Steglitzer Anstalt, die eine eigene Druckerei besitzt, vorbereitet.
K. Z. in Zeitz. Geben Sie uns gütigst Ihre volle Adresse zur Beantwortung Ihrer Zuschrift an!
M. L. in Berlin. Verfügen Sie gefälligst über Ihre Manuscripte!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_466.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)